"Gerade jetzt, ein Ziel: Nakba!"

Israels Kriegsziele Täglich neue Horror-Nachrichten aus Gaza. Nach den grausamen Hamas-Morden wurden inzwischen mindestens 18.000 Palästinenser getötet, die Mehrheit Frauen und Kinder, also keine Hamas-Kämpfer. Von Georg Rammer

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Unvorstellbare Schreckensbilder von Töten, Zerstören, Aushungern, Vertreiben, verzeifelte Menschen in Panik, Kinder für ihr Leben gezeichnet. Kein Ende des Abschlachtens abzusehen, nicht einmal Verhandlungen.

Deutsche Medien vermuten hinter dem völkerrechtswidrigen Vorgehen Israels Rache für die menschenverachtenden Morde der Hamas. Rache mag vielleicht die Stimmungslage von Teilen der Bevölkerung in Israel bestimmen, nicht aber die Strategie der politischen und militärischen Führung.

Israels Armeesprecher Daniel Hagari nennt als Ziel der Bombardierungen in Gaza: "Der Fokus liegt auf Zerstörung, nicht Präzision." Israel bekennt sich zu Kriegsverbrechen, nämlich Unverhältnismäßigkeit, als Grundlage seiner Militärstrategie. Verteidigungsminister Yoav Gallant gab von Anfang an Völkerrechtsbrüche als Strategie bekannt: "Wir haben eine vollständige Blockade über Gaza verhängt. Kein Wasser, keine Lebensmittel, kein Gas, alles ist zu."

Andere Äußerungen, Beschlüsse und Gesetze der Regierung lassen ein weiter reichendes Motiv erkennen, das zu wenig thematisiert wird. Im Koalitionsrahmenvertrag der rechtsextremen Regierung Netanjahus heißt es bereits im ersten Satz: "Das jüdische Volk hat ein exklusives und unveräußerliches Recht auf alle Teile des Landes Israel (…) – Galiläa, Negev, den Golan und Judäa und Samaria." Im Juni 2020 schrieb Amnesty International: "Im Rahmen eines im April geschlossenen Abkommens zur Bildung einer Koalitionsregierung einigten sich der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und dessen politischer Rivale Benny Gantz ... über die `Annektierung´ von Teilen des besetzten Westjordanlandes, einschliesslich israelischer Siedlungen und des Jordantals." Der UN-Menschenrechtsrat zitiert Premierminister Netanjahu, der am 10. September 2019 seine Absicht erklärte, das Jordantal zu annektieren. Sein Nachfolger Bennett verkündete am 17. Mai 2022 in einer Rede an Siedler im Westjordanland: Mit der Hilfe Gottes werden wir hier noch sein, wenn wir den fünfzigsten und siebzigsten, ja hundertsten, zweihundertsten und zweitausendsten Geburtstag von Elkana feiern in einem vereinten und souveränen jüdischen Staat im Land von Israel.

Das Ziel der israelischen Regierung ist Annexion der besetzten Gebiete und das Mittel ist Terror und Vertreibung. Bereits wenige Stunden nach dem Massaker der Hamas twitterte ein Abgeordneter von Netanjahus Likud-Partei im Parlament: "Gerade jetzt, ein Ziel: Nakba (Vertreibung)! Eine Nakba, die die Nakba von 48 in den Schatten stellt." In einer lesenswerten Analyse schrieb Peter Lintl im Januar 2023 für die Stiftung Wissenschaft und Politik, die Bundestag und Bundesregierung in Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik berät: Inzwischen sind in der israelischen Regierung "zwei Schlüsselpositionen, die die Rahmenbedingungen des Lebens der Palästinenser im Westjordanland maßgeblich mitbestimmen, nun in den Händen von Personen, die die palästinensische Bevölkerung umsiedeln wollen." Im Konflikt mit den Palästinensern werde ein Sieg angestrebt. "Die Integration des Westjordanlands in das Rechtsgebiet des Staates Israel soll unumkehrbar gemacht werden." (https://www.swp-berlin.org/publications/products/aktuell/2023A03_Israels_antiliberaleKoalition.pdf)

Die Gelegenheit ist günstig, mit Vertreibung und Annexion in Gaza zu beginnen. Die UNO schlägt Alarm: „Dies ist die größte Vertreibung des palästinensischen Volkes seit 1948.“ Sie meldet, dass 80 Prozent der Bevölkerung von Gaza aus ihren Wohnungen vertrieben wurden. Das sei “die größte Vertreibung des palästinensischen Volkes seit 1948”. Die israelische Politik hat keinen Hehl daraus gemacht, dass sie die besetzten Gebiete nicht aufgeben wird und den Siedlungsbau im Westjordanland weiter voranzutreiben gedenkt. Das Ziel ist ein jüdischer Staat, "Eretz Israel", mit möglichst wenig Palästinensern ohne Bürgerrechte. Während die deutsche Politik verbal an der Zwei-Staaten-Lösung festhält, ohne jeden Nachdruck für ihre Verwirklichung, wird die reale Lage in eine ganz andere Richtung verschoben - eine Richtung, die seit Jahren heimlich diskutiert und geplant wird.

Vor genau sechs Jahren konnte man etwa einen Bericht bei n-tv.de lesen: "Zwangsumsiedlungen im Nordsinai, israelische Vorstöße sowie neue Allianzen befeuern Spekulationen über eine Regelung des Nahostkonflikts abseits der Zwei-Staaten-Lösung. Soll den Palästinensern ein eigener Staat im Gazastreifen und in Teilen der zu Ägypten gehörenden Sinai-Halbinsel angeboten werden? (...) Israels Siedlungsbau im Westjordanland und in Ost-Jerusalem hat Realitäten geschaffen, die der Gründung eines palästinensischen Staatsgebildes entgegenstehen." Nun ist Gaza zerstört, die Menschen vertrieben. Aber schon 2017 sprach sich eine israelische Ministerin "klar für die Schaffung eines palästinensischen Staates im Sinai aus. Einem Palästinenserstaat im Westjordanland erteilte sie dabei eine Absage." Welches Ziel verfolgt Israel?

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Geschrieben von

grammer

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