Auch James Bond kann Mexiko nicht helfen

Ein Lagebericht Mexikos Regierung hat die Dreharbeiten zum neuen James Bond massiv unterstützt. Mit den Aufnahmen soll das Image des Landes verbessert werden

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Auch James Bond kann Mexiko nicht helfen

Foto: Tiziana Fabi/AFP/Getty Images

James Bond, der Agent mit der Lizenz zum Töten, sollte das internationale Image von Mexiko verbessern. Zwei Wochen dauerten die Dreharbeiten im historischen Zentrum von Mexiko–Stadt. In den gehackten Sony-Mails konnte man nachlesen, wie stark Mexikos Regierung die Produktion von „Spectre“ mit Steuernachlässen und anderen finanziellen Anreizen unterstützt hat. Insgesamt sollen es 20 Millionen US $ sein. In den Mails war auch zu lesen, dass man sich ein mexikanisches Bond-Girl wünschte. Dieser Wunsch wurde erfüllt. Stephanie Sigman wurde in Mexiko 2011 durch den Thriller „Miss Bala“ bekannt. Ein Film über eine Schönheitskönigin, die von Drogenhändlern entführt wurde. Das spiegelte schon eher die mexikanische Wirklichkeit. In keinem anderen Staat in Lateinamerika werden mehr Frauen vergewaltigt, entführt oder zur Prostitution gezwungen. 63 % aller mexikanischen Frauen wurden in ihrem Leben schon einmal mit Gewalt konfrontiert. Jede Woche werden sechs Frauen ermordet.

Darüber kann auch die moderne Skyline von Mexiko Stadt nicht hinwegtäuschen. Sie bildete, ebenfalls auf Wunsch der mexikanischen Regierung, die Kulisse für die Eröffnungsszene. Die Hochhäuser sollen einen modernen, einen prosperierenden Staat vortäuschen. Keinen Staat, in dem 1.800 Gemeinden von den Drogenkartellen regiert werden. Keinen Staat, in dessen Bundesstaaten Guerrero , Jalisco, Michoacán und Tamaulipas sämtliche staatliche Institutionen zusammen gebrochen sind. Keinen Staat, in dem täglich Massengräber gefunden werden, deren Tote wohl niemals identifiziert werden. Keinen Staat, in dem Polizisten, 43 Lehmamtsstudenten an eine Drogenbande auslieferten.

Solch einem Staat kann man kein positives Image abgewinnen. Das aber war das vorrangige Ziel von Präsident Enrique Peña Nieto seit seinem Amtsantritt im Dezember 2012. Er will Mexiko im Ausland für Investoren und Touristen attraktiv machen. Ein schwieriges Unterfangen. Seit 2006 hat der Drogenkrieg 100.000 Tote gefordert. Mehr als 25.000 Menschen sind verschwunden.

Die Mischung aus Armut, Drogenhandel und Korruption ist Gift für die Pläne der Regierung. Deshalb hat sie auch so wütend reagiert, als der Uno-Sonderberichterstatter Juan Méndez, Mexiko jetzt eine „systematische Folter von Verdächtigen“ bescheinigte. Solche Misshandlungen seien in Mexiko üblich. Nietos Regierung dementierte den Bericht prompt und diskreditierte Mendez auf übelste Weise. Außenminister Jorge Antonio Meade meinte, Méndez habe "unprofessionell" und "unethisch" gearbeitet, er wolle sich mit anderen "Regierungen gutstellen" wollen. Der argentinische Uno-Jurist missbrauche sein Amt für "politische Zwecke" und um Aufmerksamkeit in den Medien zu finden

In Méndez Bericht hieß es weiter, Polizisten und Militärs versuchten regelmäßig, Informationen von Festgenommenen mittels Tritten, Stromschlägen, Erstickungssimulation mit Plastiktüten, Waterboarding und bei Frauen mit sexueller Misshandlung zu erlangen. Nicht selten endeten die Verhöre mit dem Tod des Verdächtigen. Anstatt diese Vorwürfe ernst zu nehmen, die auch von Menschenrechtsorganisationen erhoben wurden, wurde der Überbringer der schlechten Botschaft verunglimpft. „Mexiko entfernt sich immer mehr von einem demokratischen Rechtstaat und nähert sich einem autoritären Regime an", warnte der Professor der New Yorker Columbia-Universität. Carmen Aristegui, Journalistin und eine der wenigen kritischen Stimmen in Mexiko, ergänzt: Der Staat zeigt seine „jähzornige und rücksichtlose" Seite. Ähnlich lautet die Kritik von Amnesty International. Der Uno-Berichterstatter hat seine Untersuchung in einem Brief an die mexikanische Regierung verteidigt. Méndez, Anwalt und Hochschullehrer, besitzt 40 Jahre Erfahrung beim Schutz der Menschenrechte. Mitte der Siebzigerjahre verteidigte er politische Gefangene der argentinischen Militärdiktatur und wurde dafür später selbst inhaftiert.

Niemand wundert es, dass es auch um die Pressefreiheit in Mexiko miserabel bestellt ist. Carmen Aristegui wurde kürzlich von ihrem Sender entlassen. Sie hatte die Affäre um die Villa von Präsident Nieto enthüllt. Die Luxusherberge kaufte dessen Ehefrau, die Soap-Darstellerin, Angelica Rivera von einem Unternehmen, das saftige Aufträge der Regierung erhalten hat. Es ist ein offenes Geheimnis, dass Aristegui ihren Job nach einer Intervention des Präsidenten verlor. Die Menschenrechtsorganisation „Artikel 19“ hat seit dem Amtsantritt von Peña Nieto 656 Angriffe auf Journalisten gezählt. Allein 2014 wurden sechs Morde an Journalisten nicht aufgeklärt. Für „Reporter ohne Grenzen" liegt Mexiko auf dem Index der Pressefreiheit auf Platz 152 von 180 Ländern, zwischen der Demokratischen Republik Kongo und dem Irak.

Da ist es nur logisch das weder die staatsfreundlichen Fernsehanstalten - und das sind so gut wie alle – noch die großen Zeitungen bislang von dem Kommuniqué berichtet haben, das jetzt von der indigenen Widerstandsbewegung Zapatistische Armee der Nationalen Befreiung (EZLN) verkündet wurde. Darin wird die Abhaltung eines Forums angekündigt, in dem über Formen des Kampfes gegen einen „immer furchtbareren und destruktiveren" Kapitalismus beraten werden soll. Das Seminar unter dem Titel „Kritisches Denken angesichts der kapitalistischen Hydra" soll am 3. Mai in Caracol de Oventic im südmexikanischen Bundesstaat Chiapas beginnen. Angesichts der „Katastrophe und der kommenden Stürme" sei es notwendig, so die EZLN, neue reale oder virtuelle Methoden des Kampfes zu suchen.

Unbeirrt gehen Regierung und Wirtschaftsführer ihren Weg. Dazu passt auch die Ernennung der neuen Generalstaatsanwältin. Arely Gomez ist die Schwester eines führenden Managers von Televisa, dem größten Medienunternehmen in Lateinamerika. Televisas Fernsehsender haben den Wahlkampf von Peña Nieto massiv unterstützt. Gomez ersetzt Jesus Murillo Karam, der seine Glaubwürdigkeit verspielt hatte, als er bei einer Pressekonferenz zum Verschwinden der 43 Studenten erklärt hatte: „Ich bin es müde“. Seine Erklärung, die Körper der jungen Männer seien auf einer Müllkippe verbrannt und ihre pulverisierten Überreste danach in Plastiktüten in einem Fluss entsorgt worden, glaubt niemand mehr. Auch namhafte Physiker haben die Unmöglichkeit dieser Version mehrfach öffentlich erklärt. Seine Nachfolgerin Arely Gomez hat in der Zwischenzeit erklärt, der Fall Ayotzinapa sei ein „Einzelfall“. Zur Aufklärung hat sie bislang nichts beigetragen.

Ein früherer Generalstaatsanwalt, Eduardo Medina Mora, wurde von Peña Nieto zum Richter am Obersten Gerichtshof berufen. Medina Mora war in den letzten Jahren Botschafter in den Vereinigten Staaten. Er wird verdächtigt in seiner Zeit als Generalstaatsanwalt Waffen an Drogenkartelle verschoben zu haben. Außerdem soll er Menschenrechtsverletzungen durch die Bundespolizei gedeckt haben.

Am 7. Juni sind in Mexiko Wahlen. Neun Gouverneure und 500 Sitze im Unterhaus stehen zur Wahl. In vielen Teilen Mexikos wird lautstark zum Boykott des Urnengangs aufgerufen. Die Gewalt indes nimmt kein Ende. Nur zwei Meldungen aus dieser Woche. In einem Hinterhalt wurden mindestens 15 Polizisten getötet. Hinter dem Angriff wird ein Racheakt des Drogenkartells „Jalisco Nueva Generación” vermutet. Die Angreifer hatten die Tat sorgfältig geplant und sollen laut Berichten verschiedener lokaler Medien sehr planvoll vorgegangen sein. Nach Angaben der Behörden war die Eliteeinheit der Polizei in einem Konvoi unterwegs. Auf einer Schnellstraße nahe des Badeortes Puerto Vallarta wurde das Feuer auf die Polizisten eröffnet. Ohne Blutvergießen hingegen wurden bei einem bewaffneten Überfall auf eine Goldmine im Bundesstaat Sinaloa, Roh-Gold im Wert von umgerechnet mehr als sieben Millionen Euro erbeutet. Keiner der Mitarbeiter habe bei dem Raub ernsthafte Verletzungen erlitten, teilte die Betreiberin der Mine das kanadische Unternehmen McEwen Mining, mit. Goldfinger lässt grüßen.

Die Dreharbeiten zum neuen James Bond sind vorbei. Die Händler im historischen Zentrum wütend. Sie mussten ihre Läden schließen und wurden mit einem Hungerlohn abgegolten. An Mexikos Wirklichkeit kann kein noch so prestigeträchtiger Film etwas ändern. „Spectre" soll am 6. November weltweit anlaufen. Nur wenige Tage nach dem „Tag der Toten“, Mexikos höchstem Feiertag.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Goggo Gensch

Autor, Dokumentarfilmer, Kurator. Lebt in Stuttgart.

Goggo Gensch

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