Es wird immer gefährlicher, hier zu leben

Künstler protestieren Mexikanische und internationale Künstler engagieren sich und machen Druck auf Mexikos Regierung

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Im Mordfall des Fotojournalisten Ruben Espinosa und der Menschenrechtsaktivistin Nadia Vera fordern Demonstranten Gerechtigkeit
Im Mordfall des Fotojournalisten Ruben Espinosa und der Menschenrechtsaktivistin Nadia Vera fordern Demonstranten Gerechtigkeit

Foto: Alfredo Estrella/ AFP/ Getty Images

Am 31. Juli 2015 wurden in einer Wohnung im Zentrum Mexiko-Stadts vier Frauen und ein Mann ermordet aufgefunden. Die Leichen wiesen deutliche Spuren von Folter und Vergewaltigung auf. Unter den Toten befanden sich der Fotojournalist Rubén Espinosa und die Kulturaktivistin Nadia Vera. Beide hatten sich vor allem in ihrer Heimat Veracruz aktiv politisch engagiert. So zeigte Espinosa in einer Arbeit für die Zeitschrift „Proceso“ ein Foto des Gouverneurs des Staates Veracruz, Javier Duarte, mit dem Titel „Veracruz, gesetzloser Staat“.

Veracruz ist mit einem guten Dutzend toten und einer ungewissen Anzahl verschwundener Journalisten seit Beginn der Amtszeit Duartes der gefährlichste Bundesstaat für kritische Journalisten in Lateinamerika. Die meisten Verbrechen werden nie aufgeklärt. Der Mord an der Journalistin Regina Martínez in Veracruz wurde beispielsweise mit dem Vermerk „Raubüberfall“ ad acta gelegt. Auch Espinosa und Vera hatten mehrere Todesdrohungen erhalten. Eigenen Angaben zufolge kamen diese unter anderem direkt von der Lokalregierung Veracruz'. Erst im Juni war Espinosa in das vermeintlich sichere Exil Mexiko-Stadt geflohen. In der Hauptstadt des Landes leben dutzende mexikanische Journalisten, die sich in ihrer Heimat nicht mehr sicher fühlen. Der Mord in Mexiko-Stadt stellt damit einen qualitativen Unterschied zu den bisherigen Morden im Drogenkrieg dar. Mexiko-Stadt war bislang ein sicherer Ort für Dissidenten gewesen.

Die Ermordung des mexikanischen Fotoreporters Rubén Espinosa hat nun auch zu einem internationalen Protest geführt. Schriftsteller, Journalisten und Intellektuelle schrieben einen offenen Protestbrief an Mexikos Staatschef Enrique Peña Nieto. In diesem fordern sie eine „sofortige und effektive Aufklärung“ der Tat. Die Unterzeichner, darunter der US-Autor Paul Auster und sein britischer Kollege Salman Rushdie, verlangen außerdem einen besseren Schutz für Journalisten in Mexiko.

„Herr Präsident, in Ihrem Land sind die Statistiken zur Straflosigkeit bei Gewalttaten gegen Journalisten alarmierend“, heißt es in dem auf der Website des Autorenverbandes PEN International veröffentlichten Brief. Er beruft sich auf Zahlen der mexikanischen Menschenrechtskommission, wonach solche Fälle zu 89 Prozent nicht aufgeklärt werden. Die mexikanischen Reporter seien lebensgefährlichen Bedingungen ausgesetzt. „Kriminelle Banden, korrupte Regierungsvertreter und ein Rechtssystem, das nicht einmal in der Lage ist, die Verantwortlichen für die Morde zu bestimmen, sind die Gründe für die äußerste Verwundbarkeit der Reporter.“

Nach Angaben von Reporter ohne Grenzen ist der mexikanische Bundesstaat damit hinter dem Irak und Syrien der gefährlichste Arbeitsort für Journalisten weltweit. Landesweit wurden in Mexiko nach Angaben der Organisation in den vergangenen 15 Jahren 80 Medienmitarbeiter getötet und 17 weitere verschleppt.

Aber auch mexikanische Künstler protestieren gegen die Morde. In einem offenen Brief schreiben sie: „Wir sind äußerst schockiert, betroffen und auch wütend den Mord an Yesenia, Alejandra, Mile, Nadia und Ruben ... Es handelt sich hierbei nicht um einen Einzelfall. Die Tat zeigt vielmehr den kontinuierlichen Anstieg der Gewalt in der Mexikanischen Republik. Die Mathematik des Terrors, unter der wir leben müssen, zählt jeden Tag tausende von verschleppten und ermordeten Menschen. Es scheint, als habe die Regierung ein Abkommen getroffen, durch das Unrecht und Straflosigkeit in Mexiko herrschen. Es ist uns unmöglich, angemessene Worte für das, was wir fühlen, zu finden. Wir wissen auch nicht, wie wir auf diese Gefahr angemessen reagieren können.“

Nadia Dominique Vera Pérez, eines der Opfer, arbeitete als Produzentin und als Kulturmanagerin. Sie richtete Cuatro x Cuatro, das internationale Festival für moderne szenische Kunst, in der Stadt Xalapa in Veracruz aus, das in Mexiko in der Tanzszene eine wichtige Rolle einnimmt. In der gleichen Stadt rief sie außerdem das Filmfestival Oftálmica ins Leben und erst kürzlich organisierte sie eine Tournee des spanischen Musikers Albert Plá.

In dem Brief der mexikanischen Künstler heißt es weiter: „Als Anthropologin glaubte Nadia fest an den Einfluss der Kunst, um eine soziale Veränderung zu bewirken. Nadia war politisch sehr aktiv und setzte sich für die Menschenrechte ein, für die Meinungsfreiheit und engagierte sich gegen die Gesetzeswidrigkeiten seitens der Regierung. Sie solidarisierte sich mit den Opfern, Toten und Verschwundenen in unserem Land. Mehrfach äußerte Nadia ihre Befürchtungen: Sie fühlte sich überwacht und wurde wegen ihres politischen Einsatzes im Staat Veracruz wiederholt bedroht.“

Die mexikanischen Künstler erinnern in ihrem Brief auch an die anderen drei Frauen, die mit Espinosa und Vera ermordet wurden: Yesenia Quiroz Alfaro, Mile Virgina Martín und Alejandra Olivia Negrete. Sie schreiben: „Auch wenn wir leider wenig von ihnen wissen, können wir zumindest ihre Namen an die Öffentlichkeit tragen. Diese Frauen hatten Freunde, Familie, Pläne für die Zukunft, sie hatten Vergangenheit und ihre eigenen Persönlichkeiten.“ Nur internationaler Druck auf die mexikanische Regierung könne helfen, dass sich die Situation in Mexiko ändert. „Wir leben in einem Mexiko, in dem mehr als 90 Prozent der Verbrechen ungesühnt bleiben, in dem die Staatsgewalt mit immer mehr Zynismus ausgeübt wird, und in dem Gerechtigkeit ein unerreichbarer Gedanke scheint. Unser Land geht zugrunde, während die Gewalt immer mehr an Heftigkeit zunimmt. Es wird immer gefährlicher, hier zu leben.“

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Goggo Gensch

Autor, Dokumentarfilmer, Kurator. Lebt in Stuttgart.

Goggo Gensch

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