Comeback der "Herz-Jesu-Sozialisten"?

CSU vor der Landtagswahl Die CSU rennt der AfD hinterher: Den Rechten versucht sie durch immer neue Rhetorik und Gemeinheiten zuvor zu kommen. Damit wird sie bei der Landtagswahl scheitern

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Horst Seehofer
Horst Seehofer

Foto: Joerg Koch/Getty Images

Es ist eigentlich kein neues Bild, das sich während dieser Koalitionsverhandlungen zwischen CDU, CSU und SPD bietet. Man hat sich an das Begleitrauschen aus Populismus und Gemeinheiten gewöhnt, mit dem die CSU schon im Wahlkampf punkten wollte. Noch am Wahlabend verkündete Horst Seehofer, nun aber müsste wirklich nach Rechts dicht gemacht werden. Seehofer wurde sehr deutlich, in Militärsprache kündigte er an, "jetzt die Flanke schließen" zu wollen.

Seitdem machen für die CSU vor allem Generalsekretär Andreas Scheuer und der gescheiterte Bundesminister Alexander Dobrindt Stimmung gegen alles, was nur den Anschein von Barmherzigkeit und Ausgewogenheit macht. Mit ihrem Getöse tragen sie, vor allem Dobrindt, wie zu hören war, einen gewaltigen Teil der Verantwortung am Scheitern der Jamaika-Sondierungen. Und anders als von den Parteichefs gewünscht und von den Verhandlern verabredet, ließen sie auch während der Sondierungen zwischen Union und SPD und der derzeitigen Koalitionsverhandlungen nicht von ihrem Werk.

Will die CSU die Große Koaliton verhindern?

Gestern machte die Nachricht von einer Einigung in der Frage des Familiennachzugs die Runde. Es dauerte nicht lang, da verkündete Scheuer: "Die CSU hält Wort." Blöd nur, dass die SPD-Verhandler die selbe Botschaft unter ihre Parteimitglieder bringen müssen, damit eine Koalition überhaupt zu Stande kommt. Es können sich schwerlich beide durchgesetzt haben. Die Diskussion um den Familiennachzug fühlt sich an wie das Obergrenzen-Theater reloaded.

Allenthalben brüllt es aus AfD und CSU, dass eine Mehrheit eine restriktive Einwanderungspolitik wünscht. Sie stützen sich auf neueste Umfragen. Nimmt man stattdessen das zuverlässigere Wahlergebnis der Bundestagswahl zur Hand, ergibt sich ein anderes Bild. Wählerinnen und Wähler der Partei DIE LINKE, der GRÜNEN, der SPD und auch der CDU dürften sich darauf verlassen haben, dass mit den Stimmen ihrer Parteien eine humane Flüchtlings- und Einwanderungspolitik betrieben wird. Wer erinnert sich noch an die Merkelsche Ablehnung der Obergrenze?

Das langanhaltende und ermutigende Engagement vieler Ehrenamtlicher in der Flüchtlingshilfe überall im Land deutet ebenso darauf, dass wirklich nur eine Minderheit tatsächlich ein Problem damit haben, Menschen in Not beizustehen. Selbst wenn diese inzwischen - und dank der Propaganda von Rechts, an der sich die CSU willfährig beteiligt - knapp in der Mehrheit sein sollten, gilt umgekehrt: Ohne die "Minderheit" der Flüchtlingsfreunde, Obergrenzengegner und Familiennachzügler lässt sich keine Regierung bilden.

Da sie in der CSU nicht auf den Kopf gefallen sind, wird ihnen bewusst sein, dass nicht nur beim Thema Migration die SPD-Verhandler ihren Mitgliedern schon etwas anbieten müssen. Etwas richtig Überzeugendes. Die Quertreiberei aus der CSU hat darum entweder zum Ziel, die Große Koalition zu verhindern - und was dann? -, oder sie ist purer Affekt. Vielleicht können Dobrindt und Scheuer einfach nicht an sich halten?

Es ist die Landtagswahl, stupid!

Am Ende richten sich die Bemühungen der CSU auf die kommende Landtagswahl im Freistaat. Nicht nur die absolute Mehrheit ist in Gefahr, es schaut auch nicht so aus, als ob man sich aus diesem Dilemma mittels einer vergleichsweise simplen Koalition mit der FDP befreien könnte. Was bleibt dann? Soll die CSU ein Dreierbündnis mit marginalisierten Freien Wählern und Liberalen bilden? Läuft es auch in Bayern auf eine Große Koalition hinaus? Soll die CSU mit der AfD koalieren?

Die CSU ist zum Siegen verdammt und ihr fällt nichts Besseres ein, als alte Rezepte anzuwenden. Die Schotten dicht. Die Flanke schließen. Es ist ja nicht nur, dass Rechte dann doch lieber das Original wählen. Meint die CSU tatsächlich sich als Angebot für Protestwähler anbieten zu können? Die Regierungspartei CSU spielt rechtspopulistische Opposition. Die Analyse des Bundestagsergebnis hätte genau das Gegenteil ergeben müssen: Nicht noch mehr rechtspopulistischer Lärm, nicht noch mehr Anbiederung an den Stammtisch, nicht noch mehr Flanke schließen. Nicht nur die Rhetorik, auch die Politik der Christlich Sozialen Union ist inzwischen derjenigen der AfD zum Verwechseln ähnlich.

Stattdessen müsste sich die CSU als Staats- und Regierungspartei mit Gefühl inszenieren. Das kann sie doch auch sein. Ihre unbestreitbaren Regierungserfolge in Bayern liegen auf dem Tisch. Fast alles funktioniert in Bayern besser als im Rest der Republik: Weniger Kriminalität, mehr und besser entlohnte Arbeit, erstaunliche Integrationserfolge, selbst die Schülerinnen und Schüler bewegen sich im Ländervergleich in der Spitzengruppe. Sicherheit, wirtschaftlicher Erfolg und Wohlbefinden, das wären die eigentlichen Themen der CSU.

Die CSU braucht dringend ein Comeback der "Herz-Jesu-Sozialisten".

Comeback der "Herz-Jesu-Sozialisten"?

Früher einmal in einer anderen Republik war Horst Seehofer so einer, aber es gibt sie landauf landab immer noch: Die sich herzlich kümmernden Lokalpolitiker, die sich mit Charme und Witz für den eigenen Sprengel einsetzen. Die katholische Landfrau, die selbstverständlich in der Flüchtlingsunterkunft hilft. Und auch den Unternehmer, der seine Leute anständig bezahlt und nichts auf seine Azubis kommen lässt, stammen deren Eltern auch aus der Türkei oder vom Balkan. Überhaupt die Zugewanderten aus dem Osten, aus Russland oder Südosteuropa, die in Bayern ihr Glück gefunden haben, weil man durch Arbeit und Folklore einen Platz in der Gesellschaft findet (zugewiesen bekommt).

Die "Herz-Jesu-Sozialisten" der Union eben, die die Süddeutsche Zeitung schon 2003 zu vermissen begann, jene die für "gemäßigte Umverteilung, den friedlichen Ausgleich" sind. "Sie waren der Kontakt der Honoratiorenpartei zu den kleinen Leuten, parlamentarischer Arm der katholischen Verbände. Kurz: eine der Garanten, dass CDU zur erfolgreichsten Partei der deutschen Nachkriegsgeschichte wurde." Auf ihnen gründet bis heute der Erfolg der Staats- und Regierungspartei CSU, nicht auf rechten Parolen. Wo sind die "Herz-Jesu-Sozialisten" der CSU jetzt? Und, werden sie noch rechtzeitig vor der Katastrophe aus der Deckung kommen?

Der Rechtskurs wird dazu führen, dass die CSU die Landtagswahl verliert. Ja, sie wird stärkste Kraft bleiben, aber wie soll regiert werden? Dass ausgerechnet das gut funktionierende Bayern im Herbst unregierbar werden könnte, hat sich allein die CSU zuzuschreiben. Doch es geht um mehr als eine vergeigte Landtagswahl: Mit ihrem strikten Rechtskurs und der von Scheuer und Dobrindt vorgetragenen Doppelmoral und Ekelrhetorik entfremdet sich die CSU ihren Wählern, in den Städten und unter den Katholiken, die mehr mit ihrem Glauben verbinden als die gelegentliche Hetze gegen Andersgläubige und traditionsbesoffene Selbstbespiegelung.

Söder, der Retter der politischen Kultur?

Ohne Stadtbevölkerung und Katholiken als Wähler kann die CSU nicht existieren. Zumindest bei Bundestagswahlen braucht sie auch die Stimmen aus Erlangen, Augsburg und München. Braucht sie die Stimme der katholischen Landfrau. Andernfalls kann die CSU sich ihre ach so geliebte bundespolitische Bedeutung abschminken.

Horst Seehofer und seine Jungs aus der Schmuddelecke führen die CSU in den sicheren Untergang als Volkspartei. Niemand braucht eine Staatspartei, die immerzu schimpft, statt Stolz auf das Erreichte, Sorge um die Schwachen und eine positive Zukunftsvision zu verknüpfen. Da kann man gleich FDP, SPD oder Grüne wählen. Oder wenn man aufs Schimpfen steht eben AfD. Indem sich die CSU der AfD angleicht, macht sie sich kleiner als sie müsste.

Einer hält sich zurzeit zurück: Der designierte Ministerpräsident Markus Söder überlässt Horst Seehofer die Berliner Bühne, auf der Dobrindt und Scheuer für die Landtagswahl vortanzen. Aber Söder muss die Landtagswahl am Ende gewinnen. Sonst ist er, wie die Mehrheit der CSU passé. Vielleicht reift ja beim politischen Chamäleon Söder die Erkenntnis, dass er es Dobrindt-Style nicht schaffen wird. Und, dass er es lieber mit dem herzlichen, vereinnahmenden Katholizismus versuchen sollte, für den die Christlich Soziale Union auch stehen kann. Davon würde die CSU und nicht zuletzt auch die politische Kultur im Land profitieren. Nur Scheuer und Dobrindt verlören, weil sie es sich im Bund und im Land dauerhaft in der zweiten Reihe bequem machen müssten.

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Geschrieben von

Philipp Greifenstein

freier Journalist und Referent, Twitter: @rockToamna, Redakteur des Magazins für Kirche, Politik und Kultur "Die Eule"

Philipp Greifenstein

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