Klimagerechtigkeit

Der Deutsche Ethikrat hat eine Stellungnahme unter diesem Titel verfasst. "Die Bewältigung des Klimawandels wirft schwerwiegende Fragen nach Gerechtigkeit und Verantwortung auf... Belastungen und Verantwortlichkeiten müssen ... gerecht verteilt werden."

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Die frei verfügbare Datei umfasst insgesamt 128 Seiten. Dazu kommt eine Seite, auf der die Mitglieder aufgezählt werden. Die 21 Professoren werden von einer Regionalbischöfin, einem Doktor der Medizin und einem Menschen ohne Titel ergänzt. Fünf der Professoren haben in einem naturwissenschaftlichen Fach promoviert.

Die Stellungnahme sowie die Kurzfassung sind auf der Seite des Deutschen Ethikrates als PDF verfügbar.

In der Zusammenfassung wird der Ausgangspunkt der Stellungnahme dargelegt:

"Das Klima ist der mit meteorologischen Methoden ermittelte Durchschnitt der langfristigen dynamischen Prozesse in der Erdatmosphäre und fasst regionale und globale Wettererscheinungen zusammen. Es bestehen keine vernünftigen Zweifel mehr, dass es seit Beginn der Industrialisierung durch menschliche Einflüsse zu einer globalen Klimaerwärmung kommt, vor allem durch Verbrennung fossiler Energieträger.

Eine ungebremste weitere Erderwärmung hätte katastrophale Folgen. Bereits jetzt häufen sich Extremwetterereignisse wie Starkniederschläge, Überschwemmungen, Hitzewellen und Dürren. Die Zerstörung menschlicher Lebensgrundlagen kann mittelbare Schäden wie Armut, Hungersnot und Flucht nach sich ziehen. Auch die menschliche Gesundheit ist durch Hitze, aber auch durch die Ausbreitung von Krankheitserregern und klimawandelbedingte psychische Belastungen gefährdet."

Es wird dann gezeigt, dass es drei Bereiche gibt, wie wir als Gesellschaft darauf reagieren können.

"Reaktionen auf die Herausforderungen des Klimawandels umfassen Maßnahmen zur Minderung der Erwärmung (Mitigation), Maßnahmen zur Anpassung (Adaptation) und technologische Ansätze zur Veränderung des Klimas (Climate Engineering)."

Danach wird der Anspruch aufgemacht, wie sich unsere Gesellschaft dazu verhalten sollte:

"Das in dieser Stellungnahme vertretene Konzept von Klimagerechtigkeit nimmt egalitaristische, suffizientaristische und prioritaristische Überlegungen auf. In egalitaristischen Theorien steht das Gleichbehandlungsgebot im Mittelpunkt. Suffizientaristische Konzeptionen fokussieren auf die Mindestbedingungen eines guten, gelingenden Lebens. Prioritaristische Ansätze plädieren für die Bevorzugung der am stärksten Benachteiligten."

Der Anspruch des Deutschen Ethikrates besteht darin

"ein Gerechtigkeitskonzept (entwickelt zu haben), das darauf abzielt, die Verteilung von Lasten und Pflichten in allen drei Dimensionen (die innergesellschaftliche, internationale und intergenerationelle Dimension) so zu gestalten, dass die Mindestvoraussetzungen für ein gutes, gelingendes Leben jetzt und in Zukunft erfüllt sind (Kapitel 3). Darauf aufbauend befasst er sich mit Schlüsselfragen zur Verantwortung im Klimawandel (Kapitel 4) und formuliert Empfehlungen (Kapitel 5)."

Nach dem Lesen der gesamten Stellungnahme wird man diese nicht in allen Punkten teilen. Auch einzelne Vertreter des Ethikrates haben auf Defizite in einem Sondervotum hingewiesen, welches immerhin 6 Seiten umfasst. Es beginnt mit:

"Der zentrale Topos der Klimagerechtigkeit bleibt erstaunlich unterbestimmt. Erstens wird nicht erörtert, wie sich die auf „Klimagerechtigkeit“ bezogenen Anstrengungen zu anderen „großen Menschheitsaufgaben“ – etwa dem Kampf gegen Hunger – verhalten bzw. konkret, warum ihnen oberste Priorität zukommt. Nachvollziehbare Kriterien hierfür werden nicht benannt, geschweige denn näher expliziert. Ähnliches gilt für die Frage der Risikobewertung (etwa im Vergleich zur friedlichen Nutzung der Kernkraft), so wie insgesamt Innovationsaspekte nur am Rande auftauchen. Auch das Verhältnis von Mitigation und Adaptation, die sehr unterschiedliche Gerechtigkeitsprobleme aufwerfen, ist unterbelichtet."

Danach wird kritisiert, dass der Jargon der Stellungnahme "akademisch" bleibt und nicht "verständlich erläutert" wird. Der soziale Aspekt, der in "Gerechtigkeit" ja eine herausgehobene Rolle spielen sollte, wird in dem Sondervotum noch einmal dezidiert angesprochen:

"Viertens kommt zu kurz, dass die befürwortete Klimaschutzpolitik in sozialer Hinsicht deutlich ungleiche Auswirkungen hat. Stattdessen beantwortet die Stellungnahme Fragen der innergesellschaftlichen Gerechtigkeit aus einer einseitig-elitären Perspektive. Die in Abschnitt 2.3 angeführte Wahlfreiheit im Hinblick auf mehr oder weniger CO2-lastige Lebenspraktiken ist für die meisten Menschen in Deutschland aufgrund ihrer persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht gegeben, selbst dann nicht, wenn ihnen finanzielle Hilfen bereitgestellt werden. Denn diese können – um nur ein Beispiel zu nennen – nicht ausgleichen, wenn Menschen aufgrund von Krankheit, Alter oder Wohnlage auf private Pkws angewiesen sind. Es ist schlicht unzureichend, auf erwartbare Unfreiheit und Ungleichheit mit dem bloßen Vorschlag monetärer Kompensation zu reagieren, zumal diese voraussichtlich weder alle Verluste ausgleichen wird noch in ihrer konkreten Verteilungslogik näher bestimmt ist. Darüber hinaus droht mit der umfangreichen CO2-Bepreisung, wie sie in der Empfehlung Nr. 4 angelegt ist, ein besonders eingriffsintensives Instrument zur umfassenden Steuerung und Überwachung privater Lebensführung etabliert zu werden – eine Gefahr, die die Stellungnahme mit keinem Wort erwähnt."

Das aus meiner Sicht schwerste Geschütz gegen den Inhalt der Stellungnahme fahren die Autoren am Schluss auf. Hier heißt es:

"Angesichts der vielfältigen normativen Leerstellen bleiben hier nicht nur die Konturen der hier für unbedingt unterstützungswert qualifizierten Klimapolitik im Unklaren, es fragt sich auch, weshalb es den mündigen Bürgern nicht selbst überlassen bleiben soll, die Ziele ihres jeweiligen politischen Engagements autonom zu bestimmen. Mit dieser Rhetorik desavouiert die Stellungnahme zudem das von uns ausdrücklich unterstützte Anliegen, dass es über das Anliegen des Klimaschutzes nicht zu einer Erosion oder Infragestellung der demokratischen Institutionen kommen darf."

Empfehlungen und Stellungnahmen des Deutschen Ethikrates hatten in jüngster Vergangenheit schon zu kontroversen Debatten geführt. Die jeweiligen Regierungsparteien haben sich dann das in ihr Programm Passende herausgesucht. Auch beim Klimaschutz scheint es nach demselben Schema abzulaufen. Deshalb sollten wir als mündige Bürger aufpassen, dass uns inbesondere unserer Mündigkeit nicht Schritt für Schritt abhanden kommt.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
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