Das Kartell - ein Doku-Roman.

Eine Buchempfehlung Don Winslow hat. als Roman getarnt, eine Chronologie des "War on Drugs" geschrieben.

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Der islamistische Terror beherrscht einmal mehr die Schlagzeilen. Die Empörung über die Verbrechen im Namen Allahs ist groß. Ein anderer Terror aber taucht in den europäischen Medien allenfalls am Rande auf, der „War on Drugs“, der Drogenkrieg. Ein Krieg der in den USA, in Mexiko und anderen Staaten Mittelamerikas tobt und dessen Opferzahlen erschreckend sind. In den letzten zehn Jahren verloren mehr als 80.000 Menschen ihr Leben, manche Quellen nennen auch 100.000 Opfer. Weit mehr als 20.000 Menschen sind verschwunden.

Im Droemer-Verlag ist jetzt das neue Buch von Don Winslow erschienen, „Das Kartell“. Es ist die Fortsetzung von Winslows großem Drogenroman „Tage der Toten“, aber das Buch ist mehr als ein packend geschriebener Krimi, es ist ein grauenvoll realistischer dokumentarischer Bericht aus dem Inneren eines Krieges in dem es keine Guten und keine Bösen gibt. Es ist ein Krieg den die Länder brauchen um ihr Wirtschaftssystem zu erhalten. Ein Krieg des Kapitalismus. Don Winslow hat gründlich recherchiert, alles was er beschreibt beruht auf Tatsachen, jedes beschriebene Verbrechen hat sein reales Vorbild. Auch hinter den meisten Protagonisten stehen reale Menschen.

Seit 40 Jahren tobt nun schon der von Präsident Nixon ausgerufene „War on Drugs“. Sein Zentrum liegt in Mexiko, in den Grenzstädten Tijuana, Nuevo Laredo oder Ciudad Juarez. Es liegt aber auch in Mexiko Stadt, im amerikanischen San Diego, in El Paso oder in New York. Die Kraken der Kartelle reichen in den Nahen Osten, nach Italien, nach London und in andere europäischen Zentren.

Don Winslow erzählt chronologisch vom Drogenkrieg der letzten 15 Jahre. Er packt den Irrsinn in Literatur. Sein Adán Barrera, Chef des mächtigen Sinaloa-Kartells ist Joaquin Guzmán Loera, kurz „El Chapo“ nachempfunden. Ein Mann den das Magazin „Forbes“ 2009 noch auf Platz 41 der mächtigsten Personen der Welt geführt hatte. Ein Mann der 2001 aus dem mexikanischen Hochsicherheitsgefängnis „Puente Grande“ spazierte. Wie ihm das gelang, ist bis heute nicht geklärt. „El Chapo“ zieht die Fäden nach Art der alten „Patrones“ und sieht sich zunehmend mit einer neuen Generation von Konkurrenten konfrontiert. Capos die sich Privatarmeen leisten, rekrutiert aus ehemaligen Soldaten der „Anti-Drogen-Spezialeinheiten“. Männer die vor keiner Form der Gewalt zurück schrecken, Männer deren Brutalität unbeschreiblich ist. Bei Winslow wie im realen Leben siegt die Gewalt. Eine Gewalt die von Soziopathen ausgeübt wird.

Der Roman weist bis in Details nach wie das Sinaloa-Kartell seinen Einfluss bis in die höchsten Regierungskreise Mexikos ausübte. Jeder Mensch ist korrupt, lehrt uns Winslow, es ist nur eine Frage des Preises oder der Bedrohung. Das Geschäft das mit den Drogen begann und heute bis in die Landwirtschaft, die Bauwirtschaft und das Ölgeschäft reicht, ist existentiell geworden für die Volkswirtschaften. Allein in Mexiko macht die Narco-Ökonomie zwölf Prozent der Wirtschaftsleistung aus. In den Vereinigte Staaten sickert das Geld in den Immobilienmarkt. Texas, mit seiner langen Grenze zu Mexiko, erholte sich als erster amerikanischer Staat von der Immobilienkrise 2008. Nach dem Bankencrash sorgte das Drogengeld weltweit für Stabilität und half zahlreichen Banken liquide zu bleiben.

Don Winslow zeigt auch, wie sinnlos jede noch so schlagzeilenträchtige Verhaftung eines Drogenbosses ist. Sofort stehen neue Chefs bereit, die alten Kartelle werden neu aufgeteilt, unübersichtliche Strukturen führen zu neuen, meist unberechenbaren Koalitionen. Die alten Plazas, die Lieferrouten werden neu verteilt. Der Kampf beginnt von vorn. Enden wird er nicht, er ist zu wichtig.

Das zeigen nur einige Meldungen aus der letzten Woche. Der Finanzchef des Kartells „Jalisco Nueva Generacion“ ist verhaftet worden. Ruben Oseguera Gonzalez, alias „El Menchito“ ist der Sohn und Stellvertreter von Nemesio Oseguera Cervantes der im letzten Jahr fast zwölf Monate in Untersuchungshaft saß, dann aber „mangels Beweisen“ wieder frei gelassen wurde. Das Kartell lieferte sich Anfang Mai tagelange Gefechte mit mexikanischen Sicherheitskräften und schoss dabei einen Militärhubschrauber ab.

Ein erst zwei Wochen zuvor gewählter Bürgermeister wurde im Bundesstaat Guanajuato erschossen. Rogelio Sanchez Galan war von 2009 bis 2012 schon einmal Bürgermeister in Jerecuaro. Damals löste er die Gemeindepolizei auf, sie hatte enge Verbindungen zum Drogenkartell „La Michocoana“.

Bei Kämpfen zwischen bewaffneten Gruppen im Westen von Mexiko wurden mindestens 16 Menschen getötet. Unbekannte hatten Mitglieder einer Bürgerwehr angegriffen. Die Bürgerwehren in Michoacán hatten sich 2013 im Kampf gegen das Drogenkartell „Caballeros Templarios" (Tempelritter) gegründet. Nachdem sie das Verbrechersyndikat weitgehend zurückgedrängt hatten, gingen die Selbstverteidigungsgruppen teilweise in der Landpolizei auf. Einige Bürgerwehren sind allerdings noch immer aktiv und selbst in kriminelle Geschäfte verwickelt.

In der Provinz Guerrero sind zehn Leichen aus illegalen Gräbern geborgen worden. Einsatzkräfte entdeckten am Stadtrand von Acapulco insgesamt sieben Grabstellen. Unter den exhumierten Toten waren sieben Männer und drei Frauen. Sie sollen etwa zwei bis drei Wochen unter der Erde gelegen haben. In Guerrero wurde im vergangenen Jahr 43 Studenten von der Polizei entführt und vermutlich von Bandenmitgliedern getötet.

Gewidmet hat Don Winslow sein Buch den Journalisten die ermordet wurden, weil sie über den Drogenkrieg berichtet haben. Sie schrieben über all die korrupten Politiker und Polizisten, über die Killer der Narco-Bosse, über die Söldnertruppen die Angst und Schrecken verbreiten, die foltern und vergewaltigen. Es sind zu viele gestorben weil sie nicht schweigen wollten.

Don Winslow, „Das Kartell“. Aus dem Englischen von Chris Hirte. Droemer Verlag, München 2015. 16,99 € , E-Book 14,99 €,

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Goggo Gensch

Autor, Dokumentarfilmer, Kurator. Lebt in Stuttgart.

Goggo Gensch

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