Wahlen und bewaffneter Kampf

Libyen. 2018 ein Schicksalsjahr für Libyen? Die politische und militärische Stärke der Großen Stämme und der Rückhalt Saif al-Islam Gaddafis im Ränkespiel der Global Players

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Laut dem Aktionsplan des UN-Sondergesandten für Libyen Ghassan Salamé soll in Libyen im nächsten Jahr wieder gewählt werden. Während ursprünglich die Wahl erst am Ende eines Vier-Stufen-Plans im Dezember 2018 vorgesehen war, werden nun Wahlen bereits im Frühjahr ins Auge gefasst.

Laut der Nationalen Wahlkommission begann die Wählerregistrierung in Libyen am 6. Dezember. Im Ausland lebende Libyer können sich ab dem 1. Februar über das Internet registrieren lassen.

Der Hohe Rat der libyschen Stämme entschied, an den nächsten Präsidial- und Parlamentswahlen teilzunehmen.[1] Es soll ein gemeinsamer Kandidat für die zukünftige Führung des Landes aufgestellt werden. Für die Parlamentswahlen werden ebenfalls Kandidaten-Empfehlungen abgegeben.

Wer der Wunschkandidat des Hohen Stammesrates ist, steht außer Frage. Und so kann Europa die Rückkehr der Dschamahirija und die wichtige Rolle, die Saif al-Gaddafi in der libyschen Politik spielt, nicht länger ignorieren. Dies dürfte ihr gehörig Angst einjagen. Auch der britische Guardian musste die Realität zur Kenntnis nehmen und titelte: „Nach sechs Jahren im Gefängnis plant Gaddafis Sohn Saif eine Rückkehr in die Turbulenzen der libyschen Politik“.[2] Er zitierte eine schriftliche Stellungnahme eines Sprechers von Gaddafi: „Saif al-Islam ist in Libyen und bekennt sich zu seinem Wort, das er 2011 allen Libyern gab. Damals sagte er, dass er in Libyen bleiben werde, um das Land zu verteidigen oder als Märtyrer zu sterben".

Laut dem Guardian dürfte eine gegen Saif Gaddafi 2011 erhobene Anklage des Internationalen Strafgerichtshofs seiner politischen Kandidatur nicht im Weg stehen. Auch ein dubioses Todesurteil vor einem islamistischen Gericht in Tripolis ist bedeutungslos, da es durch eine Amnestie aufgehoben wurde.

Beide Anklagen waren rein politisch motiviert. Saif al-Gaddafi fällt unter ein Amnestiegesetzes des Jahres 2015, aufgrund dessen er 2016 in Zinten auf freien Fuß gesetzt wurde. Nachdem Saif al-Gaddafi bereits vor einem Gericht in Libyen verurteilt und 2014 amnestiert wurde, dürfte er schon rein formal nicht mehr ein zweites Mal für das gleiche Vergehen vor dem IStGH angeklagt werden.

Einige Beobachter gehen allerdings davon aus, dass es sich bei den angekündigten Wahlen um ein reines Täuschungsmanöver handelt. Denn es stelle sich die Frage, ob bei den gegenwärtigen politischen Zuständen und der prekären Sicherheitslage die Durchführung von fairen Wahlen überhaupt möglich ist. Auch hätten die Erfahrungen aus den beiden Wahlen in den vergangenen sieben Jahren gezeigt, dass Wahlen die politische Krise nur noch verstärkten. Die Wahlergebnisse 2014 wurden von den Salafisten und dschihadistischen Kräften nicht anerkannt und die Rolle der Milizen noch gestärkt.

Die Ausgangsszenarien haben sich allerdings etwas verändert, seit Saif al-Islam Gaddafi und die ihn unterstützenden Stämme wieder im politischen Spiel dabei sind.

Überraschenderweise werden Neuwahlen gerade von den Europäern stark gepusht, die sich die Wahl auch etwas kosten lassen. So hat Frankreich 200.000 Euro für die Durchführung zugesagt und die Niederlande sogar 1,65 Millionen US-$. Dabei müsste den Europäern doch daran gelegen sein, Gaddafi von der Macht fernzuhalten. Zwei Gründe könnten laut der LibyaTimes[3] für die Eile verantwortlich sein: Der bisherige Handlungsplan der UN konnte nicht umgesetzt werden, deshalb versuche die internationale Politik, eine neue Richtung einzuschlagen. Oder es soll mit den Diskussionen über Wahlen vom Auslaufen [und damit Scheiterns] des Politischen Abkommens (Skhirat) am 17. Dezember abgelenkt werden.

Gleichzeitig mit dem Drängen um baldige Neuwahlen verstärken die Europäer ihre militärische Präsenz in Libyen unter dem Vorwand, die Migranten in Libyen schützen zu müssen. So wurde beispielsweise auf Sardinien gerade ein neues Regiment verabschiedet, das seinen Dienst auf dem italienischen Militärstützpunkt bei Misrata aufnehmen soll.[4] Daneben haben Sarradsch und der italienische Innenminister Minniti beschlossen, eine gemeinsame Kommandozentrale zur Bekämpfung von Schmugglerbanden in Libyen einzurichten. Geheimdienste beider Länder sind daran beteiligt.[5]

Es sollte also nicht wundern, wenn die Europäer erst einmal mit der Ankündigung von Wahlen Zeit gewinnen möchten, um einen Marsch auf Tripolis, nicht nur von Khalifa Heftar mit seiner LNA aus dem Osten, sondern auch von Saif al-Islam und seiner Miliz aufzuhalten. Wahlen absagen aufgrund der schlechten Sicherheitslage kann man ja immer noch. Sollten die Wahlen tatsächlich stattfinden, könnte laut dem Guardian der große Gewinner Saif al-Islam Gaddafi heißen.

Nicht nur bei Wahlen, sondern auch militärisch erlangt Gaddafi immer mehr Stärke. Der Präsidialrat in Tripolis mit seinem Vorsitzenden Sarradsch und General Heftar mit seiner LNA im Osten sollen zusammen nicht mehr als zehn Prozent des libyschen Territoriums kontrollieren. Auch in einem Artikel von ISPI[6] beim Mittelmeerdialog in Rom 2017[7] wird festgestellt, dass der Präsidialrat nicht einmal die Kontrolle über Tripolitanien, geschweige denn über Libyen hat. Dagegen ist die stillschweigend aufgebaute militärische Stärke Gaddafis nicht mehr zu ignorieren, wie auch der Guardian weiß: „Die militärischen Kräfte, die in Sabrata gegen den IS, gegen Banden des illegalen Migranten- und Ölschmuggels kämpften, waren in der Hauptsache Stämme, die Saif al-Islam unterstützen und die der ehemaligen libyschen Armee angehörten, also loyal zu Gaddafi stehen.“[8]

Wie es in LibyaAgainstSuperPowerMedia[9] heißt, wird Gaddafi auch vom großen und einflussreichen Warfalla-Stamm unterstützt und hat in Tripolitanien diskrete, aber maßgebliche Unterstützung von bestimmten Teilen des Zinten-Stammes. Ihm in Treue verbunden sind die Stämme der Tibu und Tuareg. Es scheint ihm gelungen zu sein, Geld aufzutreiben und seine Männer trotz eines offiziell geltenden Embargos zu bewaffnen. Nun sei es seine Aufgabe, diese Miliz zu einer schlagkräftigen militärischen Kraft zu machen, die sich mit anderen Milizen verbünden oder ihnen entgegentreten kann. Die Beziehungen zur mächtigen Hafter-Armee seien erst noch zu definieren und eine große Herausforderung für die Zukunft Libyens.

Ebenfalls noch ungeklärt sei das Verhältnis zu ausländischen Mächten, auch wenn das Augenmerk in erster Linie auf Russland und Peking gerichtet ist. Von dem kommenden umfangreichen Aufbauprogramm für Libyen sollen jedoch mit Bestimmtheit jene Staaten ausgeschlossen werden, die an der Zerstörung des Landes beteiligt waren, namentlich Frankreich, Südkorea, Dänemark, VAE, Großbritannien, Katar und die Türkei.[10]

Deutschland hat übrigens auch keine guten Karten, seit bekannt wurde, dass es bei der Ermordung Muammar al-Gaddafis eine wichtige Rolle spielte. Es lieferte die Koordinaten des Konvoys, mit dem Gaddafi 2011 unterwegs war.

Ist es Absicht oder Nachlässigkeit, dass ausgerechnet die USA in der Aufzählung feindlicher, fremder Mächte keine Erwähnung finden? Als Sarradsch, der Premier der ‚Einheitsregierung‘ und Europas Platzhalter in Libyen, vor wenigen Tagen zu Besuch in Washington war, erteilte ihm Donald Trump eine deutliche Abfuhr. Auf die Bitte Sarradschs um eine Garantie zur militärischen Verteidigung seiner Regierung in Tripolis wurde ihm beschieden, es bestünde ein tiefes Misstrauen wegen der Korruption innerhalb der Einheitsregierung und der Menschenrechtsverletzungen durch Milizen, die unter dem Befehl der Einheitsregierung stehen. Auf die Frage „Werden die USA militärisch gegen jene vorgehen, die gegen den UN-Plan für Libyen handeln?“ bekam er eine klare Antwort: „Mit Sicherheit nicht!“ Die Suppe, die sich europäische Staaten in tödlicher Zusammenarbeit mit Hillary Clinton eingebrockt haben, sollen sie wohl alleine auslöffeln. Man kann sich Trump auch schlecht im Kampf Seit an Seit mit radikal-islamistischen Milizen vorstellen.

US-Außenminister Rex Tillerson sagte, die USA glaubten, eine militärische Lösung würde Libyen nur destabilisieren und dem IS und anderen terroristischen Gruppen Möglichkeiten eröffnen, die USA und ihre Verbündeten zu bedrohen. Dies dürfte auch als Warnung an General Heftar zu verstehen sein, der wiederholt mit einem Marsch auf Tripolis drohte, sollte bis Jahresende keine politische Lösung für Libyen gefunden werden.

Und auch eine Ende November zwischen Ägypten und Russland geschlossene Abmachung, die die gegenseitige Nutzung des Luftraums und der Flughäfen beider Länder vorsieht, dürfte, da Ägypten weitgehend von den USA abhängig ist, nicht ohne die Zustimmung Trumps getroffen worden sein.

Saif al-Islam soll noch immer gute Kontakte nicht nur zu bestimmten US-amerikanischen Kreisen haben, die zu Zeiten der Herrschaft seines Vaters geschäftlich in Libyen aktiv waren, sondern auch zu Regierungs- und Geheimdienstkreisen, die seinerzeit gegen einen regime change in Libyen waren.

Allerdings dürfte es Saif al-Gaddafi und den libyschen Stämmen nicht gefallen, dass ausgerechnet Erik Prince, der Gründer der berüchtigten Privatarmee "Blackwater", die heute "Academi" heißt, in Libyen seine Dienste zur Bekämpfung der Migration angeboten hat. Die Unternehmen von Price sind nicht nur für ihre Brutalität berüchtigt - Privatarmeen unterstehen so gut wie keiner Kontrolle -, sondern sind auch als im Raufgiftschmuggel führend verschrien. Für Price könnten sich in Nordafrika also wahrlich neue Verdienstquellen eröffnen.

Wie auch immer, ob es politisch mittels Wahlen oder militärisch zu neuen Weichenstellungen in Libyen kommt: Es droht den Ländern der europäischen Kriegskoalition das Fell des erlegten libyschen Bären davon zu schwimmen.

[1] https://libyaagainstsuperpowermedia.org/2017/12/09/the-supreme-council-of-the-libyan-tribes-decided-to-enter-into-the-presidential-and-parliamentary-elections/

[2] https://www.theguardian.com/world/2017/dec/06/saif-gaddafi-libya-politics-son-muammar

[3] http://www.libyatimes.net/news/81-libya-heads-for-early-election-as-un-action-plan-stalls

[4] http://www.libyatimes.net/news/79-italy-beefs-up-its-military-presence-in-libya

[5] https://www.libyaherald.com/2017/12/09/joint-libyan-italian-migrant-operations-centre-to-be-established/

[6] Istituto per gli studi di politica internazionale

[7] http://www.ispionline.it/it/pubblicazione/looking-ahead-charting-new-paths-mediterranean-18912

[8] https://www.theguardian.com/world/2017/dec/06/saif-gaddafi-libya-politics-son-muammar

[9] https://libyaagainstsuperpowermedia.org/2017/12/09/libya-the-new-map-with-qaddafi/

[10] ebd.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Angelika Gutsche

Ihre Reisen führten sie neben Indien, den USA, Russland und dem Jemen unter anderem auf den afrikanischen Kontinent und quer durch den Balkan.

Angelika Gutsche

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