Moskauer Propaganda muss nicht monoton und langweilig sein. Schaltet man zum staatlichen TV-Kanal Rossija (Russland) und dort wiederum zur Sendung Wetscher so Solowjowim (Der Abend mit Solowjow) geht es lebhaft zu. Da versammelt Wladimir Solowjow, Jahrgang 1963, Gäste, die in den Fächern Lautstärke und Loyalität gegenüber Russlands Führung kraftvoll konkurrieren. Generäle mit von scharfen Getränken angerauter Stimme versuchen, Professoren und Abgeordnete der Staatsduma abzuhängen, wenn es gilt, sich in politischer Treue gegenüber Wladimir Putin zu überbieten.
Gastgeber Solowjow – mehr Trommler als Moderator – gibt den Talk-Ton vor. Mal fordert er die Todesstrafe für Deserteure, mal nennt er den französischen Pr
en französischen Präsidenten wegen dessen Unterstützung der Ukraine einen „widerwärtigen Nichtswürdigen“, mal diskutiert er die Wirkung einer gegen Großbritannien im Atlantik eingesetzten Atombombe. Im Trommelfeuer seiner Verbalattacken können die Unterschiede zwischen Napoleon, Hitler und dem heutigen „kollektiven Westen“ schon verschwimmen.Eines beantworten die Ukraine-Sendungen nichtUm den Anschein der Pluralität und des Seriösen zu wahren, finden sich im Studio neben Polit-Polterern auch immer wieder fachlich versierte oder in Maßen nachdenklich-analytische Loyalisten ein wie der Direktor der Mosfilm-Kinostudios, Karen Schachnasarow. Der gibt zu bedenken, die Ukrainer seien „von Ideen getriebene Gegner“, und bedauert, dass es im Westen „keine Bereitschaft zum Kompromiss“ im Ukrainekonflikt gebe. Solche Überlegungen allerdings sind nur Beiwerk in Solowjows Dramaturgie, die insgesamt der Devise folgt: Warum sachlich, wenn es auch emotional geht.Immer wieder kreisen seit 2014 die Debatten in seiner Sendung um die Ukraine. Zu Wort kommen dabei nicht selten nach Russland emigrierte Ex-Abgeordnete oder Politologen, die vieles zu erklären versuchen, nur eines nicht: Warum sie jeglichen Einfluss auf die ukrainische Gesellschaft verloren haben. Die beruhigende Botschaft solcher Abende für die Fernsehzuschauer lautet: Die wahre Ukraine steht auf unserer Seite. Dabei offenbart der Eifer, mit dem sich Solowjow als Anti-Westler inszeniert, überhitzte, teilweise künstliche Züge.Der belesene und geschichtlich versierte Ökonom erlebte Agonie und Untergang der Sowjetunion nicht als Tragödie, eher als Chance. Mit 27 Jahren zog es den Sohn einer jüdischen Familie in die Vereinigten Staaten. Dort war er zwei Jahre als Dozent an der Alabama State University tätig. 1992 kehrte er nach Russland zurück und betrieb bis 1998 eine Firma, die Diskotheken mit Equipment ausstattete. Es war die Zeit einer neuen Unterhaltungskultur in Russland, in der die Grenze zwischen Diskothek und Diskussion verschwand. Bald engagierte sich der eloquente Entertainer Solowjow im Showgeschäft. Ab 1999 war er für den Fernsehsender ORT tätig und moderierte gemeinsam mit dem damals liberalen und heute gleichfalls kremlnahen Journalisten Alexander Gordon die Diskussionssendung Prozess.Ein Film über Wladimir PutinNoch gab Solowjow den überzeugten Demokraten. Allmählich vollzog er – wie andere labile Liberale auch – eine Wandlung zum Frontmann Wladimir Putins. Nachdem er 2010 einen Vertrag mit dem Fernsehsender Rossija unterzeichnet hatte, dem zweiten staatlichen TV-Kanal, bot er immer häufiger Rechtspopulisten und Predigern eines russischen Sonderweges, wie dem von Putin geschätzten Schriftsteller Alexander Prochanow, eine Bühne. Als im März 2014 in Moskau die Halbinsel Krim zum Teil der Russischen Föderation erklärt wurde, schien das Solowjows Gesinnungswende zu bekräftigen. Ein Jahr darauf erhielt er vom Kreml den Zuschlag, den Dokumentarfilm Der Präsident zu drehen, eine Hagiografie mit affirmativem Putin-Interview. Dass Solowjows Geschäftsideen sich unter anderem dadurch auszahlten, bestreitet er nicht.Der inhaftierte Oppositionspolitiker Alexej Nawalny schätzt Solowjows Vermögen auf mehr als 17 Millionen Dollar, einschließlich zweier Villen am Comer See in Norditalien. Die fallen allerdings seit 2022 unter die EU-Sanktionen und sind für den Talkmaster bis auf Weiteres nicht mehr zugänglich. Als ihm die Häuser noch zur Verfügung standen, machte Solowjow 2013 für den Telekanal Rossija einen Film über Benito Mussolini, der auch zu Auskünften über den Regisseur und Produzenten taugte. Solowjow würdigte Mussolini als „sehr mutigen Mann“ und „glänzenden Redner“, dazu als „kreativen Menschen“, der sich als „Vater der Nation“ verstanden habe. Was als historisierendes Filmwerk daherkommt, erweist sich partiell auch als Selbstbildnis eines Mannes, der sich im Sog eines autoritären Systems befindet. Im Film begeht Solowjow ungewohnt nachdenklich den Ort, an dem Mussolini hingerichtet wurde. Fast entschuldigend weist Solowjow den Zuschauer darauf hin, Mussolini habe das „römische Imperium“ wiederbeleben wollen. Seinerzeit wirkte die Mussolini-Dokumentation in Teilen wie ein kurzes Innehalten, bevor sich deren Schöpfer unwiderruflich dem Weg eines Propagandisten im Dienste eines politischen Systems verschrieb.