Osmanische Herrschaft in Libyen

Libyen/Osmanisches Reich. Ein bisschen Geschichte – zum besseren Verständnis, warum die Türkei in Libyen wieder eine beherrschende Rolle spielen möchte.

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Das Osmanische Reich beherrschte Libyen von Mitte des 16. Jahrhunderts bis 1912.

Im Jahre 1453 konnten die Byzantiner der Belagerung des in der heutigen Türkei gelegenen Konstantinopels durch die Osmanen nicht mehr widerstehen. Der Fall von Konstantinopel bedeutete das Ende des byzantinischen Reiches. Aus Konstantinopel wurde Istanbul und von ihrem neuen Machtzentrum aus eroberten die Osmanen ein riesiges Reich, das den Balkan, große Teile des Vorderen Orients und fast ganz Nordafrika umfassen sollte. Von Mitte des 16. Jahrhunderts war für vier Jahrhunderte der sogenannte Fruchtbare Halbmond, das heißt das für Ackerbau und Viehwirtschaft geeignete Winterregengebiet, das die Länder Irak, Syrien, Jordanien und Palästina umfasst, unter osmanischer Herrschaft, die erst mit dem Untergang des Osmanischen Reiches im Ersten Weltkrieg beendet wurde.

Die Landnahmen liefen häufig nach folgendem Schema ab: Piraten eroberten ein Gebiet, traten anschließend in osmanische Dienste und übergaben die eroberten Gebiete an das Osmanische Reich. Auf diese Weise wurde auch ein Großteil des heutigen Libyens dem Osmanischen Reich zugeschlagen und für etwa 160 Jahre unter dessen zivile und militärische Verwaltung gestellt. Insgesamt aber waren die Osmanen in Libyen vom 16. bis 20. Jahrhundert nur schwach repräsentiert, die lokale Macht lag meist bei Familien, Stämmen und Emissären. Zum einträglichsten Geschäft für die nordafrikanischen Küstenstädte entwickelte sich die Seeräuberei, Korsaren beherrschten zunehmend die Küstengewässer.

Ab 1517 fiel die Kyrenaika unter die Herrschaft der Türken, im Jahr 1551 folgte Tripolitanien. Erst nach langer Belagerung konnte Tripolis eingenommen, die Ritter des Malteser Ordens vertrieben und ein osmanischer Statthalter eingesetzt werden. Die Statthalter wurden als Pascha beziehungsweise Bej oder Dej bezeichnet. Nicht nur Tripolis, sondern auch die anderen Hafenstädte wurden neu befestigt, Zwingburgen und Kastelle entlang der Küste und der Handelsstraßen in den Süden gebaut. Daneben ließ schon der erste osmanische Statthalter namens Dragut in den Städten viele Schulen, Moscheen und Paläste errichten. Es wurden ein kodifiziertes Rechtswesen und Steuerveranlagungen eingeführt.

Der Kampf um die Vorherrschaft im Mittelmeer

Als 1560 die Spanier mit enormer Stärke vor der Küste Libyens auftauchten, unter anderem mit 50 Galeeren und 28 kanonenbestückten Kriegsschiffen, und mit 30.000 Mann gegen Tripolis anrannten, gelang es den Osmanen, diese spanische Übermacht zurückzuschlagen.

1577 versuchten die türkischen Truppen, den Fessan zu erobern, wo die marokkanische Al-Fassie-Dynastie herrschte. Die beiden Städte Mursuk und Sebha mussten sich den Osmanen ergeben. Doch schon 1582 kehrten die geflohenen Al-Fassi-Herrscher zurück und besiegten die türkischen Besatzer. Gleichzeitig hatten sich in den Nafusa-Bergen Aufständische gegen die Osmanenherrschaft erhoben. Da der Pascha von Tripolis die Situation nicht unter Kontrolle brachte, wurde er von seinen eigenen Janitscharen erschlagen, die anschließend Mustafa, einen der ihren, zum Pascha wählten. Die Herrschaft Mustafas dauerte nur kurz, denn er wurde umgehend von libyschen Aufständischen verjagt.

Das Kommando über die Aufständischen hatte Jahja ben Jahja, ein islamischer Würdenträger aus Tadschura. Viele libysche Stämme und Städte schlossen sich ihm an und so konnte er weite Teile Libyens und Tunesiens unter seine Herrschaft bringen. Nur die Städte Tripolis, Tunis und Sus wurden weiterhin von den Osmanen gehalten. Bei einem erfolglosen Sturm auf Tripolis kam Jahja zu Tode, doch gingen die Aufstände nun unter Nial, der zum heiligen Krieg aufrief, weiter. Nachdem Nial Tripolis erobert hatte, wurden 3.000 Janitscharen, die sich in der Stadt aufgehalten hatten, ermordet. Dies sollte Nial teuer zu stehen kommen. Istanbul schickte neue Truppen, die den in der Zitadelle noch ausharrenden Janitscharen zu Hilfe kamen. Die Rache war grausam. Nial wurde gefoltert und gehäutet und seine Haut dem Sultan nach Istanbul geschickt; seine Männer wurden brutal niedergemetzelt.

Diese Gewalttaten zogen nur neue Revolten nach sich, in Tripolis entmachteten 1603 Offiziere der lokalen Milizen den Pascha, 1606 kam es bei den Bergstämmen zu Aufständen, kurz darauf erhob sich Tadschura, unterstützt von den Stämmen des Hinterlandes.

Selbst innerhalb der osmanischen Truppen kam es häufig zu Revolten. Mancher Bej konnte seine Macht nur wenige Tage oder Wochen halten. Daneben es gab eine neue Gruppe, die ihren Einfluss immer mehr ausbaute: zum Islam konvertierte Europäer.

Zu jener Zeit war die Piraterie auf allen Weltmeeren ein allgemein übliches Geschäft, bei dem verschiedene Seemächte versuchten, sich gegenseitig die kostbare Ladung abzujagen und für Geiseln Lösegeld zu erpressen. Beteiligt waren Portugiesen, die den Indischen Ozean unsicher machten, daneben Holländer und Briten, die ihren Reichtum zum Großteil der Piraterie verdankten. Vor allem die Schiffe der Spanier, die dabei waren, den amerikanischen Kontinent zu plündern, waren ein lohnenswertes Objekt für Überfälle. Daneben machten die europäischen Seemächte, allen voran Engländer, Spanier und Franzosen, lukrative Geschäfte mit dem Sklavenhandel: Millionen Schwarzafrikaner wurden als Arbeitssklaven in die Neue Welt transportiert und dort verkauft. Vor der nordafrikanischen Küste spielte sich ein kleiner Seekrieg zwischen muslimischen und christlichen Korsaren ab, die sich gegenseitig Handelsschiffe abjagten.

Tripolis wollte sich das Piraten-Geschäft ebenfalls nicht entgehen lassen. Bekannt ist ein Grieche, der von der Insel Chios stammte, zum Islam konvertierte und sich 1632 in Tripolis zum Bej ausrufen ließ. Er machte sich nicht nur einen Namen als gefürchteter Pirat und Sklavenhändler, sondern trieb auch Steuern auf Öl- und Palmbäume ein.

Bengasi wurde von den osmanischen Janitscharen eingenommen. Doch schon bald konnten Aufständische die Stadt wieder befreien. Nachdem der für den Verlust Bengasis verantwortliche Bej ermordet worden war, wurde ebenfalls ein Grieche aus Chios neuer Herrscher.

Der Kampf um die Vorherrschaft im Mittelmeer wurde immer erbitterter. 1655 segelten die Engländer mit ihrer Flotte vor die libysche Küste und griffen die Osmanen an. Es konnte eine Vereinbarung ausgehandelt werden, die besagte, dass englische Schiffe gegen jährliche Tributzahlungen nicht mehr gekapert würden. Als nächstes erschien 1661 eine Armada aus venezianischen, maltesischen und päpstlichen Schiffen vor Tripolis, die ebenfalls mit dem Kommandanten der Tripolis-Flotte eine friedliche Einigung erzielten. Allerdings nahm Tripolis dies zum Anlass, seine Befestigungsanlagen zu erneuern und auszubauen, so dass die kurz darauf vor der Küste aufkreuzenden Holländer angesichts der nun uneinnehmbaren Stadt unverrichteter Dinge wieder abziehen mussten.

Als 1671 die Franzosen vor der Küste erschienen, herrschten im Land chaotische Zustände: Die Janitscharen in Tripolis meuterten, die Bevölkerung stellte sich gegen sie, die Imame riefen zum Kampf gegen die zum Islam übergetretenen Christen auf. Aus Tunesien näherten sich Angreifer, woraufhin die libyschen Stämme in den Bergen 30.000 Krieger zusammenzogen. Den Imamen gelang es, Araber, Berber und Türken gegen die angreifenden Tunesier zur Verteidigung des Landes zusammenzuführen, so dass diese abziehen mussten. Doch als anschließend der osmanische Dej sein Versprechen, die Abgaben zu senken, brach, kam es erneut zu Revolten.

1673 riefen aufständische Stämme eine Republik aus mit dem Ziel, die Osmanen aus Libyen zu vertreiben. Auch diese Rebellion wurde niedergeschlagen.

Nachdem Piraten aus Tripolis fünf britische Schiffe gekapert hatten, blockierte eine englische Flotte den Hafen von Tripolis. Gleichzeitig drohte eine andere Gefahr auf dem Landweg: Eine Pilgerkarawane schleppte 1675 die Pest in die Stadt ein, die über 10.000 Tote forderte. So geschwächt war es für die Briten ein Leichtes, in die Stadt einzudringen und die Flotte des Dej in Brand zu setzen, der daraufhin kapitulierte. Dies nahmen ihm die eigenen Janitscharen übel und ermordeten ihn, ebenso wie wenige Tage später seinen Nachfolger.

Der osmanische Statthalter in Gharian, ein Janitschar namens Murad, sicherte sich bald die Macht über ganz Tripolitanien. Er führte 1679 eine Strafexpedition in den Fessan durch und plünderte Mursuk und andere Oasenstädte vollständig aus. Als Pirat machte er sich vorrangig bei seinen Beutezügen gegen französische Schiffe einen Namen. Als die französische Flotte vor Tripolis aufkreuzte und die Stadt unter Feuer nahm, kam auf Drängen der Osmanen, die mit den Franzosen verbündet waren, 1681 ein Friedensvertrag zustande, der von Tripolis aber nicht angenommen wurde. Daraufhin wurde die Stadt von den Franzosen so lange beschossen, bis alle Gefangenen frei, die Schiffe zurückgegeben und eine hohe Entschädigungszahlung geleistet wurde.

In der Folgezeit kam es zu erneuten Pestausbrüchen, die Dejs wechselten – meist wegen Revolten der Janitscharen – in schneller Folge und Tripolis mischte sich in die Kämpfe zwischen den Osmanen und algerischen beziehungsweise tunesischen Seeräubern ein. Das Land war zerrüttet.

Die Dynastie der Karamanli

Diese chaotische Situation nutzte 1711 der Statthalter von Tripolis, Ahmad Karamanli, um sich mit Hilfe der Stammesführer unabhängig vom Osmanischen Reich zu machen. Er begründete die Dynastie der ursprünglich aus Anatolien stammenden, aber weitgehend arabisierten Karamanli, die sich bis 1835 an der Macht halten konnte. Als Bej Ahmad brachte er ganz Tripolitanien unter seine Kontrolle. 1712 versuchte der türkische Großadmiral die Stadt Tripolis einzunehmen, wurde aber von libyschen Milizen zurückgeschlagen. Kriegsschiffe und Waffen bezog Karamanli von den Genuesen und Holländern, die im Gegenzug Handelskonzessionen erhielten. Die Realität anerkennend, ernannte ihn 1722 der osmanische Sultan zum Pascha.

Zwischen 1678 und 1783 hatten verschiedene europäische Mächte in Tripolis Handelskontore eröffnet. Die beide Großmächte England und Frankreich unterhielten zum Ausbau der Handelsbeziehungen Konsulate in der Stadt, trotzdem erschienen vor der Küste immer wieder Flotten der beiden Länder in feindlicher Absicht.

Die Franzosen zerstörten 1728 mit ihren Kanonaden große Teile von Tripolis. Mit Mühe gelang es Ahmad Karamanli, Friedensabkommen mit Frankreich und Großbritannien zu schließen. Zu seinem Schutz baute Ahmad eine eigene Miliz auf und erneuerte die Befestigungsanlagen der Stadt. Der Bau einer Moschee und einer Madrasa (Hochschule) fielen ebenfalls in seine Regierungszeit. Tripolis stieg zu einer bedeutenden Handelsmacht im Mittelmeer auf. Schon bald gab sich Ahmad nicht mehr mit der Herrschaft über Tripolitanien zufrieden, sondern eroberte auch die Kyrenaika und den Fessan. Die darauf folgenden Aufstände konnten alle von ihm niedergeschlagen werden.

Ahmads Sohn Mehmed wurde vom Sultan als nächster Statthalter bestätigt, auf ihn folgte dessen Sohn Ali. Es kam erneut zu Erhebungen. Das Land wurde zusätzlich von Epidemien und Seuchen heimgesucht, auf die schlimme Hungersnöte folgten.

Nach dem Jahr 1790 kämpften die beiden Söhne Alis, Yusuf und Ahmad, um die Nachfolge. 1792 erklärte sich der eine, Yusuf, zum Bej und belagerte anschließend Tripolis. Der osmanische Sultan sah sich aufgrund der Auseinandersetzungen zwischen den Brüdern genötigt, einen neutralen Statthalter einzusetzen. Er ernannte 1793 den Algerier Ali Bulghur zum neuen Statthalter von Tripolis. Daraufhin flohen Vater Ali und Sohn Yusuf außer Landes. Schon 1795 wurde allerdings der zweite Sohn von Ali, Ahmad, zum Statthalter ernannt und nun war es für Ali Bulghur an der Zeit, die Flucht nach Ägypten anzutreten. Doch dauerte auch das Regierungsglück von Ahmad nicht lange, denn noch im selben Jahr wurde er von seinem zurückgekehrten Bruder Yusuf, dem es gelungen war Tripolis einzunehmen, nach Malta vertrieben. Dem Sultan in Istanbul blieb nichts anderes übrig, als nun Yusuf, der sich anschließend als Pascha betitelte, als Statthalter zu bestätigen. Yusuf, der dieses Amt von 1796 bis 1832 innehatte, brachte Tripolis zu neuer Blüte, die in erster Linie dem Sklavenhandel und der Piraterie zu verdanken war, zu dessen Zentrum sich Tripolis im 18. und 19. Jahrhundert immer stärker entwickelte. Allerdings schloss Tripolis mit verschiedenen Nationen Verträge, unter anderen mit Spaniern, Neapolitanern, Venezianern, Schweden, Dänen, Engländern und Franzosen, deren Schiffe gegen die Zahlung einer gewissen Summe von Korsarenüberfällen verschont blieben.

In Frankreich war Napoleon an die Macht gekommen und schickte sich 1798 an, Ägypten zu erobern. Yusuf schloss sich Napoleon an, als aber die französische Flotte von den Engländern vernichtend geschlagen wurde, musste letztendlich auch Yusuf klein beigeben und die in Tripolis befindlichen Franzosen an England ausliefern.

Die Weltpolitik mit ihren verschiedenen Akteuren, deren Machtansprüchen und geostrategischen Überlegungen, sandte ihre Schatten ins südliche Mittelmeer. Die 1776 unabhängig gewordenen Vereinigten Staaten von Amerika nutzten die Auseinandersetzungen zwischen Franzosen und Engländern, um selbst zur Seemacht im Mittelmeer aufzusteigen. Zunächst schlossen auch die USA einen Vertrag mit Yusuf Karamanli, der den amerikanischen Schiffen gegen die Zahlung eines Tributs eine sichere Mittelmeerpassage garantierte. 1800 kam es zu Streitigkeiten über die Höhe der zu leistenden Zahlungen, woraufhin Washington eine überlegene Kriegsflotte ins Mittelmeer entsandte. Tripolis erklärte den USA den Krieg und nachdem einige Amerikaner ums Leben gekommen waren, fassten die USA den Plan, Tripolis durch eine Blockade auszuhungern. So fand 1801 unter Präsident Jefferson vor der libyschen Küste der erste militärische Auslandseinsatz der Vereinigten Staaten fernab des amerikanischen Kontinents statt. Die amerikanische Flotte blockierte den Hafen von Tripolis und beschoss Wohngebiete der Stadt. Dabei lief die Fregatte „Philadelphia“ auf Grund: Die gesamte Besatzung von über dreihundert Mann geriet in Gefangenschaft und die Fregatte wurde in den Hafen von Tripolis geschleppt. Daraufhin drang eine amerikanische Militäreinheit in den Hafen ein, die „Philadelphia“ geriet in Brand und wurde zerstört. Als weitere Kanonaden gegen die Stadt nicht den gewünschten Erfolg zeigten, versuchten die USA, von Osten her auf dem Landweg gegen Tripolitanien vorzustoßen. Dabei sollte den Amerikanern Yusufs nach Malta geflüchteten Bruder Ahmad behilflich sein, dem zur Belohnung der Statthalterposten in Tripolis versprochen wurde.

Der Konsul James L. Cathcart reiste ins ägyptische Alexandria und stellte eine Söldnerarmee aus zwölf Nationen auf. Mit dieser Armee zog er gen Westen und griff die Stadt Derna an. Erst nach tagelangen Kämpfen konnte die Stadt, die zusätzlich unter Beschuss der amerikanischen Flotte lag, eingenommen werden. Nun sollte der Marsch auf Tripolis beginnen. Doch hatten sich zwischenzeitlich ein Stammesaufgebot an Kämpfern sowie reguläre Truppen vor Derna versammelt. Obwohl es den USA gelang, zum ersten Mal ihre Flagge in Ausland zu hissen, musste die belagerte Stadt von den Besatzern aufgegeben werden. Der Tribut, den Tripolis dafür zu zahlen hatte, war hoch: Man beklagte 800 Tote und 1.200 Verletzte. An diese Ereignisse erinnern heute noch die beiden ersten Zeilen des Kampfliedes der US-Marinesoldaten: „From the Halls of Montezuma to he shores of Tripoli/We’ll fight our country’s battles in the air, on land and sea.“ (Von den Heimstätten Montezumas bis zu den Küsten Tripolis‘/Schlagen wir unseres Landes Schlachten in der Luft, zu Land und Wasser.)

Die darauf folgenden Verhandlungen führten zu einer Art Friedensvertrag zwischen den USA und Tripolis, der die gegenseitigen Beziehungen regelte und in dem auch festgelegt wurde, dass Yusufs Bruder Ahmad ins Exil nach Ägypten gehen musste. Da die USA die Kräfteverhältnisse völlig falsch eingeschätzt hatten, hatte sich der Krieg bis 1805 hingezogen.

Es kam immer wieder zu Aufständen, die von Pascha Yusuf niedergeschlagen werden konnten. In dieser Zeit mischten bereits die kommenden Kolonialmächte kräftig in der nordafrikanischen Politik mit. So hatte 1830 Frankreich die Kolonialherrschaft in Algerien übernommen und blockierte nur kurze Zeit später mit seiner Flotte Tripolis. Der Pascha wurde dazu gezwungen, auf alle Zahlungen europäischer Mächte zu verzichten, keine Christen mehr zu versklaven und eine hohe Summe als Entschädigung an Frankreich zu zahlen. Als diese Summe durch Steuererhöhungen aufgebracht werden sollte, revoltierten die Stämme. Als die Briten mit einer Frist von 48 Stunden die gleiche Summe wie die Franzosen forderten, die Bevölkerung diese aber nicht aufgebringen konnten, kam es zu weiteren Rebellionen. Die Aufständischen riefen einen Enkel Yusufs namens Sidi Mohammed zum Pascha aus. 1832 dankte Yusuf ab, stellte sich aber gegen Sidi Mohammed und setzte seinen Sohn Sidi Ali als seinen Nachfolger ein, während die Aufständischen, die von den USA mit Waffen und Schiffen unterstützt wurden, an Sidi Mohammed festhielten.

Das Ganze wurde 1835 den Osmanen, die um ihre Oberhoheit fürchteten, zu bunt und sie entsandten per Schiff Truppen nach Tripolis. Den beiden Gegenspielern bekam dies schlecht: Mehmed beging Selbstmord, Ali wurde gefangen gesetzt, alle Mitglieder der Familie Karamanli bis auf Yusuf mussten das Land verlassen und wurden nach Istanbul gebracht. Zum neuen Statthalter von osmanischen Gnaden wurde Mustafa Nadschib ernannt. Die Osmanen verwalteten ihre Provinz Tripolis wieder direkt.

Ab 1842 hatten die Türken wieder das gesamte libysche Gebiet mit Kyrenaika und Tripolitanien einschließlich des Fessan unter ihre Verwaltung gebracht. Das bedeutete das endgültige Ende der Karamanli-Dynastie, die in Tripolitanien auf Seiten der arabischen Stämme gegen die osmanische Herrschaft gestanden hatte.

Aus der Zeit der späten Karamanli-Dynastie haben sich in Tripolis einige prachtvolle Bauwerke erhalten, unter anderem das beeindruckende Karamanli-Wohnhaus. Die Mustafa-Gurgi-Moschee stammt aus den Jahren 1833/34. Auf den Überresten eines römischen Forts hatten einst Araber das Rote Schloss errichtet, welches unter den Karamanli um Harems, Gefängnisse, Mühlen, Geschäfte, Wohnhäuser und ein Gerichtsgebäude erweitert wurde. Viele dunkle Geschichten und Geheimnisse ranken sich bis heute um dieses Bauwerk.

Die Wiederkehr der Osmanen

Nachdem die Osmanen wieder die Kontrolle über Tripolitanien und die Kyrenaika erlangt hatten, versuchten sie, ihre direkte Herrschaft zu festigen. Tripolis wurde die Hauptstadt Tripolitaniens und zunehmend europäisiert. Auch Ghadames, das nun zu Tripolitanien gehörte und keine Rolle beim Transsaharahandel mehr spielte, bekam einen osmanischen Statthalter. Doch war das Reich des „kranken Mannes am Bosporus“ bereits am Zerfallen.

Die Osmanen ernannten bis 1911 allein im Regierungsbezirk Tripolitanien 33 verschiedene Statthalter, die sich nun Wali nannten. Den Türken verdanken die Libyer allerdings auch die Öffnung zur Neuzeit: Sie führten Gerichtshöfe ein, bauten ein Postwesen auf, ließen Zeitungen drucken.

In der Kyrenaika schlossen sich die halbnomadischen Stämme immer wieder zu Revolten gegen die Osmanen zusammen. Bengasi hatte sich zu einer bedeutenden Stadt entwickelt und bildete einen eigenen Verwaltungsbezirk. Im 19. Jahrhundert hatte Bengasi einen starken Zuzug zu verzeichnen, in erster Linie von Kretern, die von der nahegelegenen Insel an die nordafrikanische Küste strebten, aber auch von Mitgliedern der Stämme, die es in die Stadt zog, sowie von Juden aus Tripolitanien. Auch Einwanderer aus europäischen Ländern fanden den Weg nach Bengasi. Die zweite wichtige Stadt in der Kyrenaika war das im 15. Jahrhundert von aus Spanien vertriebenen Moslems gegründete Derna.

Als sich 1844 die Stämme in den Nafusa-Bergen erhoben, hatte dies die Zerstörung ihrer Speicherburgen durch die Osmanen zur Folge. Die Vernichtung der Nahrungsmittel brachte Hungersnöte und Epidemien. 1836 brach die Pest aus und 1850 folgte die Cholera. Die Bevölkerung litt und starb, das Land wurde öde und leer.

In den Fessan, der ein eigenständiger osmanischer Verwaltungsbezirk war, verbannte die osmanische Regierung die ihnen oppositionell gegenüberstehenden Jungtürken.

Neben den Osmanen war Libyen immer wieder anderen europäischen Kräften ausgesetzt, so zum Beispiel den Briten, die gemeinsam mit den Osmanen Ägypten bekämpften oder den Franzosen, die von Algerien über Ghadames in den Süden zogen. Auch deutsche Unternehmen eruierten im preußischen Auftrag ihre Möglichkeiten in Libyen.

Die USA wollten in Tobruk eine Flottenbasis errichten und entsandten, um dieser Forderung Nachdruck zu verleihen, 1875 ihre Flotte vor die libysche Küste, mussten aber unverrichteter Dinge wieder abziehen.

Beim Berliner Kongress 1878 wurde das bisher zum Osmanischen Reich gehörige Tripolitanien Italien überlassen. Italien erhoffte sich davon einen Aufschwung und die Lösung von Problemen im Heimatland. Allerdings führte der sich immer mehr ausweitende libysche Widerstand in der Heimat für noch größere Schwierigkeiten.

Auch die Kolonisation Tunesiens durch die Franzosen im Jahre 1881 hatte auf Libyen Auswirkungen, denn einige tunesische Stämme im Süden flüchteten auf libysches Gebiet.

Das Vordringen der Kolonialmächte

In der Türkei fand 1908 die Revolution der Jungtürken statt, die mit ihrem „Komitee für Einheit und Fortschritt“ das Ende des osmanischen Sultanats bedeutete. In Libyen hatte dies noch einmal ein Aufflackern der türkischen Kräfte zur Folge. 1909 konnten türkische Truppen bis in die südlichen Gebiete des Tibesti-Gebirges, nach Bardai und Borku, vordringen.

Doch der Versuch der Türken, Libyen zu ihrer Kolonie zu machen, stieß auf einen erbitterten Widerstand, der im Osten hauptsächlich von der Senussi-Bruderschaft getragen wurde.

Die Senussi sind eine sogenannte Sufi- oder Mysterikerbruderschaft. Der Orden wurde 1843 von Muhammad ibn Ali as-Senussi gegründet, der einer Scherifen-Familien in Algerien entstammte und somit als direkter Nachfahre des Propheten Mohammed galt.

Es war die Zeit der kolonialistischen Aufteilung des afrikanischen Kontinents. Auf das Vordringen europäischer Forschungsreisender folgte in der Regel ein militärisches Vorrücken der Kolonialmächte. Gegen das Vordringen der Franzosen an den Tschad-See leisteten die Senussi ab 1901 erbitterten Widerstand, der von den Franzosen erst 1913 gebrochen werden konnte.

Erste Kontakte zwischen dem italienischen Konsul und einem Abgesandten des Senussi-Ordens fanden 1902 in Kairo statt. Dabei wurde dem Senussi-Orden im Falle einer Intervention durch die Italiener die Achtung ihres Ordens, die Respektierung ihrer Religion sowie Waffenlieferungen für den Kampf gegen Frankreich versprochen. Allerdings arrangierten sich Türken und Italiener erst einmal miteinander: Italien konnte Banken, Fabriken, Geschäfte und Lehranstalten in den libyschen Städten eröffnen und kontrollierte bald ein Viertel des libyschen Imports. Die Banco di Roma stieg zum größten Kreditgeber auf.

1902 wurde Ahmad ibn ash-Scharif der Führer der Senussi. Unter seiner Führung erfolgte eine noch stärkere Politisierung und Militarisierung der Senussi-Bewegung. Ab 1909 herrschte Ahmad ibn ash-Scharif auch über den Fessan. Das französisch-osmanische Abkommen über die Grenzziehung zwischen Tripolitanien, Algerien und Tunesien erkannte er an, ebenso wie die Oberherrschaft der Osmanen über die Kyrenaika und den Fessan. Nach einem gescheiterten Vormarsch gegen Ägypten musste Ahmad ins Exil gehen.

In Libyen war das Stammeswesen der beherrschende politische Faktor innerhalb der einheimischen Bevölkerung. Jeder freie Stamm verfügte über ein bestimmtes Gebiet, das allen gemeinsam gehörte und von dem jeder einen Teil zur Bearbeitung zugewiesen bekam. Die Rechtsprechung lag ebenso wie der Handel in der Hand der Stämme, die Städte hatten keine große Bedeutung mehr, so dass die osmanische Herrschaft über die Städte kaum Einfluss auf das Leben innerhalb der Stämme hatte.

Bis zu Beginn des Ersten Weltkriegs waren sich die Großmächte Deutschland, Österreich, Frankreich, England und Großbritannien darin einig, dem Osmanischen Reich nicht zu nahe zu treten, damit Russland hieraus keine Vorteile ziehen konnte.

Daneben lag den Großmächten auch daran, Ägypten an einem weiteren Anwachsen seines Machtbereichs zu hindern. Als Gegenleistung öffnete das Osmanische Reich den westlichen Mächten den Zugang zu den Handelsmärkten. Ägypten vollendete 1869 unter Pascha Ismael den Suez-Kanal, dessen Baukosten das Land, neben der Ausgaben für die Modernisierung des Staatswesens, in den Bankrott trieb. Als Ägypten in die totale Pleite und Zahlungsunfähigkeit abgerutscht war, erzwangen Engländer und Franzosen die Einsetzung von Finanzkontrolleuren, die das gesamte Finanzwesen Ägyptens kontrollierten. 1878 stellten Franzosen und Engländer sogar den Finanzminister und den Minister für öffentliche Arbeiten in der ägyptischen Regierung. Als aus Protest dagegen Pascha Ismael abgesetzt wurde und seinem Sohn Taufik die Macht übertragen wurde, besetzten britische Truppen das ganze Land. Allerdings führten dieser Staatsbankrott und die Besetzung des Landes langfristig zur späteren Unabhängigkeit Ägyptens.

Auch in Libyen übten im 19. Jahrhundert die Europäer immer stärkeren wirtschaftlichen und militärischen Druck auf die osmanischen Herrscher aus, bis die Einsetzung der Kolonialmacht erreicht war.

Panislamismus und arabischer Nationalismus

Ende des 19. Jahrhunderts kam die Idee des Panislamismus auf, deren bedeutendste Vertreter Dschamal ad-Din al-Afghani (ca. 1839 – 1897) und sein Schüler, der Ägypter Muhamad Abduh (1849 – 1905) waren. In der Folge kam es zu einer „Renaissance“ (an-Nahda) des arabischen und islamischen Selbstbewusstseins sowie zu einer Diskussion über die Sinnhaftigkeit des Kalifats. Kalif war zunächst die Bezeichnung der Nachfolger des Propheten Mohammeds. Obwohl keine Nachfolger Mohammeds und nicht einmal Araber, hatten die osmanischen Herrscher den Titel Kalif übernommen, um ihre Schutzfunktion gegenüber der koranischen Welt zu betonen. Als sich jedoch 1908 in Istanbul die nationalistischen Jungtürken an die Macht geputscht hatten, drängten sie alles Arabische zurück, das Volk wurde „türkisiert“. 1924 erklärte die türkische Nationalversammlung das Kalifat des osmanischen Sultans für abgeschafft.

Daneben trat ab dem Beginn des 20. Jahrhunderts die Idee eines säkularen arabischen Nationalismus, begründet durch die gemeinsame arabische Sprache, Geschichte und Kultur – und nicht durch den Islam – immer stärker in den Vordergrund.

1902 schlossen Frankreich und Italien ein Abkommen, in dem Frankreich auf Libyen verzichtete und im Gegenzug Italien seine Ansprüche auf Marokko aufgab.

Nachdem in Libyen der Versuch Italiens, die Senussi gegen die Osmanen auf ihre Seite zu ziehen, gescheitert war, überreichte Italien am 28.9.1912 eine diplomatische Note folgenden Inhalts: „… Die italienische Regierung, gezwungen, für den Schutz ihrer Würde und ihrer Interessen zu sorgen, hat beschlossen, zur militärischen Okkupation von Tripolis und der Kyrenaika zu schreiten.“ Dieser eindeutigen Kriegserklärung folgten bereits am nächsten Tag Taten. Das italienische Expeditionskorps drang mit einer unbezwingbaren Übermacht und technischen Überlegenheit in Libyen ein, so dass die Osmanen nur noch die italienische Okkupation anerkennen konnte. Bereits vorher war in Geheimverhandlungen zwischen Italien und Frankreich die Grenzziehung zwischen Libyen und Algerien vereinbart worden.

Heute sind die Geier alle wieder da – Türken, Amerikaner, Engländer, Franzosen, Italiener – und versuchen, sich gegenseitig die Beute „Libyen“ abzujagen, die sie 2011 gemeinsam erlegt hatten. Und wie über Jahrhunderte hinweg, versuchen sich die libyschen Stämme und Städte gegen die Invasion zu behaupten, kämpfen um ihr Überleben und um ihre Eigenständigkeit.

Lit.:

Burchard Brentjes, akzent, Urania-Verlag, 1982
Libyens Weg durch die Jahrtausende

Fritz Edlinger/Erwin M. Ruprechtsberger Hrsg., Promedia 2009
Libyen. Geschichte – Landschaft – Gesellschaft – Politik.

Boualem Sansal, Berlin University Press 2012
Maghreb – eine kleine Weltgeschichte

Heinz Halm, C.H.Beck Wissen, 2006
Die Araber. Von der vorislamischen Zeit bis zur Gegenwart

Tilman Nagel, Oldenbourg Grundriss der Geschichte
Die islamische Welt bis 1500

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Angelika Gutsche

Ihre Reisen führten sie neben Indien, den USA, Russland und dem Jemen unter anderem auf den afrikanischen Kontinent und quer durch den Balkan.

Angelika Gutsche

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