Es bleibt kompliziert

ZeroCovid Die Linke tut sich schwer mit Bewegungen und Kampagnen Corona betreffend. Ein Blick auf eine Diskussion über die Wirkung von ZeroCovid nebst Ausblick auf eine Veranstaltung zu französchen ImpfgegnerInnen

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Am Montag, den 21. März diskutierten Anne Seeck, Peter Nowak und ich mit den ZeroCovid-Aktivisten Yaak Pabst, Frédéric Valin und Wolfgang Hien. Es gab große Übereinstimmung. Doch zumindest bei mir existieren noch große Fragezeichen. Die Drei schilderten ZeroCovid als eine breit angelegte Kampagne für eine Niedrig-Inzidenz-Strategie. ZeroCovid sei begleitet gewesen von Kritiken des Impfnationalismus, für eine Basisgesundheitsvorsorge und gegen eine kapitalfreundliche Lockdownpolitik, die im Privaten, nicht jedoch auf der Ebene der Produktion Einschränkungen erließ und durchsetzte. Offensichtlich hat die Kampagne ihre Phantasien, den Virus auszurotten zu einem realistischeren Programm der Niedrig-Inzidenz abgeschwächt. Auch die Lockdownpolitik in China zeigt ja, dass die NullCovid-Strategie nicht dauerhaft funktioniert.
Yaak Pabst erklärte, die Kampagne sei als eine Tod vermeidende und die vulnerabelsten Gruppen schützende Initiative jedoch nicht über die linksradikale Szene hinausgekommen. Mit dem Ende wichtiger Schutzmaßnahmen würde nun Wolfgang Schäubles Aussagen in die Tat umgesetzt, wonach das Recht auf Leben nicht uneingeschränkt gelte und darum, so Schäuble, – anders als die Menschenwürde – nicht als das höchste Gut gelte. Ist umgekehrt ZeroCovid also eine Kampagne, die das Recht auf Leben zum höchsten Gut erklärte? Verblassen gegenüber diesem Recht andere Rechte? Hieran würden sich etliche ethische Fragen anschließen...
Der Hinweis auf die Beschränktheit der Kampagne auf eine linksradikale Szene, ist wichtig. Vielleicht spricht sie eine düstere Wahrheit über diese Szene und nicht über die Gesellschaft aus. Denn ZeroCovid als Kampagne eines generalisierten "Stay-at-home", einer Art des von Staatsseite verordneten und wohl auch repressiv durchgesetzten gesellschaftlichen Generalstreiks war schlicht zu groß, zu abstrakt und zu allgemein in ihrer Forderung. Schutz vulnerabler Gruppen – der sträflich, vor allem zu Beginn der Pandemie, vernachlässig wurde – hätte ohne einen generellen ZeroCovid-Lockdown bewerkstelligt werden können. Basisschutz, im Arbeitsbereich wie auch privat, hätte mit Hygieneregeln und konsequentem Masketragen, inklusive Verschnaufpausen auf Arbeit, mehr gebracht als Lockdowns mit teils irrationalen Ausgangssperren. Sicherlich: eine schnelle Behebung der Situation im neoliberal zusammengestrichenen Krankenhausbereich hätte es nicht so leicht geben können, was regionale Lockdowns eben notwendig machte (vielleicht auch in Zukunft wieder notwendig machen wird). Hier scheint – darin gab es einen großen Konsens - auch perspektivisch ein Kampf der Beschäftigten für bessere Arbeitsbedingungen mehr als geboten.
In besonderer Weise wurde auf der Veranstaltung betont, dass vor allem in der queer-feministischen, neueren linksradikalen Szene ZeroCovid Widerhall gefunden habe. Das ist auf der einen Seite und auf den ersten Blick verwunderlich, auf der anderen wiederum nur konsequent. Eigentümlich ist es, wie rabiat und schnell Teile dieser Szene vom radikalen Konstruktivismus - der Körper und das Geschlecht seien lediglich lesbarer Text - zu einem krassen naturwissenschaftlichen Objektivismus der Virologie überschwenkten. Konsequent ist die Haltung, man müsse die Gesellschaft still stellen, um die Vulnerabelsten zu schützen, in Hinblick auf die Logik linksradikaler Identitätspolitik. Der ganzen Gesellschaft soll eine zum Hauptwiderspruch erklärte konsequent moralische Politik, die sich aus einer besonderen Lage ergäbe, aufgeheischt werden. Dass es im Pandemiegeschehen einen breiten Strauß an aufgefächerten Politiken hätte geben müssen – und der besondere Schutz von vulnerablen Gruppen gehört selbstverständlich dazu –, sollte zugunsten einer großen politischen und moralischen Geste, der alle sich zu unterwerfen haben, zurücktreten. Das empfinde ich als ein autoritäres Politikverständnis.
Derart moralisch aufgerüstet können Menschen, die sich über Schullockdown, gegen Impfpflicht des Staates, gegen Ausgangssperren und Lockdowns empörten, nur als unverantwortliche Egoisten und "Coronaleugner" markiert werden. Der Dissens bleibt also. Wir diskutieren weiter. Hier ein Mitschnitt des ersten Teils der Veranstaltung:

Eingebetteter Medieninhalt

In der nächsten Veranstaltung geht es um französische Corona-Proteste, Gelbwesten und Basisgewerkschaften.
Im Sommer 2021 gingen in Frankreich hunderttausende Menschen gegen die Impfpflicht in Frankreich auf die Straße. In vielen Städten beteiligten sich daran auch linke Basisgewerkschaften. Was ist aus dieser Protestbewegung geworden? Wer waren die Träger? Welche Rolle spielten dabei rechte und irrationale Kräfte und wie reagierte die gesellschaftliche Linke?

Darüber wollen wir mit dem in Marseille lebenden Sozialaktivisten und Basisgewerkschaftler Willi Hajek sprechen.

Er hat im Frühjahr im Frühjahr 2020 das Buch „Gelb ist das neue Rot“ (https://diebuchmacherei.de/produkt/gelb-ist-das-neue-rot-gewerkschaften-und-gelbwestrn-in-frankreich/) im Verlag „Die Buchmacherei“ veröffentlicht, das sich mit der Gelbwesten-Bewegung und deren Verhältnis zu den Gewerkschaften befasst. Daher interessiert uns auch, was aus der Gelbwesten-Bewegung geworden ist, die ja 2018/19 auch in Deutschland für Aufmerksamkeit sorgen. Knapp 2 Wochen vor dem ersten Teil der französischen Präsidentschaftswahlen richten wir so die Aufmerksamkeit auf die soziale Bewegung in Frankreich, die ja für viele Jahre von Teilen der gesellschaftlichen Linken immer sehr bewundert wurde.

In dem Gesprächsformat von Peter Nowak, Anne Seeck und Gerhard Hanloser „Corona und der globale Kapitalismus" wird am Montag, den 28. März 2020 um 19 Uhr Willi Hajek (Marseille), Basisgewerkschaftler und Sozialaktivist, über die Bewegung informieren.

Die Veranstalter Gerhard Hanloser, Peter Nowak und Anne Seeck diskutieren mit den Gästen. Die Veranstaltung dauert ca. 1 ½ Stunden, je nach Diskussionsbeteiligung. Eine Anmeldung ist nicht erforderlich. Ihr könnt dem Meeting hier beitreten.
https://us02web.zoom.us/j/83852589930?pwd=cWpQQ1VYWjhiSTg1b1laVkpKZVhFdz09
Meeting-ID: 838 5258 9930
Kenncode: 794341
Einwahl per Telefon:
+49 69 7104 9922

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Gerhard Hanloser

Kritische Analysen, Miniaturen und Reflexionen über linke Bewegungen, Theorien und Praxis

Gerhard Hanloser

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