Nato bombt Islamisten an die Macht

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Nachdem Gaddafi gejagt, gestellt und wie ein Tier erschossen wurde, stellte man seinen verwesenden Leichnam noch Tage zur Schau. Mit diesem Mordkommando und der anschließenden Leichenschändung stellen sich die neuen Machthaber Libyens nicht nur außerhalb jeder völkerrechtlichen und bürgerrechtlichen Konvention, sondern auch außerhalb der im Islam geltenden Vorschriften. Der Hass zwischen den verfeindeten libyschen Stämmen wurde so endgültig besiegelt. Es ist kaum etwas anderes denkbar als der Ausbruch eines lange anhaltenden Bürgerkriegs, der das geschundene Land weiter verwüsten dürfte. Man kann nur vermuten, dass es ein Abkommen zwischen den Islamisten und dem Westen gab, dass sich die Islamisten nur dann gegen den Aufstand gegen Gaddafi beteiligen, wenn der Westen sich nach dessen Fall unverzüglich aus Libyen und seine Stellvertreter aus dem Übergangsrat zurückziehen

Doch schon öffnet sich ein neues Kapitel im Libyen-Drama. Laut Presseberichten bittet der Übergangsrat die Nato um Verlängerung ihres Mandats: Sie soll mindestens bis Jahresende in Libyen bleiben. Die Nato ziert sich – sie wird wohl auch im UNO-Sicherheitsrat kein Mandat für einen längeren Aufenthalt bekommen. Was soll sie auch tun? Weiter bomben? Doch Bodentruppen schicken? Gegen wen? Angeblich ist das Land doch befreit und alle Libyer glücklich.

Als neue Lösung meldet süddeutsche.de am 27.11.: „Westliche Staaten haben nach Angaben aus dem Golfstaat Katar eine neue Allianz für Libyen vorgeschlagen, die den nordafrikanischen Staat nach dem Ende des Nato-Einsatzes unterstützen soll. Das neue Bündnis solle nach ihrem Willen von Katar angeführt werden, sagte Generalmajor Hamad bin Ali al-Attijah am Mittwoch in Doha. Katar sei ein enger Freund Libyens. So hätten Hunderte Soldaten den libyschen Aufständischen beim Kampf gegen Machthaber Muammar al-Gaddafi geholfen, sagte der Stabschef.“

Interessant dabei ist, dass zugegeben wird, dass Katar Truppen in Libyen kämpfen ließ. Es scheinen neben Engländern, Franzosen übrigens auch Spanier in Libyen gewesen zu sein, denn deren Rückzugstermin wurde mit dem 31. Oktober angegeben.

Trotz diesen immensen Aufgebots an Kämpfern und über 20.000 Bombenangriffen konnten die Gaddafi-Getreuen über ein halbes Jahr lang nicht besiegt werden. Und wenn jetzt um weitere militärische Hilfe gebeten wird, kann das ja nur heißen, dass der Widerstand immer noch nicht gebrochen ist.

Spätestens hier stellt sich die Frage: Wie sehen die Mehrheitsverhältnisse in Libyen wirklich aus? Wie groß ist der Anteil in der Bevölkerung und an Kämpfern, die Gaddafi treu waren/sind, wie groß der Anteil an westlich orientierten Anti-Gaddafi-Gruppen, wie groß der Anteil der Islamisten? Es ist sehr verständlich, dass in Ägypten und Tunesien islamische Gruppen einen großen Rückhalt in der Bevölkerung haben. Ein Großteil der Bevölkerung dort ist bäuerlich organisiert, lebt auf dem Land in ärmlichen Verhältnissen, der Anteil an Analphabeten ist groß. Staatliche Unterstützung lernten diese Menschen nie kennen, soziale Hilfen kamen nur von religiösen Gruppen. Die Situation stellt sich in Libyen vollständig anders dar: In Libyen herrschte allgemeine Schulpflicht, der Staat gab sich sozial, subventionierte einen Großteil der Waren und schüttete viele Wohltaten über seinen Bürgern aus. Kann man sich wirklich vorstellen, dass plötzlich die Mehrheit der Libyer, von denen achtzig Prozent nur das Gaddafi-Regime kannten, sich Islamisten an der Macht wünscht? Eine islamistische Regierung, die als erstes verkündet, dass die Scharia oberstes Recht sein soll und die Vielehe wieder uneingeschränkt eingeführt werde, denn man müsse ja die vielen Kriegswitwen versorgen. Als nächstes steht vermutlich die allgemeine Schulpflicht, die auch für Mädchen bis 16 Jahren gilt, auf dem Abschussprogramm. Finden das die libyschen Freuen wirklich gut? Und die dürften nach den vielen toten Kämpfern im Land nun ja wohl die Mehrheit stellen.

Daneben mehren sich die Berichte über schwere Menschenrechtsverletzungen durch die neuen Machthaber. Die Washington Post berichtet von 7000 Kriegsgefangenen, die in den überfüllten Lagern auch Opfer von Folterungen würden. Wie von Al-Arabija berichtet, entdeckt man bei Sirte und in Tripolis Massengräber gefüllt mit Gaddafi-treuen Soldaten.

Libyen – ein geschundenes Land und kein Ende in Sicht. Und dafür mussten Zehntausende ihr Leben lassen…

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Geschrieben von

Angelika Gutsche

Ihre Reisen führten sie neben Indien, den USA, Russland und dem Jemen unter anderem auf den afrikanischen Kontinent und quer durch den Balkan.

Angelika Gutsche

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