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Matt plus zwei Züge

Am 29. Oktober trat Angela Merkel zugunsten von Friedrich Merz von all ihren politischen Ämtern zurück, in zwei Zügen. Den Zeitpunkt des Rücktritts als Parteivorsitzende legte sie auf den Bundesparteitag der CDU am 7./8. Dezember fest. Den Zeitpunkt des Rücktritts als Bundeskanzlerin ließ sie zunächst offen, indem sie sagte, sie sei bereit, dieses Amt noch bis zum Ende der Legislaturperiode auszuüben.

Obwohl das Ereignis nicht vorhersagbar war, kam es doch auch nicht überraschend. Bereits beim letzten regulären Parteitag vor zwei Jahren, auf dem Angela Merkel noch einmal zur Kanzlerkandidatin gekürt wurde, hatte Jens Spahn erfolgreich den Aufstand geprobt. Er hatte damals in der Frage der doppelten Staatsbürgerschaft eine Parteitagsmehrheit gegen die Parteivorsitzende und Kanzlerin organisiert, wohl kaum, ohne dabei die Unterstützung seines Mentors Wolfgang Schäuble zu genießen. Als Angela Merkel noch fest im Sattel saß, wäre ein parteiinterner Gegner nach einer solchen Aktion kaltgestellt worden. Nach herben Stimmverlusten der Union bei der Bundestagswahl 2017 und zähen Koalitionsverhandlungen in zwei Konstellationen, sah sich Angela Merkel gleichwohl gezwungen, Jens Spahn ein Ministeramt anzubieten. Sie konnte gerade noch verhindern, dass das Finanzministerium an ihren parteiinternen Gegner fiel, indem sie dieses an die SPD abtrat. Dieser Schachzug hat ihre Stellung nicht verbessert.

Am 25. September 2018, zwei Tage nach der Entscheidung in der Maaßen-Affäre, wurde Merkels enger Vertrauter Volker Kauder als Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag gestürzt. Das Amt fiel an den nordrhein-westfälischen Haushalts- und Finanzpolitiker Ralph Brinkhaus, der dem konservativen Flügel der CDU zugerechnet wird und ein Vertrauter von Jens Spahn ist.

Am 14. Oktober in Bayern und 28. Oktober in Hessen verlor die Union in Landtagswahlen dramatisch an Wählerstimmen, was in beiden Fällen der Bundespolitik und damit der Regierungsführung Angela Merkels zugerechnet wurde. Ebenfalls in beiden Fällen verließen die Wähler die Union in zwei Richtungen – zu den Grünen und zur AfD. Die Strategie Merkels, durch eine gesellschaftspolitische Erneuerung der CDU diese zur Partei des ergrünenden Bildungsspießers zu machen, musste als endgültig gescheitert gelten. Gleichzeitig wurde erneut klar, dass diese Strategie immer mehr Zustimmung konservativer Wähler kostete.

Wir wissen nicht, ob die parteiinternen Gegner am Abend des 28. oder am Morgen des 29. Oktober Merkel Schach boten und die Kandidatur von Friedrich Merz für das Amt des Parteivorsitzenden auf dem Bundesparteitag im Dezember ankündigten oder ob Angela Merkel diesen Zug voraussah. Sicher ist, dass nach dieser Ankündigung die Partie Matt in einem Zug stehen musste, denn das Merkel sich unter den gegebenen Umständen gegen eine Kampfkandidatur von Merz halten könnte, war undenkbar. Das werde ich weiter unten ausführen.

Ebenso undenkbar ist, dass Merz nach einer Wahl zum Parteivorsitzenden Merkel länger als Kanzlerin akzeptieren wird. Lindner hat ja in gewissen Sinne Recht, dass Merkel vom falschen Amt zurückgetreten ist – in dem Sinne, dass die Wähler nicht von ihrer Amtsführung als Parteivorsitzende enttäuscht sind. Politisch war es gleichwohl richtig, für die Öffentlichkeit die Illusion aufrechtzuerhalten, ihre Kanzlerschaft habe kein sehr kurzes Verfallsdatum. Nur dadurch bleibt sie überhaupt in gewissem Maße handlungsfähig – und das ist bis zur Machtübernahme auch im Sinne ihrer parteiinternen Gegner.

Wenn all dem so ist, stellt sich die Frage, warum Annegret Kramp-Karrenbauer und Jens Spahn ihre Hüte in den Ring geworfen haben. Diese Fälle müssen wir hier diskutieren, bevor wir uns Friedrich Merz zuwenden.

Die vornehme Blasse

In anderen Zeiten wäre Kramp-Karrenbauer eine plausible Kandidatin für den Parteivorsitz und das Kanzleramt gewesen. In der gegenwärtigen Situation beträgt ihre Chance exakt Null, schon, weil sie zum Merkel-Flügel gehört und weil es ein Problem ist, dass es überhaupt einen Merkel-Flügel gibt. Merkel hat aus der schwarzen CDU eine graue Partei gemacht. Den Unterschied in den Grautönen von Merkel und Kramp-Karrenbauer kann man nur mit sehr guten Augen ausmachen – und er besteht in der größeren Blässe Kramp-Karrenbauers.

Nun ist Blässe vornehm, mitunter sogar in der Politik. Das Ende der 2010er Jahre ist aber die Zeit der grellen Farben und Töne. Weniger abstrakt gesagt, ist Merkel wegen eines Problems zurückgetreten, das die CDU hat. Dieses Problem ist nicht das Gesicht der Parteivorsitzenden sondern die Gesichtslosigkeit der Partei. Kramp-Karrenbauer kann es nicht lösen. Niemand aus dem Merkel-Flügel kann das, denn Gesichtslosigkeit ist geradezu das Programm dieses Flügels. Zudem kann sich Kramp-Karrenbauer nicht deutlich von Merkel distanzieren, ohne als Verräterin angesehen zu werden und nicht für einen Neuanfang stehen, wenn sie sich nicht deutlich von Merkel distanziert. Ihre Kandidatur ist tatsächlich schon aus diesen Gründen aussichtslos.

Zudem zeigen die Erwägungen im vorherigen Abschnitt, dass der konservative Flügel bereits eine solide Mehrheit hinter sich weiß. Anderenfalls hätte eine Angela Merkel nicht das Handtuch geworfen. Der niedergelegte König zeigt das Matt an. Warum hat Kramp-Karrenbauer dann ihre Kandidatur angekündigt?

Zunächst einmal konnte sie nicht wie Armin Laschet das Tigerkätzchen spielen, das nicht hüpft. Als Generalsekretärin und Wunschnachfolgerin Merkels musste sie zumindest antreten – sonst hätte sie doch zu blass gewirkt. Des Weiteren braucht auch ein Friedrich Merz jemanden, der den Merkel-Flügel integriert. Die Anhänger dieses Flügels müssen unbedingt einen Kandidaten haben, weil sie sich sonst völlig marginalisiert fühlen. Wenn Merz klug ist, belässt er Kramp-Karrenbauer nach seinem Sieg im Amt der Generalsekretärin. Anders wird die Partei nicht zusammenzuhalten sein.

Jens im Pech?

Auf den ersten Blick ist Jens Spahn der noch größere Kollateralschaden von Merkels Rücktritt als Annegret Kramp-Karrenbauer. Er galt als möglicher Nachfolger Merkels und auf dem CDU-Parteitag wird er noch weniger Stimmen erhalten als Kramp-Karrenbauer, schon, weil er dem gleichen Lager angehört wie Merz. Warum tritt er an?

Erstens ist Spahn 38 Jahre alt, Kramp-Karrenbauer 56 und Merz zum Zeitpunkt des Parteitags 63. Politisch kann Spahn nur gewinnen, weil diese Kandidatur seinen Bekanntheitsgrad steigert und sein Profil in den Augen der Öffentlichkeit schärft. Der Altersunterschied ist so groß, dass Spahn nach Merz noch relativ jung ins Kanzleramt gelangen kann. Dieser Altersunterschied ist auch der Grund, warum der konservative Flügel mit Spahn zu diesem Zeitpunkt Merkel noch nicht hätte schachmatt setzen können, während das mit Merz ging. Zweitens muss Merz integrierend aussehen. Wie oben gesagt, war die Existenz eines Merkel-Flügels für die Parteivorsitzende Merkel ein Problem. Im Dezember gewinnen die Konservativen in der CDU die Macht, aber es darf nicht so aussehen, als gewönne ein Merz-Flügel.

Hier erschließt sich die Rolle Spahns. Er wird den Kontrast zu Merz spielen und hat damit in der Migrationsfrage bereits angefangen. Spahn fängt den rechten Rand der CDU auf und macht ein Angebot an die zur AfD abgefallenen Wähler. Das ist wenig riskant für ihn. Bis er als Kanzlerkandidat in Frage kommt, vergehen mindestens sechs Jahre. In dieser Zeit kann er sich schrittweise moderater geben – es sei denn, das Wählerpotential der CDU bewegt sich dorthin, wo er jetzt steht.

Spahn wird nicht nur den rechten Flügel integrieren, er wird auch selbst von Merz integriert werden, zumal er, Schäuble und Brinkhaus die politischen Vorstellungen von Merz teilen. Es ist zumindest nicht unwahrscheinlich, dass Spahn Finanzminister einer Regierung Merz werden wird.

Lehmans Bruder

Friedrich Merz ist der Kandidat des Finanzkapitals. Das ist keine marxistisch gefärbte Aussage, sondern nach Lage der Dinge nur eine Tatsachenfeststellung. Insofern ist Merz mit Hillary Clinton zu vergleichen, deren identitätspolitische Vernebelungstaktik allerdings nicht seine Sache ist. Auch der Gegensatz zwischen einem Kandidaten des Industriekapitals, in den USA Trump, und einem des Finanzkapitals, besteht in Deutschland in dieser Weise nicht. Die Lage ist eher wie in Frankreich, wo der als politischer Außenseiter verkaufte Macron der Kandidat sowohl des Finanz- als auch des Industriekapitals war. Merz saß bis 2014 im Verwaltungsrat der BASF. Auch in den USA ist dieser Interessengegensatz ja nur moderat. Wer auch immer in einer westlichen Demokratie gewählt wird – Goldman Sachs regiert immer mit, auch bei Trump.

Mit Friedrich Merz bekommt Deutschland einen Kanzler, der den Ideen anhängt, die zur Finanzkrise 2008 geführt haben. Er hatte das Glück, diese Ideen in den Jahren nach der Krise nicht im politischen Raum vertreten zu müssen und erscheint deshalb jetzt, wie Macron 2017, als politischer Außenseiter. Zudem werden in Deutschland die Folgen der Finanzkrise wenig wahrgenommen, weil durch die Agenda 2010 Sozialabbau und Reallohnverlust der Krise bereits vorgelagert waren. Das bezogen auf die Produktivität niedrige Lohnniveau führt zudem zu einer im europäischen Vergleich geringen Arbeitslosigkeit und der damit verbundene Exportüberschuss zu gesunden Staatsfinanzen. Merz muss an die Macht gelangen, solange die Party noch anhält. Schon deshalb musste Merkel jetzt matt gesetzt werden.

Friedrich Merz ist der Kandidat der Transatlantiker – er ist sogar Vorstandsvorsitzender des Atlantik-Brücke e.V. und Mitglied der Trilateralen Kommission. Das prädestiniert ihn geradezu zum CDU-Vorsitzenden und Bundeskanzler. Schon wegen dieser Vernetzung und der Angewiesenheit der CDU auf eine Finanzierung aus der Wirtschaft wäre es naiv, Kramp-Karrrenbauer oder Spahn irgendwelche Chancen gegen Merz einzuräumen.

Friedrich Merz ist der Kandidat derjenigen, die tatsächlich die Macht haben.

Nach alldem könnte man erwarten, dass ich persönlich lieber einen Sieg Kramp-Karrenbauers sähe. Bei aller Sympathie für die aussichtslose Kandidatin ist dem nicht so. Demokratie braucht politische Alternativen. Ich sehe die CDU gern auf der rechtskonservativen Seite und als offen sichtbare Partei der Wirtschaft – aus zwei Gründen. Erstens ermöglicht das den Aufbau einer Gegenposition. Zweitens gibt es konservative Wähler, auch rechtskonservative Wähler, und mir ist es lieber, wenn diese sich bei der CDU aufgehoben fühlen und nicht bei der AfD. Im europäischen Vergleich ist Friedrich Merz sogar noch gegenüber anderen rechtskonservativen Politikern, die nicht rechtspopulistisch sind, als moderat einzustufen.

Was sonst noch geschehen wird

Soweit erscheint mir alles klar. Was aber wird passieren, sobald Merz Parteivorsitzender ist und nach der Kanzlerschaft greift? Die SPD kann ihn nicht zum Kanzler wählen, ohne politischen Selbstmord zu begehen. Nun könnte man sagen, dass die SPD so oder so im Sterben liegt und sich ja auch keine Neuwahlen leisten kann. Erstens stirbt aber die Hoffnung zuletzt und mit einem Merz an der Spitze der CDU öffnet sich eine politische Lücke für die SPD, die es mit Merkel nicht gab. Zweitens wird es keine Neuwahlen geben, denn die kann sich auch Merz nicht leisten. Er will selbst nicht mit der SPD koalieren und er muss auch nicht.

Das Hindernis für ein Jamaika-Bündnis war nur die Person Merkels. Dass Merz und Lindner miteinander können, sollte niemanden überraschen. Ihre politischen Positionen unterscheiden sich etwa so stark voneinander, wie diejenigen von Merkel und Kramp-Karrenbauer. Den neuen Außenminister Cem Özdemir kennt Merz aus der Atlantik-Brücke. Die CSU wird sich bereitfinden, Horst Seehofer durch Joachim Herrmann zu ersetzen und das wird die Parteispitze der Grünen als den Erfolg verkaufen können, der ihre Basis Merz schlucken lassen wird. Merz wird Meinungsäußerungen zur Migrationsfrage anderen CDU-Politikern, wie etwa Spahn und Strobl überlassen, um bei den Grünen gut Wetter zu machen. Die Möglichkeit dieses Koalitionswechsels begründet übrigens die Mattstellung von Angela Merkel in der Kanzlerfrage.

Alle werden zufrieden sein, auch die SPD. Alle? Nein, der echte Kollateralschaden ist die AfD. Es wird Monate dauern, aber die nächste Bundestagswahl ist noch weit. Merz wird, im Gegensatz zu Merkel, die AfD glaubhaft angreifen können, weil seine Regierung deren berechtigten Kritiken durch politisches Handeln begegnen wird und weil er, anders als Merkel, reden kann. Die Wählerbasis der AfD ist nicht sehr gefestigt. Wenn Merz nicht durch eine Wirtschaftskrise gestoppt wird, bestehen gute Chancen, dass sich die AfD über der Frage, wie sie Merz begegnen soll, selbst zerlegt. Nicht dass mich das stören würde.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Gunnar Jeschke

Naturwissenschaftler, in der DDR aufgewachsen, gelebt in Schwarzheide, Dresden, Wako-shi (Japan), Bonn, Mainz, Konstanz und Zürich.

Gunnar Jeschke

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