„Die Regierung hat ihn gehen lassen“

Neues zu „El Chapo“ ... Die Journalistin Anabel Hernandéz zeigt, die Flucht von Joaquin Guzmán war keine Überraschung. Auch der amerikanische DEA sieht das so.

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Die Flucht von Joaquin „El Chapo“ Guzmán aus dem Hochsicherheitsgefängnis Altiplano am 11. Juli war keine Überraschung. Das behauptete jetzt die Journalistin Anabel Hernandéz in einem Interview mit „CNN en Espanol“. Es gab zahlreiche Hinweise auf eine geplante Flucht, die mexikanischen Beamten gingen aber keinem nach. Im Gegenteil. Die Flucht auf einem umgebauten Motorrad durch einen mit Licht und Belüftung ausgestatteten Tunnel war mit dem Gefängnispersonal abgesprochen. Die mexikanische Regierung habe die Öffentlichkeit nach der Flucht nur lückenhaft informiert.

Anabel Hernandéz bekam den Untersuchungsbericht, der nach der Flucht erstellt wurde, zugespielt. Das Dokument belegt ihre Behauptungen. In dem Interview sagte sie: „Die Regierung hat ihn gehen lassen“. Der veröffentlichte Videoclip, der die Flucht dokumentiert, sei nicht vollständig. Laut den Unterlagen über die Hernandez verfügt, wurden bei diesen Aufnahmen, auch der Ton aufgezeichnet, dieser aber wurde nicht veröffentlicht. Gefangene hätten sich auch zwei Wochen vor der Flucht über ein „übermäßiges Rauschen“ und andere Geräusche aus Guzmans Zelle beschwert.

Mexikanische Bundesbeamte bestätigten gegenüber „CNN en Español“ die Echtheit der Dokumente aus denen Hernandez zitierte. Sie enthielten aber lediglich die Abschriften der Verhöre, man dürfe daraus keine falschen Schlussfolgerungen ziehen. Mexikos Generalstaatsanwaltschaft lehnte eine Stellungnahme unter Berufung auf die laufenden Ermittlungen ab.

Hernandéz stellte auch die Frage, warum der Alarm erst 43 Minuten nach der Flucht ausgelöst wurde. Der Eingang des Tunnel lag in einer 50- mal 50-Zentimeter Öffnung in der Dusche von Guzmáns Zelle. Er endete nach etwa 1.500 Metern in einem halbfertigen Haus.

Das Sinaloa-Kartell von Joaquin Guzmán hatte das mexikanische Gefängnissystem bereits seit vielen Jahren infiltriert. Es verfügte auch über exakte Baupläne für das Gefängnis von Altiplano. Es war nicht die erste Flucht von „El Chapo“. Bereits 2001 gelang ihm die Flucht aus einem Hochsicherheitsgefängnis, angeblich versteckt in einem Wäschewagen. Anabel Hernandéz behauptet, er habe das Gefängnis mit einer Militäruniform durch das Haupttor verlassen.

Die US-Regierung glaubt, dass sich Joaquín „El Chapo" Guzmán immer noch in Mexiko aufhält, so Chuck Rosenberg, der Leiter der US Drug Enforcement Administration (DEA). „Wo ist er wahrscheinlich ? Dort wo er am besten geschützt wird, wahrscheinlich in Sinaloa". Rosenberg sagte DEA-Agenten würden sich mit mexikanischen Kollegen austauschen, dabei gebe es aber „institutionelle Probleme", welche die Zusammenarbeit schwierig mache.

Rosenberg meinte, er sei „nicht sehr überrascht", dass Guzmán ausgebrochen sei.

Das hat er mit Anabel Hernandéz gemeinsam, sie arbeitet seit vielen Jahren an dem Thema. Ihr 2010 erschienenes Buch „Los Señores del Narco“ gilt als Standardwerk über die Drogenkartelle. 2011 erklärte Hernandéz, dass der Ursprung ihrer Arbeit in der Entführung und Ermordung ihres Vaters im Dezember 2000 in Mexiko Stadt zu suchen sei. Die Polizei hatte damals der Familie gesagt, dass sie nur dann bereit sei, das Verbrechen zu untersuchen, wenn die Familie ihnen Geld zahlt. Die Familie weigerte sich zu zahlen, der Mord wurde nie aufgeklärt.

Hernandéz enthüllte 2001 die riesigen Staatsausgaben für eine Residenz des damaligen Präsidenten Vicente Fox. Sie schrieb über Sklavenarbeit und sexuelle Ausbeutung von mexikanischen Mädchen auf den Bauernhöfen von San Diego in Kalifornien. Dafür wurde sie 2003 von der UNICEF ausgezeichnet. Danach begann sie sich mit den Drogenkartellen zu beschäftigen. In ihrem Buch „Los Señores del Narco“ zeigt Anabel Hernandéz die Komplizenschaft zwischen der organisierten Kriminalität und den Behörden, der Polizei, des Militärs und den großen mexikanischen Firmen. Sie analysierte die Entwicklung der Drogenproduktion und des Drogenhandels in Mexiko seit den 1970er Jahren und zeigt die alarmierende Rolle von mexikanischen Regierungsbeamten und Vertretern des CIA. Fünf Jahre sammelte sie Zeugenaussagen und offizielle Berichte. In mühevoller Kleinarbeit enthüllte sie wie Mexiko zum Epizentrum der Megakartelle in Lateinamerika und zu einem der gewalttätigsten Orte auf dem Planeten wurde.

Nach der Veröffentlichung des Buches erhielt sie Todesdrohungen. Sie kämpft trotzdem weiter gegen das Schweigen. „Die Korruption wächst durch Schweigen. Wenn die Journalisten meiner Generation schweigen, werden wir zu Komplizen. Dafür wird uns die spätere Generation verurteilen. Ich hoffe, dass das nie passiert." Anabel Herandéz lebt heute in Berkeley, Kalifornien.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Goggo Gensch

Autor, Dokumentarfilmer, Kurator. Lebt in Stuttgart.

Goggo Gensch

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