LNA nimmt Küstenstadt Sirte ein

Libyen/EU. Freudenfeiern in Sirte nach der Eroberung der Stadt durch die LNA / In Brüssel EU-Außenministertreffen zu Libyen

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Kompletter Rückzug der Misrata-Miliz aus Sirte – eine Stadt im Freudentaumel

Die strategisch wichtige Küstenstadt Sirte, die zwischen den Städten Bengasi im Osten und Tripolis im Westen liegt, wurde gestern von der Libyschen Nationalarmee (LNA) vollständig eingenommen. In der ganzen Stadt fanden bis weit in die Nacht Freudenfeiern statt, es wurde auch die grüne Flagge der Dschamahirija gehisst und Gaddafi-Fotos hochgehalten. Sirte ist die Geburtsstadt von Muammar al-Gaddafi und er hat dort immer noch viele Anhänger. Die Stadt wurde 2015 vom IS besetzt, der dann 2016 mit Hilfe massiver Luftunterstützung durch die USA von Misrata-Milizen vertrieben wurde. Diese Misrata-Milizen, die auf Seiten der sogenannte ‚Einheitsregierung‘ von Sarradsch in Tripolis stehen, kontrollierten bis gestern die Stadt.

Der Ältestenrat von Sirte beglückwünschte das Volk zu seiner Befreiung und gratulierte zum Sieg über die ‚Terroristen‘. Er gelobte Libyen bis zum letzten Mann gegen eine türkische Invasion zu verteidigen. Der Dank richtete sich auch an die LNA.

Die vertriebenen Misrata-Milizen haben große Mengen an Waffen und Ausrüstung in Sirte zurückgelassen, drunter Panzer, schultergestützte Thermalraketen, gepanzerte Fahrzeuge, große Mengen an Leichtwaffen und Munition und sogar bestens ausgerüstete Feldlazarette. Im Hafen von Sirte ankert nun ein Kriegsschiff aus Bengasi.

Auch das Gebiet von al-Washka, 85 Kilometer westlich von Sirte gelegen, wurde von LNA Streitkräften eingenommen.

Libyenkarte - Größe des von der LNA kontrollierten Gebiets:
https://twitter.com/MLNA27/status/1214425027812216832/photo/1

Hektische Diplomatie

Zu Beratungen über die Situation in Libyen trafen sich heute die Außenminister von Großbritannien, Frankreich, Italien, Deutschland sowie EU-Diplomanten. Das Treffen war ursprünglich für heute in der libyschen Hauptstadt Tripolis geplant, wurde aber aufgrund der gefährlichen Sicherheitslage nach Brüssel verlegt. Der Sprecher des Hohen Repräsentanten der EU sagte, es gehe darum, einen Waffenstillstand in Libyen herbeizuführen. Die EU befürchtet, in Libyen genauso ausgebootet zu werden und an Einfluss zu verlieren, wie dies in Syrien der Fall war.

Bundesaußenminister Heiko Maaß meinte, Libyen sei längst zum Schauplatz eines Stellvertreterkrieges geworden. Dies wolle man nicht länger akzeptieren. Das sind unterirdisch komische Aussagen. Nachdem die Nato 2011 das Land zerbombt, die Dschamahirija-Regierung gestürzt, Muammar al-Gaddafi ermordet und mit Hilfe von al-Kaida als Bodentruppen das Land in einen failed state verwandelt hat, in dem sich heute alle Staaten tummeln, die gerne Einfluss in der Region hätten und über die Ressourcen Libyens verfügen möchten, empört sich Herr Maaß, dass in Libyen ein ‚Stellvertreterkrieg‘ ausgebrochen ist. Das dürfte nicht das wirkliche Problem von Herrn Maaß sein, schon viel mehr, dass die mit der EU-verbündete ‚Einheitsregierung‘ der Moslembruderschaft unterzugehen droht. Das will der Herr Maaß natürlich nicht akzeptieren. Da soll dann also der Nato-Verbündete Türkei losziehen, um seine ‚Einheitsregierung‘ und Sarradsch zu retten. Wie dumm, dass sich das ganze libysche Volk dagegen erhebt.

Deutschland will in Berlin eine internationale Konferenz ausrichten, um das Fell des Bären zu verteilen. Nur muss dafür der Bär erst erlegt werden. Und danach sieht es zur Zeit nicht aus, auch wenn die Türkei mit militärischer Intervention droht. Zu der Berlin-Konferenz werden kaum Teilnehmer aus Libyen, erst recht nicht Vertreter der Stämme und Städte, eingeladen, da sie dabei nur störend wirken könnten.

Ein ausgesuchter Kreis an geopolitischen Hasardeuren zählt zu den Auserwählten. Griechenland, seit dem Abkommen zwischen Sarradsch und der Türkei über die Seegrenzen in großer Besorgnis, muss auch um seine Teilnahme betteln. Heute hat in einem Telefongespräch Angela Merkel wenigstens noch den Algerischen Präsidenten Abdel Majid Taboun telefonisch zur Berlin-Konferenz eingeladen, nachdem sie ebenfalls telefonisch mit dem türkischen Präsidenten Erdogan die Lage in Libyen besprochen hat. Dieser hatte sich vorher mit seinem Verbündeten Katar abgesprochen und war in Begleitung seines Außenministers Mohammed Siala und seines Innenministers Fathi Bashagha nach Algerien gereist, um sich laut der italienischen Agenzia Nova mit dem türkischen Außenminister Mevlut Cavusoglu zu treffen. Der Hochverratsprozess wartet auf alle drei.

Am morgigen Mittwoch treffen sich die Außenminister von Frankreich, Italien, Griechenland und Zypern in Kairo, um das weitere Vorgehen gegen die von der Türkei und der ‚Einheitsregierung‘ beschlossenen Abkommen (Memorandum of Understanding/MoU) zu besprechen.

Der UN-Sondergesandte für Libyen, Ghasan Salamé sagte in einer Pressemitteilung: „Hände weg von Libyen. Genug ist genug. Libyen hat genug erlitten. Libyen ist kein Öllager, kein Gaslager, auch keine geopolitische Angelegenheit. Libyen ist eine menschliche Angelegenheit und die Menschen leiden.“ Da kann man ihm nur zustimmen.

Die ständige UN-Vertretung von Großbritannien forderte gestern, das gegen Libyen verhängte Waffenembargo und die Einhaltung der Resolution 1970 vom Februar 2011 umzusetzen. Es betrifft die Lieferung von Waffen und militärischer Ausrüstung von und nach Libyen.

Tunesien gab bekannt, es werde nicht zulassen, dass türkisches Militär über Tunesien nach Libyen gelangen könne. „Wir sind gegen jede ausländische Intervention in Libyen.“

Heute wurde schon wieder die Ankunft von 19 türkischen Geheimdienstlern in Tripolis (über Zarzis) gemeldet.

https://almarsad.co/en/2020/01/07/uk-calls-for-implementation-of-unsc-resolution-1970-after-turkish-move/

https://www.youtube.com/watch?v=tVUod6r-orY&feature=em-uploademail

https://www.tagesschau.de/ausland/eu-krisentreffen-101.html

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Geschrieben von

Angelika Gutsche

Ihre Reisen führten sie neben Indien, den USA, Russland und dem Jemen unter anderem auf den afrikanischen Kontinent und quer durch den Balkan.

Angelika Gutsche

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