USA – die scheinheilige Supermacht

Buch-Rezension. Der Autor Michael Lüders fordert in seinem neuesten Buch Europa dazu auf, sich aus der Vasallentreue zu den USA, einer unmoralischen Weltmacht im Niedergang, zu lösen.

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Michael Lüders, Nahostexperte und Präsident der Deutsch-Arabischen Gesellschaft, legt ein wichtiges Buch zum Verständnis der westlichen Außenpolitik unter Führung der USA vor, mit dem Fokus auf dem Krisenkomplex Naher Osten. Er beschreibt die Manipulationstechniken, mit denen es den Machteliten der USA und der ihnen hörigen Staaten gelingt, die Bevölkerung zu täuschen, um ihre Interessen, das heißt „die Mehrung des Reichtums einer Minderheit auf Kosten der Mehrheit“ durchzusetzen.

Am Beispiel der Entführung des irakischen Tankers Grace 1 am 4. Juli 2019 durch Großbritannien und die Kaperung des Tankers Stena Impero durch iranische Revolutionsgardisten nur zwei Wochen später legt er die Heuchelei und die Doppelmoral des Westens offen. Er analysiert, wie die gleichen Taten mittels Framing völlig unterschiedlich beurteilt werden.

Daneben zeigt Lüders nicht nur auf, wie die USA mit Sanktionen einen Wirtschaftskrieg gegen den Iran führen, sondern wie mit Sekundärsanktionen die Gefolgschaft von Drittstaaten erzwungen wird, und dies, obwohl bereits die Sanktionen gegen Iran als eindeutig völkerrechtswidrig einzustufen sind. Um den Druck auf unbotmäßige Länder zu erhöhen, schrecken die USA bekanntlich nicht davor zurück, internationales Recht zu brechen, auch wenn sie damit nur erreichen, dass auch der Gegendruck maximiert wird. Mit allen Mitteln soll in der Region die Mittelmacht Iran klein gehalten werden, auch um dadurch Russland und China zu schwächen.

Ein eigenes Kapitel widmet der Autor der Meinungsmanipulation. So gelang es den US-amerikanischen Machteliten schon unter Wilson, der Bevölkerung den Eintritt in den I. Weltkrieg als alternativlos zu verkaufen, später mittels „Marketing, Werbung, politischem Spin, Framing oder Fake News“ unter Mithilfe der Medien eine Marktideologie und das „Elitenprojekt“ Neoliberalismus durchzusetzen. Die US-Bevölkerung wurde zum Rauchen gedrängt, indem man dazu überging, bestimmte Produkte als Lifestyle-Events zu inszenieren, in dem Sinne, dass eine emanzipierte Frau zu den „Fackeln der Freiheit“ greift, indem sie Zigaretten qualmt. Nach demselben Schema erfolgen propagandistische Vorbereitungen zu Militärinterventionen, wobei auch hier „Freiheit“ die bevorzugte Metapher ist, wenn es in den Kampf gegen das sogenannte Böse geht. „Big Business bestimmt die Spielregeln, die CIA setzt sie um“. Die Beispiele für Meinungsmanipulation der westlichen Bevölkerungen zur Rechtfertigung von Interventionen reichen von südamerikanischen Staaten, über Iran bis zur „Brutkastenlüge“ während des Irak-Kriegs und werden „in den westlichen (Eliten-)Demokratien“ unter dem Begriff „Meinungsmanagement“ zusammengefasst. Laut Lüders kann die Öffentlichkeit „mit Hilfe der Massenmedien und/oder von gut aufgestellten Netzwerken im Hintergrund ohne weiteres manipuliert und gelenkt werden“. Das Propagandamodell arbeite mit Nachrichtenfiltern, die unter anderem die Welt in „gut“ und „böse“ unterteilen. Demokratie gelte nur noch für die selbsternannten Eliten, aber nicht mehr für das gemeine, zu manipulierende Volk.

Ein ganzes Kapitel widmet Lüders der Whistleblowerin Katharine Gun, die die Zerstörung des Irak verhindern wollte, indem sie die Abhöraktionen der NSA bei den Vereinten Nationen bekanntmachte. Die abgehörten Gesprächsinhalte sollten zur Erpressung von UN-Gesandten vor der wichtigen Entscheidung zum Irak-Krieg genutzt werden „mit dem letztendlichen Ziel, eine militärische Intervention wider das Völkerrecht herbeizuführen“. Denn: „Was zählen Fakten, wo Meinung gefragt ist?“, wenn „für überzeugte Transatlantiker“ Tatsachen wie klare Rechtsbrüche nur eine untergeordnete Rolle spielen. Der wahre Rassismus äußert sich anschließend darin, dass die bei den US-Kriegen getöteten Araber und Muslime unter „Kollateralschaden“ verbucht werden.

Aus Lüders Buch spricht ein Entsetzen über das unethische Handeln der „führenden Weltmacht“ und ihrer Vasallen. Bitter muss er konstatieren: „Zu glauben, die Wahrheit verändere machtpolitische Interessen und Schachzüge, führe gar zu einem Kurswechsel, ist leider ein Irrtum.“ Und weiter: „Es geht nicht um Recht und Gesetz, geschweige denn um Wahrheit. Es geht um Machtpolitik, verklärt als Wertekanon“, um Full Spectrum Dominance.

Viele trostlose Wahrheiten über das Wesen imperialer Politik und die „Selbsterhöhung transatlantischer Elitennetzwerke“ werden offengelegt, wobei Lüders immer wieder beispielhaft den USA-Iran-Konflikt anführt, ohne die anderen Konflikte in der arabischen Welt und ihre historischen Hintergründe auszusparen. Im Kapitel „Schurkenstaat Iran“ geht er insbesondere auf die Ermordung des iranischen Generalmajors Soleimani durch die CIA im Auftrag der Trump-Regierung ein und zeigt deren Konsequenzen auf, von denen die gesamte MENA-Gemengelage, Irak, Libanon, Syrien und Israel, betroffen sind.

Auch wenn Lüders die Außenpolitik Trumps vehement kritisiert, kommt Joe Biden nicht viel besser weg. Er verkörpere „keinen Aufbruch, sondern die greisenhafte Fortschreibung des Status quo, eines allmächtigen, zerstörerischen Finanzkapitalismus im Namen der Freiheit“. Nichtsdestotrotz forderten transatlantische „Denkfabriken“ zum Schulterschluss mit den USA auf und empfehlen weitreichende out-of-area-Einsätze der Nato, „getragen vom Geist des Neoliberalismus und des (Neo-)Imperialismus“.

Folgt man Michael Lüders Buch, kommt man folgerichtig zu dem Schluss: Die USA sind nicht nur in ihrer Außenpolitik gescheitert, sondern das Imperium ist insgesamt am Ende. All ihre militärischen Interventionen und ihr immer stärker ausgeweitetes Sanktionsregime haben allein ihre Gegner China, Russland und Iran gestärkt. Und so stellt der Autor die berechtigte Frage: „Wie kann Europa seine Interessen auch dann behaupten, wenn sie mit denen Washingtons nicht übereinstimmen?“

Beispielsweise indem es sich um Ausgleich mit Moskau bemüht, sich nicht einem Sanktionsdruck beugt, wie es bei Nordstream II versucht wurde, sowie sich der Dämonisierung Chinas und einem neuen Kalten Krieg widersetzt. Lüders plädiert für die selbstbewusste Wahrnehmung eigener Interessen im Kontext der Europäischen Union und für Alternativen zum US-dominierten Finanz- und Bankensystem sowie den Aufbau einer eigenen Dateninfrastruktur, denn es sollte kein Zweifel bestehen, dass die USA im Zweifel auch Deutschland via Cyberangriffe ausschalten würden.

„Die künftige Welt wird eine multipolare sein“. Und man möchte sich wünschen, eine Welt, die „eine Kultur der Gewaltlosigkeit und der Ehrfurcht vor allem Leben“, der „Solidarität und einer gerechten Wirtschaftsordnung“, der „Toleranz und Wahrhaftigkeit“, der „Gleichberechtigung und Partnerschaft“ pflegt.

Das wäre in der Tat eine wahre Werteorientierung – sollte sie sich in der sogenannten Realpolitik nicht wieder in hohlen Phrasen erschöpfen.

Michael Lüders, „Die scheinheilige Supermacht – Warum wir aus dem Schatten der USA heraustreten müssen“ (C.H. Beck, München 2021)

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Angelika Gutsche

Ihre Reisen führten sie neben Indien, den USA, Russland und dem Jemen unter anderem auf den afrikanischen Kontinent und quer durch den Balkan.

Angelika Gutsche

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