Vor dreißig Jahren: Kurz vor dem Golfkrieg

Ein Zeitungsprotokoll Joschka Fischer, Autonome, global Friedensbewegte, Brandt und Bush - und die Frage des Krieges

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Demonstrationen für Frieden am Golf

Kundgebungen in europäischen Hauptstädten / Blockade in Frankfurt

F.A.Z. FRANKFURT, 13. Januar. Wenige Tage vor Ablauf des Ultimatums der Vereinten Nationen zur Räumung Kuweits durch den Irak am 15. Januar haben am Wochenende in Europa mehrere hunderttausend Menschen für Frieden am Golf demonstriert. Mehr als 250 000 Personen nahmen in Deutschland an Kundgebungen, sogenannten Mahnwachen, Menschenketten und Gottesdiensten teil. Die Aktionen der Friedensbewegung standen unter dem Motto „Fünf vor Zwölf - Kein Krieg am Golf - Kein Blut für ÖI“. Große Demonstrationen gab es auch in Frankreich, Italien und Großbritannien. Auch in Kanada. marschierten mehrere tausend Menschen. In Washington gab es eine kleine Kundgebung; etwa 250 Demonstranten zogen vor das Weiße Haus. In Berlin gingen nach Angaben der Polizei am Samstag rund 30 000 Menschen auf die Straße. Hier kam es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Randalierern und sogenannten Autonomen und der Polizei. In Hamburg, Frankfurt und Köln beteiligten sich jeweils bis zu 20 000 Menschen an friedlichen Aufzügen; 40 000 Demonstranten wurden aus Stuttgart gemeldet. Auch in anderen deutschen Großstädten wie in Leipzig und Dresden beteiligten sich mehrere zehntausend Personen an Kundgebungen und Demonstrationen. Auf einem Transparent vor der irakischen Botschaft in Bonn stand: ,,Deutsche Waffen, deutsches Geld morden mit in aller Welt.“ In der französischen Hauptstadt Paris nahmen nach Polizeiangaben an zwei Kundgebungen etwa 40 000 Menschen teil. Die Kommunistische Partei, die eine der Demonstrationen organisiert hatte, sprach von 100 000 Teilnehmern. Rund 100 000 Demonstranten wurden aus Rom gemeldet. Die Demonstranten forderten die politisch Verantwortlichen auf, unter allen Umständen eine kriegerische Auseinandersetzung am Golf zu verhindern und warnten vor den Folgen eines möglichen Atomkriegs. Auf Transparenten hieß es: „Kein Herz für Scheiche - kein Blut für Öl“, „Sanktionen ja - Völkermord nein“, „Distanziert Euch von den US-Kriegstreibern“, und ,,Mütter, versteckt Eure Söhne Bundeswehr raus aus der Türkei“. Viele Redner setzten sich für eine Aufhebung des UN-Ultimatums am 15. Januar und die Einberufung einer Nahost-Konferenz ein. Das brutale Regime Saddam Husseins sei zu verurteilen. Doch das rechtfertige keinen Krieg. Verschiedene Aktionen richteten sich speziell gegen amerikanishe Einrichtungen. Die Proteste in Deutschland wurden am Sonntag mit einem Demonstrationsmarsch von Friedensanhängern zur ,,Rhein-Main- Airbase in Frankfurt fortgesetzt. Dort wurde die Hauptzufahrt blockiert. Über den Militärflughafen war in den vergangenen Monaten ein Großteil des amerikanischen Aufmarsches an den Golf abgewickelt worden. In Frankfurt waren am Samstag 20 000 Menschen durch die Innenstadt gezogen und hatten amerikanische und deutsche Soldaten zur Wehrdienstverweigerung und Fahnenflucht aufgerufen. Unter den Demonstranten waren auch Mitglieder des anarchistischen schwarzen Blocks und Sympathisanten der Hausbesetzer in der Hafenstraße.“


„Brandt: Befreiung Kuwaits nicht „mit allen Mitteln“

Bonn (dpa) - Der SPD-Ehrenvorsitzende Willy Brandt ist der Darstellung entgegengetreten, er habe sich für eine Befreiung Kuwaits „mit allen Mitteln" nach dem 15. Januar ausgesprochen. Brandts Büro stellte damit eine dpa-Meldung vom Freitag richtig. Brandt hatte in einem Interview des Bonner General-Anzeigers darauf hingewiesen, daß die UNO-Resolution zwar das Recht zum militärischen Einsatz nach Ablauf des Ultimatums gebe, eine Verpflichtung daraus aber nicht abzuleiten sei. Die eigentlichen Entscheidungen seien noch zu fällen.“

Die Friedensbewegung lebt auf

Unerwartet viele demonstrieren gegen den drohenden Krieg

Von Evelyn Roll

Frankfurt 12. Januar - Zum Beispiel Frankfurt: Joschka Fischer ist sichtlich angetörnt davon, daß auch im Jahr 1991 so viele Menschen in der Stadt des Häuserkampfs auf die Straße gehen, wenn für den Frieden demonstriert werden muß. Fast ein bißchen überrascht blickt er auf die von der kleinen, improvisierten Bühne aus gar nicht mehr zu überschauende Masse der Demonstranten. Es sind Menschen aus allen Altersstufen und sozialen Schichten, die von der Alten Oper aus durch die Innenstadt vor das IG-Farben-Haus gezogen sind, dem Hauptquartier des 5. US-Corps. Viele der Demonstranten sind teuer angezogen und der größere Teil ist älter als Dreißig. Vierzehn Kids sind auf die Bäume vor dem IG-Farben-Hochhaus geklettert und hängen wie dunkle Vögel in den blattlosen Ästen. Die SPD Hessen-Süd, die hessischen Grünen, der DGB und das Ostermarschkomitee hat zu der Demonstration aufgerufen. Und keiner der Organisatoren rechnete damit, daß etwa 20 000 Frankfurter es an diesem Tag wichtiger finden könnten, für Verhandlungen und gegen als einen Krieg am Golf zu demonstrieren, als einzukaufen oder spazierenzugehen. Joschka Fischer hat den 20 000 eben gesagt, daß die Friedensbewegung der achtziger Jahre damit wiederaufgelebt sei, daß auf die Entsendung deutscher Soldaten in die Türkei an die irakische Grenze nur „eine massenhafte Kriegsdienstverweigerung“ die passende Antwort sein könne, daß die Mittel des Wirtschaftsboykotts durchaus ausreichten, um Saddam Hussein zur Vernunft zu bringen und daß vor allem eine schärfere Kontrolle der deutschen Rüstungsexporte jetzt nötig sei. Rap-Musik ist für Demos viel geeigneter als die Folk- und Protestsongs der Vietnamzeit, mögen viele der Grau- oder Weißhaarigen unter den Demonstranten gedacht haben. Die Sänger greifen die Parolen der Plakate und Spruchbänder auf und variieren sie zum agitierenden Rhythmus: „Kein Blut für Öl“, „Schickt die Waffenfabrikanten an die Front“, „Warum in die Wüste gehen, um ins Gras zu beißen“. Die schwarze Rap-Gruppe auf der Bühne vor dem IG-Farben-Haus hat den Refrain ihres Sprechgesangs schließlich so oft gesungen, daß der Leadsänger nach seinem aggressiven: „And if they tell you to go“, das Mikrophon nur noch in die Menge halten muß, und 20 000 Menschen schreien: „Say no". Und dann steht Heidemarie Wieczo- rek-Zeul vor den Massen. Eine Talk- Show mit den fünf SPD-Frauen aus Hans Eichels Schattenkabinett hat sie abgesagt, um den Demonstranten ihre nachdenklichen Sätze zuzurufen. Niemand habe es nach dem Fall der Mauer und der friedlichen Ost-West-Entwicklung des letzten Jahres für möglich gehalten, daß es schon Anfang 1991 wieder nötig sein würde, für den Frieden auf die Straße zu gehen, nur weil „der Preis des Menschenlebens fällt, wenn der Preis des Öls steigt - Nimmt das denn gar kein Ende?“ Die Demonstrationen an diesem Tag und auch an den nächsten Tagen sei als ein Symbol an die Adresse der Bun- desregierung in Bonn gemeint, keine Soldaten an den Golf zu schicken lieber 1000 Tage verhandeln als auch nur ein Menschenleben opfern“. Dann blickt auch sie nachdenklich über die Menschenmenge. Natürlich mache sie keinen Unterschied zwischen deutschen, amerikanischen oder arabischen Menschenleben, sagt sie. „Wenn aber auf Bagdad auch nur eine Atombombe fällt, sterben allein in Deutschland so viele Menschen an Krebs, wie hier auf dem Platz stehen.“ Der Samstagmittag in Frankfurt war eine Demonstration für den Frieden und für Verhandlungen. Und sogar die etwa 350 „Autonomen“, die am Nachmittag noch durch das Westend ziehen, haben offensichtlich verstanden, daß man glaubwürdig nur gewaltfrei gegen Krieg demonstrieren kann.“

Bonn - Die Koalitionspartner CDU, CSU und FDP haben sich in ihren Verhandlungen unter Leitung von Bundeskanzler Helmut Kohl dazu entschlossen, das auch aus Kostengründen höchst umstrittene Kampfflugzeug „Jäger 90“ bis zum nächsten Jahr fertig zu entwickeln. Die offizielle Begründung lautet, daß schon zu viele Aufträge erteilt worden seien und internationale Verträge bestünden. Ob die Maschine auch gebaut wird, ist damit allerdings nicht gesagt. In der Koalitionsvereinbarung heißt es nur: „Es besteht Einvernehmen, daß die Luftwaffe gegen Ende des Jahrhunderts ein neues Jagdflugzeug braucht.“ Verteidigungsminister Gerhard Stoltenberg (CDU) soll nun auf Geheiß der Koalitionsrunde gemeinsam mit Fachleuten aus den Regierungsfraktionen prüfen, inwieweit andere Lösungen als der „Jäger 90“ in Frage kommen.“

„“Sie werden einen schrecklichen Preis zahlen“.

Wortlaut des vom Irak abgewiesenen Bush-Briefes an Saddam Hussein
Das Weiße Haus hat am Samstag den Brief von Präsident George Bush an Saddam Hussein veröffentlicht, den der irakische Außenminister Tarek Asis bei dem Treffen am Mittwoch in Genf mit US-Außenminister Baker wegen seines angeblich rüden Tons zurückgewiesen hat. Der Brief hat folgenden Wortlaut (nach einer Übersetzung der Deutschen Presse-Agentur):

Herr Präsident, wir stehen heute an der Schwelle eines Krieges zwischen dem Irak und der Welt. Dies ist ein Krieg, der mit Ihrer Invasion Kuwaits begann; dies ist ein Krieg, der nur durch Iraks volle und bedingungslose Erfüllung der Resolution 678 des UNO- Sicherheitsrates beendet werden kann. Ich schreibe Ihnen direkt, weil das, was auf dem Spiel steht, verlangt, daß keine Chance versäumt wird zu vermeiden, was zu einer sicheren Katastrophe für das irakische Volk würde. Ich schreibe auch, weil es bei einigen heißt, daß Sie nicht verstehen, wie isoliert der Irak ist und was infolgedessen auf den Irak zukommt. Ich bin nicht in der Lage zu beurteilen, ob dieser Eindruck richtig ist; was ich jedoch tun kann, ist, in diesem Brief zu bekräftigen, was Außenminister Baker Ihrem Außenminister vorgetragen hat, und zu versuchen, jede Ungewißheit und Zweideutigkeit auszuräumen, die möglicherweise bei Ihnen über unseren Standpunkt besteht und darüber, was wir zu tun bereit sind. Die internationale Gemeinschaft ist sich einig in ihrer Forderung an den Irak, Kuwait vollständig zu verlassen und das ohne jede weitere Verzögerung. Das ist nicht nur die Auffassung der Vereinigten Staaten; es ist die Position der Weltgemeinschaft, wie sie in nicht weniger als zwölf Resolutionen des Sicherheitsrate zum Ausdruck kommt, Wir ziehen eine friedliche Lösung vor, aber die UNO-Sicherheitsrats-Resolution 678 und alle anderen Resolutionen müssen erfüllt werden, weniger ist unannehmbar. Es kann keine Belohnung für Aggression geben. Auch wird es keine Verhandlungen geben, über Prinzipien können keine Kompromisse gemacht werden. Bei voller Erfüllung wird der Irak jedoch die Chance erhalten, wieder in die internationale Gemeinschaft aufgenommen zu werden. Aber noch wichtiger, die irakische Armee wird der Vernichtung entkommen. Aber solange, bis Sie nicht völlig und ohne Bedingungen aus Kuwait abrücken, werden Sie mehr als Kuwait verlieren. Es geht hier nicht um die Zukunft Kuwaits - das wird frei und seine Regierung wiederhergestellt sein -, sondern um die Zukunft des Irak. Die Wahl liegt bei Ihnen. Die Vereinigten Staaten werden nicht von ihren Koalitionspartnern abgespalten werden. Zwölf Resolutionen des Sicherheitsrates, 28 Länder, die zu ihrer Durchsetzung Militäreinheiten stellen, mehr als hnundert Regierungen, die die Sanktionen befolgen - all das unterstreicht die Tatsache, daß nicht der Irak gegen die Verei nigten Staaten, sondern der Irak gegen die Welt steht. Daß die meisten arabischen und moslemischen Länder ebenfalls gegen Sie verbündet sind, sollt bekräftigen, was ich sage. Der Irak kann und wird nicht in der Lage sein, Kuwait festzuhalten oder für den Abzug einen Preis herauszuholen. Sie könnten versucht sein, Trost in der Meinungsvielfalt zu finden, die die amerikanische Demokratie darstellt. Sie sollten solchen Versuchungen widerstehen. Vielfalt sollte nicht mit Uneinigkeit verweechselt werden. Noch sollten Sie, wie es andere zuvor getan haben, Amerikas Willen unterschätzen.

Der Irak spürt bereits die Wirkungen der Sanktionen, die von den Vereinten Natio- hen verfügt wurden. Sollte es zum Krieg kommen, wird das eine bei weitem größere Tragödie für Sie und Ihr Land sein. Lassen Sie mich auch festhalten, daß die Vereinigten Staaten den Gebrauch chemischer oder biologischer Waffen oder die Zerstörung kuwaitischer Ölfelder und Einrichtungen nicht hinnehmen werden. Ferner werden Sie direkt für terroristische Aktionen gegen jedes Mitglied der Koalition verantwortlich gemacht. Das amerikanische Volk würde die schärfste Antwort verlangen, die möglich ist. Sie und Ihr Land werden einen schrecklichen Preis bezahlen, wenn Sie unverantwortliche Akte dieser Art anordnen sollten. Ich schreibe diesen Brief nicht, um zu drohen, sondern um zu informieren. Ich tue das ohne jede Genugtuung, denn das Volk der Vereinigten Staaten hat keinen Streit mit dem irakischen Volk. Herr Präsident, die Resolution 678 des UNO Sicherheitsrates weist die Zeit vor dem 15. Januar dieses Jahres als eine Pause guten Willen aus, so daß diese Krise ohne weitere Gewalt enden kann. Ob diese Pause wie beabsichtigt genutzt oder nur ein Vorspiel für weitere Gewalt wird, liegt in Ihren Händen, in Ihren Händen allein. Ich hoffe, Sie wägen Ihre Möglich- keiten sorgfältig ab und wählen weise, denn davon wird viel abhängen. George Bush“


Eine Zeitungscollage aus Frankfurter Allgemeiner Zeitung, Süddeutscher Zeitung und Badischer Zeitung von Mitte Januar 1991

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Gerhard Hanloser

Kritische Analysen, Miniaturen und Reflexionen über linke Bewegungen, Theorien und Praxis

Gerhard Hanloser

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