Ein Mythos der Filmgeschichte

R. W. Fassbinder „Schlafen kann ich, wenn ich tot bin“. Am 31. Mai wäre Rainer Werner Fassbinder 70 Jahre alt geworden.

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„Schlafen kann ich, wenn ich tot bin.“ Diese Antwort von Rainer Werner Fassbinder auf die Frage nach seinem exzessiven Leben, sah man in der BRD der 1980er Jahren auf so mancher Mauer. Der Filmtitel „Liebe ist kälter als der Tod“ wurde genauso zum geflügelten Wort und zu einem Song der Band „Element of Crime“. Rainer Werner Fassbinder hat nicht nur Filmgeschichte geschrieben. Am 31. Mai wäre er 70 Jahre alt geworden.

Wenn ich mich recht erinnere, war es 1979 auf dem Hamburger Filmfestival. Rainer Werner Fassbinder hatte dort seinen Film „In einem Jahr mit 13 Monden vorgestellt“. Auf der anschließenden Pressekonferenz saß er mit geschlossenen Augen. Vergeblich bemühten sich die Journalisten Antworten auf ihre Fragen zu bekommen. Plötzlich sprang der mit Jeans und Lederjacke bekleidete Fassbinder auf und verkündete: „Ich muss jetzt gehen, die Sportschau beginnt.“ Und weg war er. Schon damals eine lebende Legende.

Eine Legende die das deutsche Nachkriegskino geprägt hatte wie kein Regisseur vor und kein Regisseur nach ihm. 1979 war gerade „Die Ehe der Maria Braun“ in die Kinos gekommen, eine Großproduktion die, weil unterfinanziert, unter schwierigen Bedingungen entstanden ist. Fassbinder war da schon mit dem Drehbuch für seine Fernsehadaption „Berlin Alexanderplatz“ beschäftigt. Mit keiner Figur hat sich Fassbinder so identifiziert wie mit Franz Biberkopf aus Döblins Roman. In diesem Transportarbeiter, Luden und Ganoven, der vom Leben mehr verlangt als ein Butterbrot, spiegelte sich Fassbinder selbst.

„Die Ehe der Maria Braun“ war nicht nur der erste Film einer Trilogie über das Elend der Nachkriegsdeutschen und ihr Leiden daran, er war auch einer der vielen Filme in denen Fassbinder Frauen ein Denkmal gesetzt wurde. Die tapfersten von Fassbinders Helden waren immer Frauen. Frauen, die scheitern bei ihrem Kampf ums Glück. Effi Briest zerbricht an den starren Regeln einer Männergesellschaft, die das längst verrostete Korsett ihres Ehrgefühls nur noch wie ein anachronistisches Folterwerkzeug der Selbstachtung mitschleppt. Maria Braun handelt im beginnenden Wirtschaftswunder mit ihren Gefühlen wie mit einer Ware und erfriert an der Kälte der falschen fünfziger Jahre. Lili Marleen sucht vergebens ihr Glück in einer Zeit, in der nur noch das ganze Volk zählt. Der abgetakelte Ufa-Star Veronika Voss will nicht erkennen, dass der Sunset Boulevard bis nach Geiselgasteig reicht. In seinem letzten Interview meinte Fassbinder: „Diese Filme sollten die Gesellschaft so genau wie möglich beschreiben. Das geht anhand von Frauen besser.“ Durch diese Frauen wurde auch eine ganze Riege von Schauspielerinnen zu Kino- und Theaterstars. Hanna Schygulla, Ingrid Caven, Barbara Sukowa, Margit Carstensen, Irm Hermann.

Die Suche nach dem Glück endet bei Fassbinder immer im Desaster. Und die Moral ist bei ihm immer auch Macht. Folglich ist der Machtlose unmoralisch, gnadenlos zelebriert in „Berlin Alexanderplatz“.

An so einem mussten sich die Geister scheiden. Man beschimpfte ihn als Weiberfeind, Arbeiterfeind, Judenfeind, als Ausbeuter, Menschenschinder und hemmungslosen Egomanen - wozu Ausgestoßene und Abgesprungene seines Clans immer wieder kräftige Belege lieferten -, man bejubelte ihn aber auch als Genie, als, wie es ein US-Kritiker formulierte, „faszinierendsten, talentiertesten, produktivsten, originellsten jungen Filmemacher Westeuropas".

Es gab wohl keinen Fassbinder-Film gab, über den man reden konnte, ohne von Fassbinder selbst zu reden. Wie kein anderer deutscher Filmemacher hat Fassbinder derart ausschließlich den Kampf um das eigene Ego, seine Ängste und Hoffnungen als Stoff für seine Werke benutzt. Diese Materialschlacht mit sich selbst konnte nicht ohne Opfer und Krisen geführt werden, doch Fassbinder ist es immer wieder gelungen, auch sie zu thematisieren und dadurch zu überwinden. In „Warnung vor einer heiligen Nutte" thematisierte er das Ende seiner Utopie vom schöpferischen Kollektiv. „Satansbraten" ist eine hämische masochistische Farce über eigene Krisen. Es muss ihn gequält haben, nach dem Selbstmord seines Freundes Armin Meier „In einem Jahr mit dreizehn Monden“ zu drehen, ein Requiem voller Angst und Schrecken. Die Sehnsucht so vieler seiner Figuren, geliebt zu werden, einen Platz in der Welt zu finden, war auch seine eigene Sehnsucht. Einer seiner Filme hieß: „Ich will ja nur, dass ihr mich liebt“.

Für den 1945 in Bad Wörishofen geborenen Fassbinder waren seine Filme „immer auch der Versuch, von mir selbst etwas besser zu begreifen". Zur Legendenbildung hat auch sein wildes Leben beigetragen. Affären, Alkohol, Medikamente und Kokain. Rainer Werner Fassbinder hat in seinem allzu kurzen Leben in einem wahren Schaffensrausch Filme gleich im Dutzend abgedreht. Dabei wurde er zu einem Chronisten der deutschen Geschichte. Sein Biograph Jürgen Trimborn: „Die besondere Faszination an Fassbinder ist, dass er - ähnlich wie Balzac in seiner „Menschlichen Komödie“ - den Versuch unternommen hat, die ganze jüngere deutsche Vergangenheit und Gegenwart in seinen Filmen zu repräsentieren. Mit „Despair“ hat er etwa einen Film gedreht, der vor Anbruch des Dritten Reichs spielt, mit „Lili Marleen“ eine Karriere im NS-Staat nachgezeichnet. Er hat sich in „Deutschland im Herbst“ und in „Die dritte Generation“ mit der politischen Radikalisierung und dem Terrorismus beschäftigt. Er war also auch da immer am Puls der Zeit und hat versucht das aktuelle Zeitgeschehen zeitnah filmisch zu kommentieren. Er war in vielerlei Hinsicht wirklich ein Visionär des Kinos."

Die größten Erfolge hatte Fassbinder mit seinen weniger persönlichen Filmen. „Lili Marleen“ oder „Lola“, produziert von den Paten des „alten Kinos“, Luggi Waldletner und Horst Wendlandt. Mit dem, kurz vor seinem Tod fertiggestellten, Film, der Genet-Adaption „Querelle“ wollte er, trotz der internationalen Besetzung mit Jeanne Moreau und Franco Nero, wieder zurück zu seinen Anfängen. Der Film ist auch ein Manifest der eigenen Unsicherheit.

Rainer Werner Fassbinder wollte, wie er einmal großspurig sagte, „für das Kino das sein, was Shakespeare fürs Theater, Marx für die Politik und Freud für die Psychologie war: Jemand, nach dem nichts mehr ist wie zuvor." Seit er 1969 mit seinem Erstling „Liebe ist kälter als der Tod" auf der Berlinale für Furore sorgte, hat er an diesem Anspruch gearbeitet. Anders und ausschließlicher als das seiner Kollegen von Schlöndorff bis Syberberg war das Kino Fassbinders immer ein Kino der Gefühle. So sehr er die Menschen, die mit ihm gearbeitet haben, gequält und ausgebeutet haben mag, auf der Leinwand ließ er seinen Figuren eine Zärtlichkeit und ein Mitgefühl angedeihen, wie sie im eher kühlen und kopflastigen deutschen Film einzigartig sind. Die menschlichen Abgründe, das war Fassbinders Welt.

Über sein großes Vorbild Douglas Sirk schrieb Fassbinder 1971: „Sirk hat Filme gemacht, Filme mit Blut, mit Tränen, mit Gewalt, Haß, Filme mit Tod und Filme mit Liebe. Sirk hat gesagt, man kann nicht Filme über etwas machen, man kann nur Filme mit etwas machen, mit Menschen, mit Licht, mit Blumen, mit Spiegeln, mit Blut, eben mit all diesen wahnsinnigen Sachen, für die es sich lohnt." All das trifft auch auf die Filme von Rainer Werner Fassbinder.

In nur dreizehn Jahren hat Fassbinder mehr 40 Filme gedreht, Diese rastlose Produktivität, hat er einmal selbst als eine Art Geisteskrankheit bezeichnet. Als er 1982 starb, hatte er jede Menge Pläne. Das Drehbuch zu „Ich bin das Glück dieser Erde“ war fertig. Der Titel bezog sich auf einen Hit des Neue-Deutsche-Welle-Sängers Joachim Witt. Es sollte wieder ein kleiner Film werden, mit ihm selber an der Kamera. Eine „musikalisch-erotische Komödie“ aus der Münchner Halbwelt. Drei Männer, erfolglos als Detektive und Rauschgift-Dealer, schicken ihre gemeinsame Freundin auf den Strich, was nicht so recht klappt. Dann nehmen sie eine Platte auf und werden zu Millionären. Regina Ziegler wollte „Das Leben der Rosa Luxemburg“ mit Jane Fonda in der Hauptrolle produzieren. Mit Barbara Valentin wollte er „Endstation Sehnsucht“ für eine Theatertournee inszenieren. Den Pitigrilli-Romans „Kokain" wollte Fassbinder verfilmen: „Das ist ein Film, der etwas von der Droge erzählen soll, und von einer Person, die sich frei für oder gegen die Droge entscheiden kann, mit dem klaren Bewusstsein, dass eine Entscheidung für die Droge das Leben verkürzt, aber intensiviert. Da mag nun jeder selber sagen, ob er lieber kürzer, aber intensiver, oder aber länger und genormter leben möchte." Dann wollte er den utopischen Roman „Futurum zwei" des amerikanischen Verhaltensforschers B. F. Skinner verfilmen. Der Roman schildert das Leben einer Gemeinschaft, das dank der Konditionierung ihres Führers von einer stabilen Balance des Glücks bestimmt ist. Fassbinder faszinierte daran, wie sehr man sich mit einem Führer identifizieren kann und wie unvorstellbar ein permanentes Glück sein muss.

Der Produzent und Schauspieler Dieter Schidor führte, nur wenige Stunden vor dessen Tod, ein Interview mit Rainer Werner Fassbinder. Darin bekannte dieser: „Was ich möchte, ist ein Hollywood-Kino, also ein Kino, das so wunderbar und allgemein verständlich ist wie Hollywood, aber gleichzeitig nicht so verlogen.“ Und weiter „Ich kann mir nichts anderes vorstellen, als Filme zu machen. Wenn ich keine Filme machen würde, würde ich malen oder Romane schreiben.“

Vor allem im Ausland gilt Rainer Werner Fassbinder als wichtigster deutscher Filmemacher nach dem Zweiten Weltkrieg. Sein Name steht als Synonym für das deutsche Nachkriegskino. In den Kunstkinos der amerikanischen Ostküste war und ist Fassbinder Kult. In dem mächtigen Schatten den der Name Fassbinder nach allen Seiten wirft, haben es nicht nur die Mitstreiter aus der Generation des Regisseurs schwer. Von denen konnten sich im Ausland nur Werner Herzog, Wim Wenders und Volker Schlöndorff einen Namen machen. Und von den jüngeren Filmemacher haben weder Tom Tykwer noch Roland Emmerich, weder Caroline Link noch Florian Henckel von Donnersmarck - bei allen Oscars und kommerziellem Erfolg - im Ausland einen vergleichbaren Ruf wie der früh verstorbene Fassbinder. Rainer Werner Fassbinderist ist zu einem Mythos der Filmgeschichte geworden. Umso enttäuschender ist es, wie sträflich das deutsche Fernsehen mit ihm umgeht. Zwar wird am 27. Mai auf ARTE ein Dokumentarfilm über ihn gezeigt. Davor „Die Ehe der Maria Braun“. Hin und wieder finden sich Filme im Nachtprogramm diverser Sender. Warum aber wird beispielsweise „Berlin Alexanderplatz“ nicht wiederholt. Am Stück, alle 14 Folgen, so wie das sich Fassbinder selbst immer gewünscht hat? Oder die großartige Serie „Acht Stunden sind kein Tag“ über den Alltag von Werkzeugmachern. Im Berliner Gropiusbau ist zur Zeit die Ausstellung „Fassbinder JETZT“ zu sehen. Zudem hat Fassbinders langjährige Cutterin Juliane Lorenz einen Bildband mit Werkfotos zusammengestellt, der im August erscheinen soll.

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Geschrieben von

Goggo Gensch

Autor, Dokumentarfilmer, Kurator. Lebt in Stuttgart.

Goggo Gensch

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