Wie der Westen die Kämpfe in Libyen befeuert

Libyen. Die 'Einheitsregierung' hat in Tripolis die Kontrolle vollständig verloren. Nun soll eine ‚Präsidialgarde‘ aus islamistischen Milizen helfen.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Der UN-Sondergesandte für Libyen, Martin Kobler, hat in New York erklärt, dass in Kürze in Libyen eine ‚Präsidialgarde‘ aufgestellt werde, deren Aufgabe es sei, die ‚Einheitsregierung‘, ausländische Botschaften und die staatlichen Institutionen zu schützen. Dies würde den Weg zur Aufhebung des Waffenembargos ebnen. Unterstützung für diesen Plan bekam er von den üblichen Verdächtigen – USA, Großbritannien, Frankreich, Italien, Türkei, Niederlande, Kanada und Arabische Liga – bei einem Treffen in Tunis Mitte Dezember.

Die neue ‚Präsidialgarde‘

Für die Garde wurden bereits 580 Soldaten ausgewählt, die vor allem in Großbritannien, Italien und der Türkei ausgebildet worden sind. Neunhundert weitere sollen folgen. Wie die Rekruten auf ihre Herkunft und Zuverlässigkeit überprüft werden, ist unklar.

Es ist anzunehmen, dass sich die Anwärter hauptsächlich aus islamistischen Milizen wie dem Libya Dawn (Libysche Morgendämmerung) und der Libyan Islamic Fighting Group (LIFG) rekrutieren, die üblichen ‚Proxy-Fighter‘ der USA und ihrer Verbündeten. Der entsprechende Plan wurde am 31. März 2016 bei einem Treffen unter der Schirmherrschaft des türkischen Geheimdienstes in Istanbul ausgeheckt, der auch die Ermordung von Offizieren der Libyschen Nationalarmee vorsah. Anwesend in Istanbul waren neben Martin Kobler die islamistischen Milizenführer Abdul Rauf, Abdul Ghani Alkla und Khaled al-Scharif. Das Vorhaben verstößt gegen das Skhirat-Abkommen vom Dezember 2015, das explizit die Entwaffnung der Milizen und ihre Ausweisung aus Tripolis und anderen Städten vorsieht.

Die neu geschaffene ‚Präsidialgarde‘ soll die Libysche Nationalarmee (LNA) ersetzen. Doch letztere kann sich darauf berufen, durch ein Votum des gewählten und legalen Parlaments eingesetzt worden zu sein. Da die LNA gerade einen Erfolg nach dem anderen einfährt und vor allem von Moskau und Kairo unterstützt wird, würde die ‚Präsidialgarde‘ die Libysche Nationalarmee auch nicht ersetzen, sondern ihr gegenüberstehen. Der Bürgerkrieg in Libyen würde eine neue Befeuerung erfahren.

Zu einer Aufhebung des Waffenembargos zugunsten der ‚Präsidialgarde‘ wird es vermutlich nicht kommen, da Russland im UN-Sicherheitsrat zustimmen müsste. Für seine Einwilligung setzt Moskau voraus, dass die ‚Einheitsregierung‘ von dem libyschen Parlament in Tobruk, wie bei dem ‚Skhirat-Abkommen‘ vereinbart, anerkannt wird. Dies ist bisher nicht erfolgt. Ein wichtiger Hinderungsgrund dabei ist eben die Anerkennung der Libyschen Nationalarmee und deren Generalfeldmarschall Khalifa Hefter durch die ‚Einheitsregierung‘.

Die Libysche Nationalarmee und ihr Oberkommandierender Khalifa Hefter

Hefter ist für die führenden Islamisten und deren Milizen in Tripolis, auf deren Schutz die ‚Einheitsregierung‘ angewiesen ist, ein rotes Tuch. Allerdings ist Hefter auch bei anderen Akteuren in Libyen umstritten. Er hatte gute Kontakte zur CIA, hat lange in den USA gelebt und kehrte 2011 nach Libyen zurück, um Gaddafi zu stürzen. Inzwischen werden aber er und die LNA von allen Stämmen und Gruppierungen in Libyen, die sich gegen eine islamistische Fremdherrschaft und eine vom Westen eingesetzte Marionettenregierung wehren, unterstützt.

Die Libysche Nationalarmee unter Hefter konnte Ostlibyen einschließlich Bengasi so gut wie vollständig von islamistischen Extremisten befreien und hat in einem Überraschungscoup den sogenannten ‚Öl-Halbmond‘, der die Erdölanlagen und -häfen in der Bucht von Sirte und im Osten Libyens umfasst, unter ihre Kontrolle gebracht. Seitdem steigt die Erdölförderung wieder an.

Daneben hat die LNA in den letzten vier Monaten auch die Kontrolle über die Ölfelder im westlichen Landesteil, für deren Bewachung sie jetzt verantwortlich zeichnet, wieder hergestellt und an die NOC, die Nationale Ölgesellschaft, übergeben.

Die desaströse Lage in der Hauptstadt Tripolis

Die LNA hat in Tripolis nicht nur einige Milizen auf ihrer Seite, sondern vor allem einen Großteil der Bevölkerung, die immer mehr unter den chaotischen und gewalttätigen Verhältnissen in der Hauptstadt leidet. Tagtäglich finden Entführungen und Morde statt, kommt es zu Strom- und Wasserausfällen, geben die Banken kein Geld aus, ist die gesamte Versorgungs- und Sicherheitslage desaströs. Inzwischen liefern sich in Tripolis die untereinander verfeindeten islamistischen Milizen schwere Kämpfe, bei denen auch Zivilisten zu Schaden kommen. Die Stadt versinkt im Chaos.

Der LibyaHerald schreibt, dass die anhaltend schlechte Sicherheitslage und Kriminalität in der Hauptstadt Tripolis zeigt, wie schwach und ineffektiv die von Faiez Sarradsch geführte ‚Einheitsregierung‘ ist, die auf die Geschehnisse immer nur reagieren kann. Sie habe keinerlei Macht, um positive Effekte anzustoßen – und das ein Jahr nach Unterzeichnung des Libya Political Agreement (Abkommen von Skhirat).[1]

Mitte Dezember rief Hefter Soldaten und Offiziere der LNA dazu auf, sich für eine Offensive für die Befreiung Tripolis‘ bereit zu halten.

Inzwischen sind sich auch die ehemaligen Unterstützer der ‚Einheitsregierung‘ nicht mehr einig. So steht in der wichtigen Stadt Zinten zwar der Militärrat der Moslembruderschaft und damit der ‚Einheitsregierung‘ nahe, aber die starke Abu-Bakr-Brigade wirbt gemeinsam mit Hefter in den westlichen Landesteilen für den Marsch auf Tripolis. Ähnlich gespalten stellt sich die Lage auch in der Hafenstadt Misrata dar und sogar innerhalb des ‚Präsidialrats‘ in Tripolis gehen die Meinungen auseinander. Und die Bevölkerung? Die will endlich wieder Frieden und Sicherheit.

Unterstützung für die Libysche Nationalarmee und Khalifa Hefter

Während dessen reist der Präsident des Parlaments in Tobruk, Agila Saleh, nach Russland, Algerien und Ägypten, um sich dort für die Übergangsregierung mit Sitz in Beida sowie für die LNA und General Hefter Unterstützung zu holen. Allesamt Staaten, die extrem-islamistische Regierungen – im Gegensatz zur UN, EU, USA (unter Obama), zu Saudi Arabien und Katar – als unerwünscht ablehnen.

Auch der Grüne Widerstand sprach sich in einer Stellungnahme gegen jede Art von politischem Islam aus, da dieser die Sicherheit und Souveränität Libyens bedroht. Die USA verhelfe durch ihre Unterstützung der ‚Präsidialgarde‘ Terroristen zur Macht und bewaffne sie auch noch.

Die Einheitsregierung ist am Ende

Es zeigt sich einmal wieder die ganze Heuchelei des Westens und seiner Verbündeten. Ginge es wirklich um eine Befriedung Libyens und eine Aussöhnung der Bevölkerung, wäre der einzige Weg die Unterstützung der legal durch das Parlament eingesetzten Libyschen Nationalarmee. Nur so könnte der Terrorismus in Libyen erfolgreich bekämpft werden. Statt dessen wird aus Mitgliedern des radikal-islamistischen Milizen eine neue ‚Präsidialgarde‘ geschaffen. Diese Aufstellung einer Gegenarmee, die zwar niemals siegen, aber doch kämpfen und das Leiden der Zivilbevölkerung verlängern kann, ist eine letzte Trotzreaktion der USA, die ansonsten die Realitäten im Land aus ihrer Wahrnehmung ausblenden.

In Libyen werden, wie zuvor in Syrien, gerade Fakten geschaffen, die dem Westen und seinen Verbündeten nicht wirklich gefallen dürften. An ihnen vorbei findet ein innerlibyscher Dialog statt, kann die Libysche Nationalarmee mit General Hefter immer mehr strategisch wichtige Landesteile einnehmen, werden immer mehr Stämme und Gruppierungen in die nationale Versöhnung eingebunden, findet die Übergangsregierung in Beida ihre strategischen Partner im Ausland. An all dem sind die USA, die EU und die UN nicht beteiligt. Die Chancen für einen Erfolg stehen also gut.

[1] www.libyaherald.com/2016/12/27/tripoli-unrest-following-assassination-of-two-policemen-more-inter-militia-fighting/

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Angelika Gutsche

Ihre Reisen führten sie neben Indien, den USA, Russland und dem Jemen unter anderem auf den afrikanischen Kontinent und quer durch den Balkan.

Angelika Gutsche

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden