Gewaltanwendungen gelangweilter Muslime?

Flüchtlingsdebatte Im Zuge der Flüchtlingsdebatte warnt Zeit-Journalist Martin Klingst vor gewalttätigen, jungen Muslimen. Dabei verfälscht er ein Zitat einer Studie aus dem Jahr 2010

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Gewaltanwendungen gelangweilter Muslime?

Bild: Sean Gallup/Getty Images

Flüchtlingsdebatte: Wie Zeit Online mit Desinformation Stimmung gegen junge Muslime macht

Zeit Redakteur Martin Klingst leistet sich in dem Artikel "Flüchtlingsunterkünfte: Gefährliche Langeweile" (Junge muslimische Männer, die wochenlang unbeschäftigt in Heimen warten – kann das explosiv werden?) vom 24.9.2015 entweder eine ungeheuerliche Fehlleistung oder den manipulativen Versuch Stimmung gegen junge Muslime herbeizuschreiben.

Klingst im Wortlaut:

"Und in einer Untersuchung der Fachhochschule Dortmund im Auftrag des Familienministeriums aus diesem Jahr steht: "Gewaltanwendungen, die von Jugendlichen muslimischer Herkunft angeführt werden, sind sehr vielfältig." Oft beruhten diese auf einem bestimmten Bild von Männlichkeit sowie der bedingungslosen Verteidigung der Familienehre."

Dieser Absatz enthält zwei gravierende Fehler. Zum einen stammt die Studie der Fachhochschule Dortmund aus dem Jahr 2010. Viel schwerer noch wiegt allerdings die Tatsache, dass Klingst das Zitat so beschnitten hat, dass die ursprüngliche Aussage der Wissenschaftler durch das Weglassen entscheidender Passagen völlig entstellt wird und in der Version des Zeit-Autoren eine komplett andere Botschaft entsteht, die von den zahlreichen rechtslastigen Kommentatoren des Artikels dankend aufgegriffen wird.

Das Originalzitat der Studie (Quelle):

"Die subjektiven Gründe für Gewaltanwendungen, die von den Jugendlichen muslimischer Herkunft angeführt werden, sind sehr vielfältig. Neben den migrationsbedingten bzw. sozialstrukturellen Aspekten, wie z.B.Diskriminierungserfahrungen aufgrund der ethnischen und sozialen Herkunft, kommen kulturelle hinzu, wie beispielsweise das Männlichkeitskonzept, Werte wie Solidarität und Loyalität sowie die bedingungslose Verteidigung der Ehre (auch von weiblichen Familienmitgliedern)."

Nicht die Gewaltanwendungen der muslimischen Jugendlichen, sondern deren Gründe sind vielfältig. Die migrationsbedingten bzw. sozialstrukturellen Aspekte, die von der Autoren der Studie an dieser Stelle erwähnt werden, verschweigt der Zeit-Redakteur.

Die Behauptung "Oft beruhten diese auf einem bestimmten Bild von Männlichkeit sowie der bedingungslosen Verteidigung der Familienehre", wird so in der Passage der Wissenschaftler nicht formuliert.

Wie will ein gestandener Journalist wie Klingst diese manipulative Interpretation einer Studie erklären? Bislang hüllt er sich in Schweigen. Die Kommentarfunktion zu seinem Artikel auf Zeit Online wurde eingestellt. Auf Nachfrage erhielt ich bislang keine Antwort der Zeit Redaktion. Mein Zeit Online Account hingegen wurde einen Tag später zum wiederholten Mal gesperrt.

Update 25.9.2015

Auf Nachfrage erreichte mich eine Antwort des Autoren der zitierten Studie, Prof. Dr. Ahmet Toprak:

"Die zitierte Studie ist von mir und Sie haben recht. Der Autor hat einfach verkürzt zitiert. Ich habe bereits mit ihm kommuniziert. Er meinte, dass die Redaktion das Zitat verkürzt hätte. Wir werden am Montag ausführlicher darüber reden. Ich hoffe, dass wir einen gemeinsamen Weg finden werden, um das richtig zu stellen."

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
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