Im Jahre 1992 schloss der amerikanische Politologe Francis Fukuyama aus dem nahezu vollständigen Zusammenbruch des realsozialistischen Systems, dass die geschichtliche Entwicklung demnächst an ein Ende kommen würde. Der wirtschaftliche und politische Liberalismus, sprich: Marktwirtschaft und Demokratie, hätten gesiegt, eine nennenswerte Gegenströmung gäbe es nicht mehr. Daher würden sich nun die Demokratie und Marktwirtschaft westlicher Prägung über die ganze Welt ausbreiten und sobald sie sich universell durchgesetzt hätten, geschähe nichts mehr. Diese These wurde in ihrer Absolutheit zwar nie von anderen, einigermaßen vernünftigen politischen Beobachtern geglaubt. Aber noch im Juni 2014 behauptete Josef Joffe in Der Zeit, dass Fukuyama bezüglich des Siegeszuges von Demokratie und Marktwirtschaft im Wesentlichen Recht behalten habe. Es gäbe inzwischen 120 Demokratien, viermal mehr als 40 Jahre zuvor, auch wenn nicht jede das Prädikat „Westminster“ verdiene.
Der Begriff der „Westminster-Demokratie“ lädt mich zu einer nötigen Abschweifung ein. Fukuyamas These hat nämlich eine ganze Generation von Politikern geprägt, neben Hillary Clinton auch diejenigen, die an eine immer größere und immer enger verflochtene Europäische Union glaubten. Durch das Brexit-Referendum in der ursprünglichen Westminster-Demokratie ist dieser Prozess zum ersten Mal umgekehrt worden. Die Europäische Union wird nun kleiner und zwar deutlich, was Bevölkerungszahl und Wirtschaftskraft betrifft. In Großbritannien selbst bröckeln einige Charakteristika, die dem Westminster-System auf Wikipedia zugeschrieben werden.
Der Brexit verblasst als politischer Wendepunkt jedoch noch gegen den „Putschversuch“ vom 15./16. Juli in der Türkei, denn hier kehrt sich der Trend zur Demokratie westlicher Prägung weltgeschichtlich um. Natürlich findet eine solche Umkehr nicht an einem Tag statt. Ein dramatisches Ereignis kann den Umkehrprozess jedoch plötzlich deutlich machen.
Die westliche Demokratie in der Krise
Glaubt eigentlich tatsächlich jemand, bei der Stichwahl zum Amt des Österreichischen Bundespräsidenten habe es nur ein paar formelle Unregelmäßigkeiten gegeben und das Verfassungsgericht habe deshalb die ganze Stichwahl für ungültig erklärt und für die Zukunft die Bekanntgabe von Teilergebnissen der Wahl vor der Gesamtauszählung untersagt? Immerhin klafften zwei Teilergebnisse in statistisch sehr auffälliger Weise auseinander, das vorab bekannt gegebene aus den Wahlkabinen und das erst am Folgetag ausgezählte der Briefwahl. Und dieses statistisch schiefe Ergebnis wollen Meinungsforscher bereits vor Schließung der Wahllokale vorhergesagt haben- womit? – mit einem statistischen Modell doch wohl! Mit Verlaub, dieses statistische Modell würde ich gern sehen.
Was die bevorstehende Präsidentschaftswahl in den USA betrifft, so hat die Washington Post vor einigen Tagen die Ergebnisse mehrerer Umfragen zur Kandidatin Hillary Clinton veröffentlicht. Eine davon ist 68:30 ausgegangen. Gefragt worden war, ob die Kandidatin Hillary Clinton ehrlich und vertrauenswürdig sei. Liebe Leser, Sie ahnen auf welche der Antworten 68% entfallen sind. Die Alternative für die USA hieße allerdings Donald Trump. Können die USA unter diesen Umständen noch als stabile Demokratie bezeichnet werden?
Nun handelt es sich hier nur um zwei anekdotische Ereignisse. Man muss die Augen aber sehr fest verschließen, wenn man ähnliche Muster in anderen westlichen Ländern nicht bemerken will. Politik und Medien haben dramatisch an Vertrauen verloren. Das könnte daran liegen, dass die westlichen Politiker und Medien heute weniger Vertrauen verdienen als 1992 oder 1962, oder aber daran, dass die Bevölkerung sich heute vielseitiger informieren kann und Vertrauensbrüche eher bemerkt. Ich persönlich glaube Letzteres. Wichtig ist hier aber nur, dass das westliche System in den letzten Jahren erheblich an Attraktivität verloren hat, und zwar sowohl bei den eigenen Bürgern als auch von außen gesehen. Das muss man bedenken, wenn man die relative Attraktivität Erdogans in der türkischen Bevölkerung und unter den in Deutschland lebenden Türken verstehen will. Oder auch die Haltung vieler Russen zu Putin.
Putschversuch oder Putsch von oben?
Wie die Hurriyet Daily News berichtete, hat der Staatsanwalt der türkischen Stadt Edirne behauptet, CIA und FBI hätten Gülen-Anhänger für den Putsch ausgebildet. Dabei hat er sich ausdrücklich auch auf die Ereignisse des 17. Dezember 2013 bezogen, als Gülen-Anhänger im Justizapparat konzertiert Korruptionsvorwürfe gegen Erdogan-Treue im Staatsapparat erhoben hatten. Dieses Ereignis war mit einem sehr schnellen und lauten Echo in westlichen Medien verbunden, welche ein halbes Jahr zuvor auch die Gezi-Proteste lautstark propagiert hatten. In beiden Fällen bestand kein Zweifel daran, auf wessen Seite die westlichen Meinungsmacher standen.
Ich weiß so wenig wie Sie, was nun genau in der Nacht vom 15. zum 16. Juli 2016 in der Türkei geschehen ist. Ich neige eher nicht zu der Ansicht, amerikanische Dienste seien in die Auslösung dieses Putsches involviert gewesen – es wäre ein Beispiel an Dilettantismus wie es seit der Schweinebucht-Invasion vom 17.-19. April 1961 nicht mehr vorgekommen ist. Dass allerdings die schon Jahre andauernde Meinungsmache gegen Erdogan in westlichen Mainstream-Medien organisiert ist, dürften nur wirklich Naive bezweifeln. Wenn Informationskrieg ein mögliches Geheimdienstinstrument ist, warum sollten die bestenfalls lose kontrollierten Geheimdienste westlicher Länder auf dieses Instrument verzichten?
Wahrscheinlich ist daher, dass Erdogan spätestens in der zweiten Jahreshälfte 2013 den Angriff von US-Geheimdiensten auf seine Machtposition erkannt hat. Die USA hatten allerdings kein Interesse daran, in der Türkei Gülen an die Macht zu bringen. Er und seine Bewegung sollten als nützliche Idioten bei einer Destabilisierung dienen, nach der das Militär in bewährter Weise die Ordnung hätte wiederherstellen können. Das ist in der Türkei ja mehrfach passiert und es war immer eine NATO-Armee, die da putschte. Erdogan gelang es 2013 allerdings, die versuchte Destabilisierung abzuwehren. Die Ereignisse der letzten beiden Wochen legen nun nahe, dass es ihm anschließend auch gelang, eine Struktur im türkischen Geheimdienstes aufzubauen, die gegen die US-Dienste abgeschirmt war. Aus dieser Struktur dürfte das Netz möglicher Putschisten unterwandert worden sein, so dass der Putschversuch von innen sabotiert werden konnte. Möglicherweise haben die V-Leute selbst den Putsch zu einem Zeitpunkt ausgelöst, an dem Erdogan starken Rückhalt in der Bevölkerung genoss, also zu einem Zeitpunkt, an dem kein Möchtegern-Putschist ernsthaft in Erwägung ziehen würde, loszuschlagen.
Was auch immer in der Nacht vom 15. zum 16. Juli geschehen ist, die anschließenden Säuberungen sind von langer Hand und sehr gründlich vorbereitet worden. Sie hätten in dieser Form nicht durchgeführt werden können, ohne dass vorher ein Putschversuch gescheitert war. Auch das legt nahe, dass Erdogan zumindest vorab von den Putschplänen wusste oder dass seine eigenen Leute den Putsch ausgelöst haben. Inwieweit westliche Geheimdienste vorher im Bild waren, ist selbstredend unbekannt. Man kann aber sicher schließen, dass sie entweder diese für den Westen wichtigste Entwicklung der letzten Jahre verschlafen haben oder dass sie nicht die Mittel hatten, das Fiasko zu verhindern. Wenn man weiß, wie dicht die Netzwerke der USA in den Machtstrukturen der ihnen verbündeten Länder im Allgemeinen sind (siehe Gladio), dann erstaunt diese Schwäche.
Die Säuberungen und was darauf folgt
Erdogans Säuberungen richten sich in erster Linie gegen die Netzwerke der USA und anderer westlicher Staaten in der Türkei und erst in zweiter Linie gegen das Gülen-Netzwerk, das sich für die Destabilisierungsstrategie des Westens hatte instrumentalisieren lassen. Weder Erdogan noch der Westen haben derzeit ein Interesse, in ihrer Propaganda den ersten Aspekt hervorzuheben. Erdogan möchte in den westlichen Ländern keine stärkere antitürkische Stimmung erzeugen als ohnehin unvermeidlich ist und westliche Regierungen möchten die massive Niederlage nicht offen zugeben, die ihre Anti-Erdogan-Strategie erlitten hat. Um zu verstehen, warum Erdogan 58000 Personen aus ihren Positionen entfernt hat, muss man wissen, wie ein politisches Netzwerk funktioniert. Der Mechanismus ist ein allgemeiner und trifft gleichermaßen auf Erdogans eigenes Netzwerk zu, aber hier ist es zweckmäßig, ihn am Beispiel der US-Netzwerke in verbündeten Ländern zu erklären.
Ein Teil dieser Netzwerke ist der Öffentlichkeit bekannt, als Beispiel kann man die Atlantik-Brücke in Deutschland nennen. Die Mitgliedschaft in einem solchen Verein ist einer Karriere im Staat, in den Medien oder in der Wirtschaft bis in die höchsten Positionen sehr förderlich. Wichtige Funktionsträger dokumentieren damit öffentlich, dass sie Garanten gegen jeden Politikwechsel sind, der den Interessen der USA schaden könnte. Dadurch ist weniger herausgehobenen Funktionsträgern bekannt, dass es auch ihrer Karriere nutzt, diese Haltung einzunehmen, zumindest öffentlich. Der Zweck der öffentlichen Repräsentation des Netzwerks ist es also, Mitläufer in großer Zahl zu erzeugen. Häufig haben die Mitläufer ihre Haltung verinnerlicht. Sie sind keine Befehlsempfänger, insbesondere diejenigen in den Medien nicht. Die Tendenz der Medien kommt dadurch zustande, dass Funktionsträger ihre Organisation mit Leuten ergänzen, die ähnlich denken wie sie. Wenn in einer Organisation alle die gleiche Meinung zu den Grundfragen haben, dann lässt sich die Meinung zu fast jeder Detailfrage durch Äußerungen sehr weniger zuverlässiger Loyalisten setzen.
Ein anderer Teil des Netzwerks wird geheim gehalten. Das am besten bekannt gewordene Beispiel dieser Art ist die inzwischen aufgelöste Propaganda Due in Italien, deren Mitglied zum Beispiel auch Silvio Berlusconi war. Ein solcher Teil des Netzwerks ist mit den Geheimdiensten und dem Militär des Landes verknüpft. Sein Zweck ist, Operationen durchzuführen, die der Öffentlichkeit nicht bekannt werden dürfen. Ferner soll dieser Teil möglichst jegliche Machtbeteiligung von Kräften verhindern, welche den USA nicht wohl gesonnen sind, zumindest aber deren direkte Machtübernahme. Dazu wird notfalls Gewalt eingesetzt, auch wenn diese Kräfte auf demokratischem Weg an die Macht gelangt sind.
Ein politischer Führer, der den USA nicht wohl gesonnen ist oder zumindest in den Sicherheitsstrukturen der USA so eingeschätzt wird, kann dauerhaft nur an der Macht bleiben, wenn er diese Netzwerke zerstört. Das ist eine Frage des „wir oder sie?“. Diese Frage wird nur selten die Seite für sich entscheiden, welche die größeren Skrupel hat. Wie viele Skrupel sich Erdogan leisten kann, das kann man abschätzen, wenn man die Geschichte von Propaganda Due und Gladio kennt oder auch die jüngere Geschichte der „farbigen Revolutionen“ in Osteuropa und des „Euro-Maidan“.
Warum glaube ich nun, dass die Säuberungen sich in erster Linie gegen die westlichen Netzwerke richten und nicht gegen Gülen-Anhänger? Erstens ist das die rationale Stoßrichtung, denn die westlichen Netzwerke können auf viel größere Ressourcen zurückgreifen und sind deshalb gefährlicher. Zweitens gibt es ausreichend viele Indizien. Hier soll genügen, was laut FAZ der Nationale Geheimdienstdirektor der USA, James R. Clapper, jüngst auf einer Sicherheitskonferenz öffentlich aussprach: viele Kontakte der US-Geheimdienste in der Türkei sind entlassen oder verhaftet worden. Die anti-westliche Stoßrichtung ist auch aus den wiederholten Ereignissen um die Luftwaffenbasis Incirlik abzulesen. Die logische Konsequenz dieser Stoßrichtung ist, dass die Türkei sich nach den Säuberungen und der inneren Konsolidierung vom Westen abwenden wird. Dazu muss der Putschversuch schon jetzt mit dem Westen verknüpft werden, was Erdogans Propaganda nach Ausweis der New York Times augenscheinlich gelungen ist. Solange die neuen Strukturen noch nicht konsolidiert sind, wäre es allerdings gefährlich, die Abkehr zu vollenden. Die von der türkischen Seite derzeit verfolgte Strategie des „Zwei Schritte vorwärts, ein Schritt zurück“ ist erfolgversprechender, insbesondere wenn die Schritte nach vorn Tatsachen schaffen, während die Schritte zurück rein verbal bleiben.
Wird die Türkei die NATO verlassen?
Die Nahoststrategie der USA steht im eklatanten Widerspruch zu den nationalen Interessen der Türkei. Die USA haben seit 2006 auf einen Regimewechsel in Syrien hingearbeitet und nach der Eskalation 2011 die Türkei überzeugt, sich gegen die Assad-Regierung zu stellen. Ob dabei Druck ausgeübt wurde, wissen wir nicht. Noch 2009 hatte die Türkei gemeinsame Militärmanöver mit Syrien durchgeführt. Nachdem die Türkei mit der Führung ihres Nachbarlands gebrochen hatte, war es für sie von immenser Bedeutung, dass es auch zum Regimewechsel kommen würde. Spätestens seit Anfang September 2013 ist offensichtlich, dass der Westen die nötigen Ressourcen dafür nicht mobilisieren kann. Damals fanden zuerst Cameron in Großbritannien und dann Obama in den USA keine Parlamentsmehrheiten für ein direktes Eingreifen, nachdem der Vorwand bereits geschaffen worden war. Obama lenkte ein, bevor es zu Abstimmungen in Repräsentantenhaus und Senat kam. Unabhängig von moralischen Erwägungen, nach denen Obamas Entscheidung richtig war, ist es ein schwerer strategischer Fehler, eine solche Aktion erst vorzubereiten und dann nicht zu vollenden. Ein politisches System muss sich intern vorab einigen können, ob ein solcher Kurs verfolgt wird oder nicht. Inzwischen hat sogar der CIA-Direktor John Brennan öffentlich zugegeben, dass die USA die Idee eines Regimewechsels aufgegeben haben, wenn auch in einer indirekten Formulierung. Er sei nicht optimistisch, sagte Brennan am 29. Juli 2016, dass Syrien wieder vereinigt werden könne. Diese Aussage kann man als Offenlegung eines Strategiewechsels werten, nach dem die USA nun versuchen, im Ostteil Syriens Verbündete an die Macht zu bringen und diesen abzuspalten. Dieser Strategiewechsel ist in den Sicherheitsstrukturen der USA wahrscheinlich bereits im Herbst 2013 erfolgt. Ein Teil der US-Verbündeten sind kurdische Gruppen, die vom Westen bewaffnet und ausgebildet werden und die im Erfolgsfall ein zusammenhängendes autonomes Kurdengebiet in Teilen des ehemaligen Irak und des ehemaligen Syrien beherrschen werden. Im Westen Syriens wird Assad seine Macht konsolidieren, nachdem die Opposition in Aleppo geschlagen ist.
Für die Sicherheit der Türkei ist das eine katastrophale Entwicklung. Zudem machen die Luftangriffe gegen den IS aus Incirlik heraus die Türkei zu einem Ziel für Terroranschläge des IS. Die Türkei kann keinerlei Interesse daran haben, dass diese Angriffe weitergeführt werden und auch keines, dass die Strategie der USA aufgeht. Sie täte gut daran, sich mit Assad wieder zu arrangieren, wobei die Allianz mit dem Westen stört.
Gegen eine Abkehr von der NATO sprechen die waffentechnische Abhängigkeit vom Westen und der aus einer Abkehr folgende Verlust eines wichtigen strategischen Vorteils, der Unangreifbarkeit. Diese Nachteile müssten durch neue Bündnisse kompensiert werden. Da China aus geografischen Gründen kein geeigneter Partner ist, kommen hauptsächlich Russland und Iran in Frage, die ihrerseits einer Normalisierung der Beziehungen zu Assad förderlich wären. Nicht zufällig waren diese beiden Staaten die ersten, die sich während des Putschversuchs hinter Erdogan stellten und zwar mit unmissverständlichen Formulierungen. Solche Formulierungen fanden westliche Regierungen auch dann nicht, als der Putschversuch bereits gescheitert war. Das muss nicht unbedingt bedeuten, dass der Westen die jüngsten Putschpläne befördert hat, wohl aber dass westliche Politiker wissen, welche Stoßrichtung die Säuberungen haben.
Erdogan wird kaum von sich aus ein Ausscheiden der Türkei aus der NATO verkünden. Er hat aber ein Interesse daran, den Ausschluss zu provozieren. Die Eskalation entsprechender Provokationen wird er vermutlich hinauszögern, bis das Ergebnis der Präsidentschaftswahlen in den USA feststeht. Wegen der strategischen Lage der Türkei und ihrer riesigen Streitkräfte hat die NATO ein immenses Interesse, das Land nicht zu verlieren. Die Provokationen können deshalb sehr weit gehen. Die NATO und die USA sind in gewissem Ausmaß durch die Türkei erpressbar geworden. Eine westliche Überreaktion auf Erpressungsversuche könnte mit einem Ausschluss der Türkei aus der NATO enden. Wenn es nicht so weit kommt, so wird die Türkei gegenüber dem NATO-Kommando und den USA eine Unabhängigkeit gewinnen, wie sie zuletzt Frankreich nach 1957 unter de Gaulle genoss.
Aus all dem folgt, dass deutsche Politiker irren, wenn sie glauben, sie könnten Erdogan für sein Verhalten bestrafen, indem die Bundeswehr aus der Türkei abgezogen würde. Einen solchen Abzug versucht Erdogan gerade mit allen möglichen Mitteln zu erreichen.
Die Beziehungen zwischen der Türkei und der EU
Ein anderer Irrtum europäischer Politiker ist, dass Erdogan oder die AKP noch irgendein Interesse an einer EU-Beitrittsperspektive hätten. Die Inaussichtstellung einer späteren EU-Mitgliedschaft wurde schon zu lange benutzt, um die Türkei zu Zugeständnissen zu nötigen. Eine stets 20 Zentimeter vor dem Eselsmaul hängende Karotte ist eben irgendwann nicht mehr als leckeres Futter glaubwürdig. Abgesehen davon ist eine EU-Mitgliedschaft in den letzten Jahren nicht eben attraktiver geworden. Beitrittsverhandlungen sind nunmehr kein mögliches Druckmittel der Türkei gegenüber.
Wiederum wird Erdogan vermutlich nicht von sich aus das Ende des Beitrittsprozesses verkünden. Für ihn ist es viel günstiger, wenn die Initiative von Österreich oder der CSU in Deutschland ausgeht, zumal die darauf folgenden Auseinandersetzungen in der EU seine Gegner schwächen. Schon jetzt musste Jean-Claude Juncker dem österreichischen Kanzler Kern mit einem Kommentar antworten, der zwar strategisch richtig ist, aber in der Öffentlichkeit kaum verstanden werden wird. Denn auch die EU kann kein Interesse daran haben, als der am Abbruch schuldige Partner gesehen zu werden. Für Erdogan sind wiederum Provokationen die günstigste Strategie. Er wird Zugeständnisse verlangen oder alte eigene Zugeständnisse annullieren, bis die EU von sich aus den Prozess beenden muss, um sich nicht völlig unmöglich zu machen. Eine Abkehr von der EU ist für die Türkei mit überschaubaren Nachteilen verbunden, eine stärkere Zuwendung zu Russland (von dort bezieht die Türkei die meisten Importe) und zum Iran (ihr zweitgrößter Exportmarkt) könnte diese Nachteile je nach der zukünftigen Entwicklung dieser Länder kompensieren.
Fazit
Die Türkei wendet sich gerade von den politischen Strukturen und dem Sicherheitssystem des Westens ab. Ob diese Abkehr in den nächsten Monaten auch formell vollendet wird, ist nicht entscheidend. Erdogan hat bereits jetzt eine Unabhängigkeit von den USA und anderen westlichen Ländern gewonnen, die im westlichen Bündnissystem nicht vorgesehen ist, die er aber auch nicht kampflos aufgeben wird. Diese Entwicklung fällt mit einer inneren politischen Krise der westlichen Länder zusammen und wird den globalen Machtverlust des Westens beschleunigen. Die Zeit, in der die Demokratie westlicher Prägung global auf dem Vormarsch war, ist vorbei.
Kommentare 64
Sehr geehrter Herr Jeschke:
Gratulation! Das sind m. E. plausible Überlegungen, überlegen dargestellt.
Es sieht also nach Eiszeit aus.
Die skizzierten Abläufe des Putsches und die möglichen Hintergründe unterstellen eine erhebliche planerische Intelligenz Erdogans bzw. seiner Leute. Das klingt schon fast zu ideal (in seinem Sinne), um so perfekt konstruiert worden zu sein. Aber vielleicht sind wir so gute Planung nicht mehr gewohnt ...
Dieser Fall kann auch ein Beleg dafür sein, dass offene Gesellschaften mit Wahlterminen, komplexen Medien- und Wirtschaftsstrukturen und - in den USA - konkurrierend besetzten politische Institutionen Schwierigkeiten in vielen Fällen despotischen Regimes unterlegen sind. Die Fehleinschätzungen und das Umknicken der USA und GB bei der Syrien-Krise, das Versagens bei der Entwicklung einer irakischen Staatsordnung wie auch die abgebrochenen Prozesse in Afghanistan zeigen doch, dass ein US-Präsident nicht in strategischen Zeiträumen handeln kann.
Das erinnert an den Vietnam-Krieg: Er wurde durch die öffentliche Meinung in den westlichen Ländern verloren und weil die US-Wähler die schlechten Meldungen nicht mehr hören wollten. Da spielte es keine Rolle mehr, dass es ein Verteidigungskrieg der Südvietnams gegen den attackierenden kommunistischen Norden war; die Akteure mussten weder auf die Presse noch auf einen Wahltermin achten.
Wenn Erdogan seine Orientierung ändert, dann weil sein Führungsverständnis eher mit Putin als mit Obama harmoniert. Und weil weder die USA noch die EU gegenwärtig attraktiv sind; das haben Sie ja herausgearbeitet.
Was die längerfristigen Perspektiven angeht, bin ich eher optimistisch. Zwar haben Despoten ihren "Lauf", aber sie schaffen keine Kontinuität. Die von Ihnen genannten Möglichkeiten der offenen Medienwelt setzen auch einer despotischen Herrschaft zu.
Letztlich: "It´s the economy, stupid!" Wenn es Erdogan und Putin und wem auch immer nicht gelingt, die Lebensbedingungen ihres Volkes zu verbessern, und wenn der Westen weiter ökonomisch floriert, dann geraten auch Despoten unter Druck.
Warten wir es ab, wie es in einigen Jahrzehnten aussieht.
Tut mir leid, aber Ihr Beitrag geht vielfach fehl. Der Vietnamkrieg ging verloren, weil er seine sämtlichen militärischen Ziele weit verfehlt hatte, die Budgets austrocknete und moralisch völlig delegitimiert war. In Vietnam hat nicht "der Norden Südvietnam attackiert", sondern Südvietnam hat sich einer 1956 vereinbarten Volksabstimmung widersetzt, eine Diktatur errichtet und hunderttausende ermordet, in Konzentrationslager gesteckt oder vertrieben. Erst dann gab es Krieg in Vietnam, das sich nie als "Süd" und "Nord" empfunden hat, und als das südvietnamesiche Gewaltregime zusammenzubrechen drohte, sind die USA mit bis zu einer Million Soldaten einmarschiert. Die lange Zeit des Krieges schuf dann neue Schichten und Fronten, daher die hohe Zahl der Emigranten nach Kriegsende.
Die Einschätzung bezüglich Erdogans (die dümmliche Invektive gegen Putin spare ich mir zu kommentieren) teile ich nicht mit dieser religiösen Sicherheit. Erdogan ist im Umgang mit der nichttürkischen Öffentlichtkeit dumm und plump und tritt in jedes Fettnäpfchen. In der Türkei scheint er durchaus nicht unpopulär. Und ja, stupid, it is the economy. Vor dem Wahlsieg der AKP war die Türkei am Rande des Zerfalls, mit trabender Inflation und blühender Korruption und negativen Wachstumsraten. Erdogan ist ein Arsch, aber er hat das Land stabilisiert. Dass er es mit dem Bürgerkrieg im Osten und den imperialen Abenteuern in Syrien gerade wieder destabilisiert, ist eine andere Sache. Das ganze ist komplex und man sollte mehr über die Türkei wissen, um es abschätzen zu können. Ich halte mich da zurück, bis ich die makroökonomischen Daten der Türkei von 2016 weiss, und das ist im nächsten Frühjahr.
Naja, in einigen Jahrzehnten: "On the long range, we are all dead" (Keynes). Vielleicht gibt es in einigen Jahrzehnten auch die proletarische Weltrevolution. Wer weiss das schon.
...und wenn der Westen weiter ökonomisch floriert,
schön wärs - die EU wirtschaftet doch eher ab.
»Marktwirtschaft und Demokratie, hätten gesiegt, ...«
Schön wär's ja. Colin Crouch hatte sogar von einer Postdemokratie geschrieben. Da hat er wohl Demokratie mit weitgehend freier Wahl von ParteiOligarchen alle paar Jahre verwechselt.
Ich glaube nicht, daß die Geschichte am Ende ist, auch in der Türkei nicht, das böse Erwachen kommt ganz sicher.
Über die moralischen Aspekte des Vietnam-Krieges wurde ab den 60er Jahren viel zu Lasten der südvietnamesischen Menschen geschrieben, in Westdeutschland vornehmlich in den Medien, die sich von der DDR aushalten liessen (zB Konkret). Über die Massenmorde der nordvietnamesischen Vietcong las man allenfalls in der Welt - und der hat man nicht geglaubt. (Als jemand, der 68 mit dem Studium begonnen hat, habe auch ich damals die einseitigen Urteile nachgeplappert.)
Die Analogie zwischen Südvietnam, das die USA letztlich dem nordvietnamesischen Aggressor überlassen hat, und dem Scheitern des Westens in Afghanistan, dem Irak und jetzt Syrien, zeigt sich für mich in der strukturellen Schwäche einer offenen, demokratischen Gesellschaft, militärische Engagements langfristig durchzuhalten. Die Medien prägen die Stimmungslage (mal für, mal gegen die Regierung, mal für und gegen Obama, wie für und gegen Merkel). Spätestens vor den nächsten Wahlen sind die Regierungen genötigt, Versprechungen über kurzfristige Erfolge zu geben, die in der Realität nicht einzuhalten sind. Dann werden Scheinlösungen gesucht, um das Gesicht noch einige Zeit wahren zu können - und das Feld dem rücksichtsloseren und zäheren Gegner überlassen, dessen Anführer sich nicht gegenüber freien Medien und Wählern rechtfertigen muss.
Das ist im Grunde auch der Hintergrund der von Jeschke beschriebenen Umorientierung Erdogans mit der Abkehr vom Westen. (M. E. klingt auch die Putsch-Geschichte schlüssig, aber die Fakten werden wohl im Dunkel bleiben.)
Ob mit oder ohne EU: Die wirtschaftliche Situation der Mitgliedsländer (+2 Nicht-Mitglieder) wird stark genug bleiben, um sich gegenüber den östlichen, südöstlichen und südlichen Nachbarn positiv abzuheben.
Die Migrationsbewegungen führen ja nicht ohne Grund weder nach Russland noch nach Belorus, und die Türkei ist ebenfalls kein Wunschziel. Insofern mögen zwar die Krisen in der EU für uns besorgniserregend sein, für die meisten Menschen in den umliegenden Regionen aber nicht.
Der Kapitalismus ist schon oft totgesagt worden; das gehört sozusagen zur Sprachregelung seiner Kritiker - seit dem anregenden Sozialforscher und durch die Geschichte widerlegten Wirtschaftsprognostiker Karl Marx.
Danke für den Beitrag, der wie immer versucht, anhand der Observablen auf verborgene Parameter zu schließen. Das ist durchaus plausibel, aber eben an etlichen Punkten doch Spekulation. Woraus schließen Sie, dass Erdogan von der EUSA zum militärischen Vorgehen gegen Assad gedrängt worden ist? Die zentrale Unterstützung bei der Vorbereitung des Interventionsgrunds "rote Linie" deutet m.E. auf mehr als nur ein Mitläufertum hin.
Eine Randbemerkung: das von Ihnen angesprochene Problem mangelnder Loyalität der Geheimdienste ist nicht nur ein türkisches, sondern betrifft die deutschen Geheimdienste genauso. Im Zusmamenhang mit der von der NSA betriebenen Wirtschaftsspionage sagte z.B. ein Mitarbeiter des Verfassungsschutzes 1998 (sic!) in der Sendung "Plusminus":
“Mir sind über 50 solcher Fälle von Wirtschaftsspionage bekannt. Wenn wir auf solche Aktivitäten stoßen, werden wir von unseren Vorgesetzten zurückgepfiffen. Wir dürfen unsere Erkenntnisse meist weder an den Staatsanwalt noch an die betroffenen Firmen weitergeben. Aus Rücksicht auf unsere Verbündeten.”
Bockig heute, das Kindchen
durch die Geschichte widerlegten Wirtschaftsprognostiker Karl Marx.
Die Geschichte ist noch nicht zuende. Der Kapitalismus ist wie ein Vampir und das soziale System wird immer brüchiger. Die Krone des Kapitalismus, die USA, haben erhebliche soziale Probleme.
https://www.freitag.de/autoren/hubertus-j-schwarz/hoffnung-im-pappkarton
Naja, bis die Migranten dieser Welt lieber in sozialistische als in die kapitalistische Länder "fliehen", werden noch einige Jahrzehnte ins Land gehen. So lange freuen wir uns doch der Möglichkeiten hier.
Und auch dann wird die Geschichte nicht zuende sein.
Danke für die Blumen.
Ich fürchte, sehr viele Jahrzehnte kann ich nicht mehr abwarten. Wenn es in die falsche Richtung geht, kann das ja aber auch tröstlich sein...
Sie halten (weiter unten) Marx für einen gescheiterten Wirtschaftsprognostiker, aber "It's the economy, stupid" scheint mir eine Marx'sche Betrachtungsweise zu sein, auch wenn Bill Clinton das nicht wusste. Mit dem Scheitern finde ich, ist es eben so eine Sache, ein Teil der Prognosen hat sich ja durchaus erfüllt. In den Wirtschafts- und Gesellschaftswissenschaften verändern die Prognosen halt immer auch die Realität, man kann also beim Prognostizieren nur verlieren, wenn man scharf analysiert und dann die Prognose auch noch weithin beachtet wird.
Es mag ja sein, dass der Westen ökonomisch nicht zusammenbricht. Um die globalen Machtverhältnisse zu verändern, reicht es aber aus, dass andere wichtige Akteure aufholen. Wenn zum Beispiel China auch nur 75% der Pro-Kopf-Wirtschaftsleistung der westlichen Länder erreicht, wird es nach einer gewissen Anpassungsphase die dominierende Macht in der Welt sein. Man kann nur hoffen, dass die Machtverschiebungen langsam ablaufen, denn wenn es zu schnell geht, gibt es Krieg.
Es ist nicht ganz richtig, dass die Migrationsbewegungen nicht nach Russland führen. Aus Mittelasien gibt es schon Migrationsbewegungen nach Russland, hauptsächlich natürlich aus Ländern, die mal zur Sowjetunion gehörten und hauptsächlich nach Moskau, aber inzwischen in gewissen Masze sogar nach Novosibirsk. Der Westen mag reicher sein als Russland, aber Moskau kann durchaus attraktiver sein als eine westliche Stadt, wenn man Russisch kann oder wenn es dort schon ein Netzwerk von Landsleuten gibt.
Woraus schließen Sie, dass Erdogan von der EUSA zum militärischen Vorgehen gegen Assad gedrängt worden ist?
Erdogan hatte zuvor fast freundschaftliche Beziehungen zu Assad. Es muss einen Anlass gegeben haben, zur Feindschaft überzugehen. Für einen nüchternen Strategen genügt natürlich die Einschätzung, dass es im Nachbarland zu einem Regimewechsel kommen wird. Wenn er das neue Regime nicht von vornherein für ihm feindlich gesonnen hält, wird er so früh wie möglich die zukünftigen Machthaber unterstützen, damit diese ihm verpflichtet und freundlich gesonnen sind. Die Regimewechselsrategie aber wurde von den USA bereits entwickelt, als Erdogan und Assad noch Freunde waren. Das ist wiederum aus US-Dokumenten bekannt, die bei Wikileaks gelandet sind.
Was die US-Hörigkeit deutscher Geheimdienste betrifft, so geht der BND ja sogar institutionell auf die Wiederverwendung von Hitlers Dienst "Fremde Heere Ost" durch die USA zurück. Von allen Verbündeten (böse Zungen würden von "Vasallen" reden) der USA ist Deutschland derjenige, dessen staatliche Strukturen und Medien am stärksten von US-Netzwerken durchsetzt sind. Das ist den Interessen Deutschlands nicht grundsätzlich abträglich, es gibt Vor- und Nachteile. Wenn die USA selbst aber instabil würden, bestünde auf diesem Wege akute Ansteckungsgefahr.
"Wenn zum Beispiel China auch nur 75% der Pro-Kopf-Wirtschaftsleistung der westlichen Länder erreicht ..."
Das wird noch lange dauern, und wie Sie geschrieben haben, verändern die Prognosen (sprich: auch das Diskutieren) die Gesellschaft. Die chinesische Gesellschaft wird in der Struktur nicht so bleiben, wie sie in dieser Phase ist. Sie wird sich verändern müssen, wenn sie in technologischer Hinsicht dem Wettbewerb standhalten will.
Es ist lehrreich, die japanische Modenisierung und die ab einem gewissen Niveau deutlich gewordenen Bremsen zu betrachten. Die chinesische Gesellschaft ist extrem hierarchisch, weder in den Universitäten noch in den Verwaltungen sind offene Diskussionen und das Erörtern von Alternativvorschlägen üblich. Ich habe sowohl Vorträge in Unis gehalten als auch mehrere Jahre mit Kollegen in chinesischen Ministerien und Instituten (nicht kontinuierlich) gearbeitet. Das Gemeinsame: Kritische Fragen gibt es nicht. Es wird top-down entschieden.
Die Innovationen, mit denen die USA nach wie vor ökonomisch und programmatisch führend sind, sind oft von Querdenkern und Eigenbrödlern voran gebracht worden. Dies braucht eine offene Gesellschaft, die es z. B. in China nicht gibt.
Die Zukunft ist natürlich unvorhersehbar; vielleicht haben Sie recht, und China erreicht 75%. Vielleicht bricht aber auch China auseinander, wenn die Partei die Erwartungen der Menschen nicht erfüllen kann. Auch die SU ist zerbrochen, auch die EU kann zerbrechen.
Das Argument mit der strikten Hierarchie und der daraus folgenden mangelnden Innovation ist auch in Bezug auf Japan verwendet worden und in gewissem Masze stimmte es ja auch (ich habe dort 1992/93 ein jahr am RIKEN-Institut in Wako-shi gearbeitet). Japan stagniert seitdem fast nur noch, aber auf weit mehr als 75% der Pro-Kopf-Produktion des Westens. Ich wüsste nicht, warum China nicht so weit kommen sollte wie Japan.
Vor einem Jahr war ich eine Woche lang in Shanghai. Ich weiss, dass der grösste Teil Chinas sehr weit hinter Shanghai zurückliegt, aber ich sehe auch wiederum nicht, warum es prinziepiell unmöglich sein sollte, dass der grösste Teil Chinas dorthin kommt, wo Shanghai jetzt schon ist. Vor allem aber war ich im Mai 2003 schon einmal in China, damals in Peking. Was in den 12 Jahren geschehen ist, ist atemberaubend.
Finden Sie wirklich, dass die USA ökonomisch führend sind? Das Aussenhandelsdefizit ist beachtlich und wandelt sich zwangsläufig in chinesischen Besitz in den USA um. Man kann das Tafelsilber nur einmal verkaufen.
Den Begriff "ökonomisch führend" kann man sicher kontrovers diskutieren; ich bin kein Ökonom. (Und auch Ökonomen pflegen sich untereinander nie einig zu sein.) Zumindest haben die USA es vermocht, immer wieder die Leitsignale für die globale Entwicklung zu setzen. Aus meiner Sicht ist das der globale Hegemon - trotz aller Fehlschläge in ihren imperialistischen Exzessen und den finanzwirtschaftlichen Eskapaden.
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Es ist natürlich nicht ausgeschlossen, dass die chinesische Modernisierung so erfolgreich sein wird, wie Sie es skizzieren. Was ich sagen wollte: Dazu ist noch ein sehr, sehr langer Abstand zu überwinden, und es gibt auf dem Weg dorthin noch viele Fallen und Ablenkungen.
Ob alle Han-Chinesen unter der Ägide einer Partei so weiter arbeiten wie bisher und sich kontrolliert in Richtung einer innovativen Wirtschaft bewegen, ist für mich nicht klar. Bei der Szenarien-Arbeit wäre aus meiner Sicht eine Risikokarte "Zerfall".
"Es ist nicht ganz richtig, dass die Migrationsbewegungen nicht nach Russland führen."
Ich hatte auch nur geschrieben, dass Migranten lieber in kapitalistische als in sozialistische Lände fliehen, es also mit dem kapitalistischen Lebensbedingungen gut zu gehen scheint und der vielprogostozierte Zerfall des Kapitalismus auf sich warten lässt. (Das ging an die Marx-Jünger.)
Dass innerhalb der südlichen Einfluss-Sphäre Russlands dessen Großstädte attraktiv sind für Migranten, liegt m. E. an die im russischen Kapitalismus verfügbaren Niedrigjobs und sicherlich auch an illegalen Geschäften. Aus tschetschenischer und kasachischer Sicht ist Russland ein blühendes Land.
..."Vor allem aber war ich im Mai 2003 schon einmal in China, damals in Peking. Was in den 12 Jahren geschehen ist, ist atemberaubend"...
Das ist richtig, Sprichwoertlich:
https://www.google.com.mx/search?q=smog+peking&client=ubuntu&channel=fs&biw=1375&bih=803&source=lnms&tbm=isch&sa=X&ved=0ahUKEwj7kYDMl6zOAhWEHx4KHRQhBYwQ_AUIBigB
Das ein oder andere Pandabaerchen habe ich auch noch gefunden.
1.) wer rechnet den notorischen, ja sprichwörtlich besten virtuellen deutschen außen-minister ever: j.joffe unter die einigermaßen vernünftigen beobachter?
er ist der star unter den medien-köchen, die denen ,die keinen appetit auf politische analysen haben, das welt-geschehen als mundende party-häppchen serviert.
im simplifizieren kennt er sich aus.
2) was der diktatur-aufbau in der türkei markiert?
die überlegung, inwiefern er einzureihen ist in globale entwicklungen etc., die total-perspektive, sollte nicht hindern, sich die ereignisse, etappen, helfers-helfer, widerstände heran-zu-zoomen. gute kenntnisse der türkischen verhältnisse sind nicht gerade allgemein-gut.
trotz der nähe.
ein belastbarer geschichtlicher bezugs-/vergleichs-rahmen steht auch nur wenigen zur verfügung
das mäandern und das auseinanderlaufen der kommentierenden bemerkungen zeigt an:
weder eine ein-ordnung noch eine konzentrierte betrachtung sind im beitrag gut angelegt.
Hier können wir uns vermutlich einigen. Tatsächlich sind die USA derzeit der wirtschaftliche Hegemon, nur glaube ich halt, sie sind es noch und sie sind schon krank. Aber das ist wieder Prognose und Prognose hat immer auch mit Meinung und Intuition zu tun, weil sie keine exakte Wissenschaft ist.
Das Risiko eines Zerfalls Chinas kann auch ich nicht ganz ausschliessen, aber ich gebe zu bedenken, dass unsere Medien ein grotesk verzerrtes Bild von der Stimmung im Lande zeigen, indem ein sehr kleiner Anteil von Dissidenten und Unzufriedenen immer wieder zu Wort kommt. Im Lande überwiegen Stolz und Zufriedenheit über eine Entwicklung, die sich ja auch sehen lassen kann und sie überwiegen stark.
Da habe ich Ihnen ja eine gute Steilvorlage geliefert...
Stimmt, wenn ich noch einmal in Peking gewesen wäre und vielleicht noch im November/Dezember, so hätte ich vermutlich einen anderen Eindruck erhalten (einer meiner Mitarbeiter ist Ende 2012 in Peking in eine schlimme Smog-Woche geraten).
Man muss aber auch anerkennen, dass in Shanghai nur noch elektrisch motorisierte Zweiräder erlaubt sind und dort mehr Elektroautos herumfahren (und es mehr Elektrozapfsäulen gibt) als hierzulande. Shanghai im August 2015 hatte keinerlei Smog-Problem, ich war dort an vier Tagen morgens jeweils etwa eine Stunde mitten in der Stadt joggen (das einzige Problem waren Luftfeuchtigkeit und Temperatur).
Können Sie das näher spezifizieren? Ich persönlich halte ja mäanderende Kommentare gar nicht für schlecht. Wir sitzen hier nicht an dem Tisch, an dem am Ende die aussenpolitischen Entscheidungten getroffen werden und selbst da sollte vermutlich etwas mehr mäandert werden, um auch wirklich überall vorbeizukommen, wo wichtige Information liegt.
In Einem gebe ich Ihnen jedoch unbedingt Recht: Der Artikel hat zu viele Facetten. Es ist ein Kaleidoskop-Bild, keine stringente strategische Analyse. Das ist mir beim Schreiben auch aufgefallen und liegt vermutlich daran, dass ich monatelang nichts geschrieben hatte und hier zu viel hineingepackt habe.
in beiden punkten stimm ich zu.
Ich will mich mit Ihnen gar nicht weiter Streiten, ich gebe nur ein paar Zahlen zu bedenken:
Einwohnerzahl:
1.367.485.388 (Juli 2015)
143 Einwohner pro km²
Und die wollen alle noch Kacken, jeden Tag...
Das wird alles jut...
Gruss
dass Migranten lieber in kapitalistische als in sozialistische Lände fliehen
Welche "sozialistischen Länder" stehen denn da zur Auswahl? Spontan fiele mir nur Norwegen ein, das aber lediglich ein Beispiel des von Chavez so genannten "Sozialismus des 21. Jahrhunderts" ist, d.h. verstaatlichter Rohstoffeinahmen um daraus Sozialausgaben zu finanzieren. Das ist aber eher ein "Sozialismus light" und möglicherweise liegt die mangelnde Vorliebe von Migranten für Norwegen auch an anderen Gründen.
Das ist den Interessen Deutschlands nicht grundsätzlich abträglich, es gibt Vor- und Nachteile. Wenn die USA selbst aber instabil würden, bestünde auf diesem Wege akute Ansteckungsgefahr.
Im Moment wird ja versucht, eine Interpretation zu etablieren, dass die USA ein "wohlwollender Hegomon" gewesen seien, während die Sowjetunion ein "brutales Imperium" gewesen sei (z.B. Ulrich Menzel in den "Blätttern" 1'16). Die Bundesakademie für Sicherheitspolitik geht sogar so weit, die Unterwerfung unter und Kollaboration mit einem Hegomon als Idealzustand darzustellen.
Es mag sein, dass zu Zeiten der starren Blöcke für D die Vorteile überwiegten (die Beurteilung der USA als "wohlwollendem Hegomon" wird aber aus lateinamerikanischer Sicht kaum jemand zustimmen). Aber angesichts der derzeit herbeigeführten Konfrontation mit Russland entsteht für D und Europa insgesamt aus dieser Hegomonie der USA eine existenzielle Bedrohung, so dass m.E. die Nachteile überwiegen.
Noch besser wäre natürlich, wenn die Alternative gegenüber dem Hegomon nicht aus "Abkehr" oder "Unterwerfung" bestünde, sondern statt dessen eine Mitgestaltung angestrebt würde. Aber ein Willy Brandt oder Egon Bahr ist weit und breit nicht zu sehen...
Im Lande überwiegen Stolz und Zufriedenheit über eine Entwicklung, die sich ja auch sehen lassen kann und sie überwiegen stark.
Mit dieser Fehleinschätzung ist das chinesische Volk leider nicht allein: dem russischen Volk geht es nicht besser.
Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis beiden Völkern der Schwindel die Propaganda um die Ohren fliegt.
Auch wir werden bei diesen Crashs unser "Fett" abbekommen.
Eine Liste "Sozialistische Staaten" finden Sie z.B. in Wikipedia.
Zur Zeit als aktiv sind dort genannt u. a. die VR China, Vietnam, Nord-Korea, (...) Kuba, Venezuela, Bolivien.
Früher waren es mehr .... der Niedergang des Kapitalismus lässt auf sich warten ...
"Die Bundesakademie für Sicherheitspolitik geht sogar so weit, die Unterwerfung unter und Kollaboration mit einem Hegomon als Idealzustand darzustellen."
Das verwundert nicht. Wer Speichel leckt, hat auch immer vor sich selbst eine Begründung dafür, die ihm erlaubt, einen Rest an Selbstachtung zu behalten.
Ich denke (aus eigenen Erfahrung) nicht, dass die USA und die Sowjetunion sich als Hegemone so verschieden verhalten haben. Beide haben in unmittelbarer nachbarschaft notfalls militärisch eingegriffen, beide hatten Ernstfallplanungen, die eine demokratische Machtübernahme durch die jeweils andere Seite verhindert hätten oder umkehrten (z.B. CSSR 1968, Chile 1973), beide haben den Verbündeten gewisse Freiheiten gelassen- die Sowjetunion sogar oft grössere, als im eigenen Land herrschten.
Genau wie sie denke ich, dass die USA sich auf einem sehr gefährlichen Weg befinden und obwohl ich Trump in seiner Persönlichkeit widerlich und für das Amt unqualifiziert halte, bin ich nicht einmal sicher, ob Hillary Clinton nicht die grössere Gefahr ist. Trump hat in all seiner Schlichtheit wenigstens erkannt, dass der bisherige Kurs der US-Aussenpolitik nicht haltbar ist, Clinton kann das schon deshalb nicht zugestehen, weil sie eine ganze Zeit lang für diesen Kurs verantwortlich war - und das war eine Zeit katastrophaler Fehler.
Ich geba also Obama Recht, das Trump nicht qualifiziert ist, aber er hat Unrecht, wenn er behauptet, Clinton sei es. Das führt zu der absurden Situation, dass die Kandidaten beider Parteien eine katastrophale Wahl wären und Umfrageergebnissen nach sieht eine grosse Mehrheit der US-Wähler das ja ganz genau so.
Es ist aber gewiss kein guter Zustand, einen Hegemon zu haben, dessen politisches System nicht mehr in der Lage ist, einen geeigneten Nachfolger für das höchste Amt zu finden.
warum wundern mich solch abenteuerliche Schlussfolgerungen nicht?
Klar doch, Trump als nützlicher Idiot Putins dürfte die Antwort sein.
Da haben Sie mich missverstanden. Ich würde meine Stimme für Jill Stein abgeben, obwohl ich im Prinzip kein Grüner bin.
Sie könnten wirklich nicht verlangen, dass ich für Hillary Clinton votiere - ich müsste mir ja hinterher eine Stunde lang die Hände waschen und das ist schlecht für die Haut.
Noch einmal - 65-68% der Amerikaner halten sie nicht führ ehrlich und vertrauenswürdig, mehr als die Hälfte hat insgesamt ein negatives Bild von ihr und 60% wären nicht stolz, sie als Präsidentin zu haben. Diese Information ist nicht von Ruptly (Russia Today), sie stammt aus der Washington Post.
Wenn Sie wissen wollen, warum dem (unter Anderem) so ist, so schauen Sie mal bei der New York Post nach. Solche Reden für $ 225'000 pro Stück ins private Säckel sind schon anrüchig, wenn ein Politiker im Ruhestand ist. Für jemanden, der noch ein Amt anstrebt, zumal das höchste im Staat, ist so etwas ein absolutes No go.
Clinton wurde von einem amerikanischen Journalisten vor Publikum dazu befragt: "Muss man so viel bezahlen, um Sie reden zu hören?" Antwort: "Ich weiss nicht. Das ist, was sie anbieten." Das Publikum hat ungläubig und höhnisch gelacht. Hätten Sie nicht?
Also ich finde ja, der "Schwindel" sieht ganz beeindruckend aus, wenn man etwa das Wachstum des Bruttosozialprodukts pro Kopf von 2005-2016 in China anschaut. Und waren Sie in den letzten Jahren mal dort?
Der Titel der von Ihnen verlinkten Seite lautet, ins Deutsche übersetzt:
"Ich habe die CIA geführt. Nun setze ich mich für Hillary Clinton ein."
Warum wundert mich das nicht?
genau wie in Putins Russland sind auch in China die anfänglichen neokapitalisten Erfolge drastisch geschrumpft, eine Krise in Sichtweite.
Sie sollten nicht in historischen Erinnerungen baden, sondern lieber in die aktuelle Realität eintauchen.
Na ja, Sie kennen vermutlich auch das osteuropäische Bonmot: "Was war das Schlimste am Kommunismus? Das was danach kam."
Bin ich nicht einmal sicher, ob Hillary Clinton nicht die grössere Gefahr ist. Trump hat in all seiner Schlichtheit wenigstens erkannt, dass der bisherige Kurs der US-Aussenpolitik nicht haltbar ist.
Die Gefahr bei Trump ist m.E. vor allem die, dass man nicht weiß, wer im Falle seines Wahlsiegs mit in eintschiedende Positionen gespült wird. Auch George W. Bush war der Meinung, die USA sollten sich weniger außenpolitisch engagieren, aber mit ihm kamen Rice, Wolfowitz und Rumsfeld. Bzgl. Wolfowitz berichtete Stephan G. Richter übrigens mal in der FAZ von seinem Erschaudern über die Banalität des Bösen, als er ihm in einem Schwimmbad in Washington begegnete.
Ich neige aber ebenfalls dazu, Hiallary Clinton für noch gefährlicher zu halten, weil ihr niemand in den Arm fallen wird, schon gar nicht jemand der hiesigen Führungsriege, die ihr vermutlich bedingungslos folgen wird. So wie Fischer/Schröder noch mit Albright/Clinton einen Krieg aktiv einstielten, aber bei Wolfowitz/Bush davor zurückschreckten, bestünde bei Trump immerhin noch eine Chance, dass der europäische Frosch aus dem Kochtopf springt.
Da haben Sie aber ziemlich viel Phantasie in die Interpretation einer auf echten Daten beruhenden Kurve gelegt. Ueber die "Krise in Sichtweite" in China redet der britische "Economist" mit schöner Regelmässigkeit schon länger als in dem Zeitraum, den die Kurve abbildet (2005-2016).
Zwischendurch hat es tatsächlich eine grössere Krise gegeben, nach 2008. Nur- in der chinesische Kurve sieht man komischerweise nichts davon, in den westlichen Kurven hingegen schon.
Trump ist politisch unerfahren und nicht abgeklärt genug, um ein politisches System "zu spielen". Deshalb sind seine eigenen extremen Ansichten nicht ganz so gefährlich, denn er wird sie nicht umsetzen können, selbst wenn er Präsident würde. Sie haben aber Recht, das schwer einzuschätzen ist, wer ihn dann zu seinem Instrument machen würde.
Clinton ist das ganze Gegenteil. Niemand in den ganzen USA kann dieses System so gut spielen wie sie. In diesem Sinne hat Obama Recht, wenn er sagt, es habe noch nie einen so gut vorbereiteten Kandidaten gegeben. Genau das aber ist, verbunden mit der mangelnden Reflektion und mangelnden Erkenntnis eigener Fehler, die Gefahr an Clinton. Sie würde in der Lage sein, falsche strategische Entscheidungen von grosser Tragweite auch tatsächlich umzusetzen. Sie ist hochintelligent (aber nicht klug) und hochgradig manipulativ und sie kennt jeden Trick in diesem Spiel.
Trumps Aussenpolitik könnte gefährlich werden, wenn er in die falschen Hände gerät. Clintons Aussenpolitik wird gefährlich sein.
wie man KURVEN schönt, wissen außer den Frauen eben auch die Chinesen, darauf hätten Sie auch kommen können.
Aber im Ernst, ich sehe in Russland und in China die Wirtschafts-Kurven latent nach unten zeigen, kein Wunder also, dass die Propaganda Stützen-Hilfe leistet.
Allein wie China in die Börse eingreift sollte Ihnen zu denken geben. Hier die neuesten Hilflosigkeiten.
Na da möchte ich doch mal z.B. auf unsere "Bankenrettung" hinweisen. Staatsinterventionismus ist spätestens dann angesagt, wenn die Hauptprofiteure es mal wieder übertrieben haben, dann ganz unverblümt gegen alle "reine Lehren" die Unterstützung einfordern und wir, die Steuerzahler später irgendwie herangezogen werden sollen. Das nennt man auch in dem Zusammenhang: die Einlagen sind sicher.
Abgesehen davon steht Kapitalismus synonym für Krisen. Positiv ausgedrückt natürlich Dynamik oder kreative Zerstörung. Letzteres halte ich für Tautologie oder die schöne Umschreibung für: einige sahnen ab und die üblichen bezahlen dafür.
Die teilweise demontierte "Soziale Marktwirtschaft" lebt(e) eben genau aus einer Kombination von staatlichen Eingriffen und Laisser-faire.
sorry, auch wenn das so gesehen werden kann: zum Relativieren hatte ich niemanden aufgefordert. :-)
Ihnen ist aber schon klar, dass mein Link gar nicht auf eine chinesische Seite weist, sondern auf ein deutsches, wirtschaftsnahes Statistik-Portal?
Hier ist noch ein Link, dessen Quelle Ihnen unbedingt gefallen muss, denn es ist eine US-amerikanische Regierungsseite (.gov). Es geht dort um die Aussenhandelsbilanz der USA mit China, in monatlichen Daten.
Man kann es kurz zusammenfassen: Die USA haben ein monatliches Ausenhandelsdefizit zwischen etwa 21 und 29 Milliarden US$ mit China, in den meisten Monaten eher am oberen Rand des Bereichs und das läuft auf mehr als 300 Mrd. US$ Defizit im Jahr hinaus.
Weil man sich solche grossen Zahlen so schlecht vorstellen kann, hier ein einleuchtender Vergleich.
Im Jahr 2015 betrug das Aussenhandelsdefizit der USA mit China nach US-Regierungsangaben 367 Mrd. US$. Zum Wechselkurs vom 1. Januar 2016 waren das 338 Mrd. €. Die Gesamtausgaben des Bundeshaushalts der BRD 2016 sind mit 316,9 Mrd. € veranschlagt (Quelle: Bundesfinanzministerium).
Bonmot: "Was war das Schlimste am Kommunismus? Das was danach kam."
Das sehen meine polnischen und tschechischen Bekannten aber anders; sie fühen sich erleichtert und geniessen die Verbesserungen ihrer Lebensverhältnisse. Gleiches gilt für die drei baltischen Staaten.
Aber sie würden auch gegen die Einordnung "osteuropäisch" protestieren; ihre Länder gehören zu Mitteleuropa.
Wenn Sie die osteuropäischen Länder Russland und Belarus meinen: Da habe ich keine aktuellen Kenntnisse, ob die Menschen dort das Leben schlimmer finden als früher. Wahrscheinlich gibt es solche und solche.
Also ich möchte das DDR-System auch nicht zurück, nicht geschenkt. Allerdings gehöre ich auch zu der Sorte Menschen, die im kapitalistischen System floriert. Das geht nicht all meinen Bekannten so.
Die materiellen Lebensverhältnisse sind von Vilnius bis Magdeburg bzw. Györ besser geworden. Und bei aller Kritik an den bundesrepublikanischen Verhältnissen sind diese politisch doch freiere als diejenigen in der DDR . Ob es demokratischer zugeht, gerade in der Lokalpolitik, steht schon wieder auf einem anderen Blatt und die Zwänge im Berufsleben sind jetzt für die meisten Leute eindeutig stärker.
Das eigentliche Problem ist wohl, dass materielle Lebensverhältnisse nicht alles sind. Der Mensch will auch gebraucht werden. Dieses Gefühl hat die DDR dem arbeitsfähigen Teil der Bevölkerung bis hin zur Absurdität vermittelt, indem es durch Mauern und Zäune verhindert hat, dass irgendjemand verschwindet, der noch gebraucht werden konnte. Die BRD vermittelt dieses Gefühl einem grossen- und grösser werdenden- Teil der Menschen nicht.
So wie im "real existierenden Sozialismus" geht es sicher nicht. Aber das jetzige System scheint momentan auch sehr an Unterstützung zu verlieren und in mancher Hinsicht erinnert mich das an die zweite Hälfte der 1980er Jahre in der DDR.
Was nun meine polnischen Bekannten betrifft: Die meisten davon leben nicht mehr in Polen. Das liegt natürlich daran, wie ich ihre Bekanntschaft gemacht habe, aber es ist nicht rein anekdotisch. Die Abwanderung junger Polen aus dem Land ist ziemlich stark, so stark, dass sie einen merklichen Einfluss auf die Brexit-Entscheidung hatte.
Und dieses statistisch schiefe Ergebnis wollen Meinungsforscher bereits vor Schließung der Wahllokale vorhergesagt haben- womit? – mit einem statistischen Modell doch wohl! Mit Verlaub, dieses statistische Modell würde ich gern sehen.
Dem Manne kann geholfen werden. Einfach mal einen Blick auf die Ergebnisse des 1. Wahlgangs werfen (nur die beiden Erstplatzierten):
Gesamtergebnis: Hofer -> 35,1%, van der Bellen -> 21,3%nur Briefwähler (etwas mehr als 10% aller Wähler): Hofer -> 25,6%, van der Bellen -> 28,1%
(Würde mich nicht überraschen, wenn eine Untersuchung zeigte, dass der österreichische Briefwähler locker das zweifache des Medianeinkommens nachhause brächte.)
Also: Unken ist immer Mist. Erst informieren, dann schreiben!
Man kann es kurz zusammenfassen: Die USA haben ein monatliches Ausenhandelsdefizit zwischen etwa 21 und 29 Milliarden US$ mit China, in den meisten Monaten eher am oberen Rand des Bereichs und das läuft auf mehr als 300 Mrd. US$ Defizit im Jahr hinaus.
In Deutschland sollte man ja mit dieser Thematik vertraut sein. Jedes Jahr wandern in die eine Richtung Güter und Dienstleistungen von ungeheurem Wert. Was wandert in die andere Richtung? Zahlungsversprechen! Theoretisch könnte man damit auf dem US-Markt einkaufen gehen - aber praktisch (was von echtem Wert könnte eine chinesischer Akteur denn erwerben)?
Dass die USA sich dieses Defizit immernoch leisten können, deutet für mich darauf hin, dass der Status des Hegemons noch intakt ist. Varoufakis et al. haben dafür ja kürzlich die schöne Analogie von Tributzahlungen im antiken Griechenland verwendet.
Aber die Chinesen kaufen ja sehr wohl mit den Ueberschüssen in den USA ein, in Europa übrigens auch. Es sind nicht "Zahlungsversprechen" gegen die da geliefert wird.
Ah - sagt man das so in Polen? In der DDR hamwa wenigstens bis '89 gewartet auf das "danach" - ihr habt doch schon viel länger daran gewerkelt ... :-) Sorry, wollte mir nur auch ein kleines Bonmot erlauben und verzeihen Sie, dass ich Sie gleich mal als Pole eingemeindet habe.
Nunja, wie sagen die Leute schon immer: Früher war alles besser.
Na, dann wird sich das ja am 2. Oktober bestätigen und wir alle können bis dahin ruhig schlafen. Viel Glück!
(1. Wahlgang: 12.5% Wahlkarten, 2. Wahlgang: 16.7% Wahlkarten)
Wenn dem so ist, muss dies unterhalb des Radars der offiziellen Statistik laufen.
The big emerging economies of Brazil, Russia, India,
China, and South Africa are known collectively as the
BRICS. Despite their size, their combined investment in
the United States totaled less than one percent of all
foreign investment in 2014. At under $1 billion, China
ranked as the largest BRICS’ investor in 2014, down
significantly from $3.4 billion in 2012 and $2.8 billion in
2013.
Quelle: http://ofii.org/sites/default/files/Foreign Direct Investment in the United States 2016 Report.pdf
Da ich mich aber noch dunkel an das "Geschiß" erinnere, das um die Übernahme eines größeren US-Mobilfunkunternehmens durch die Deutsche Telekom veranstaltet wurde, glaube ich nicht so recht an größere chinesische Einkäufe (in Relation zur Handeslbilanz) in den USA.
:-))) Ce'st vrai.
Na, dann wird sich das ja am 2. Oktober bestätigen und wir alle können bis dahin ruhig schlafen. Viel Glück!
Schaun mer mal. Die politische Großwetterlage scheint der Kandidatur Hofers nicht gerade zu schaden. Ich nehme an, auch deswegen plustern der Kanzler und der Bub, der den österreichischen Außenminister darstellen soll, gerade so sehr die Backen auf in Sachen Türkeikritik.
Sehr wahrscheinlich wird Hofer aber wieder von Briefwählern schlimme Prügel beziehen. Diese sind halt einfach keine repräsentative Stichprobe aller Wähler (würde gern wissen, ob das in Deutschland auch so ausgeprägt ist).
Das ergibt doch kar keinen Sinn. Auch eine sehr starke Volkswirtschaft kann doch nicht Jahr für Jahr für 3000 Mrd. US$ Waren gegen "Zahlungsversprechen" liefern.
Schaun Sie mal hier:
http://rhg.com/interactive/china-investment-monitor
In den ersten 2 Quartalen 2016 80,9 Mrd. US$ chinesische Industrieinvestitionen in den USA. Das ist für eine halbes Jahr nur in den USA fast zwei Grössenordnungen mehr als Ihre Zahl für die ganze Welt für das ganze Jahr 2014.
Es kommt auch darauf an, wie Sie zählen. Zählen Sie Aktienkäufe, die keine vollständigen Uebernahmen sind. Und dann gibt es ja noch Käufe sehr teurer Immobilien, die in der Zahl oben fehlen und Käufe von Staatsschulden und privaten Schulden (also Kredite, was Sie wahrscheinlich "Zahlungsversprechen" nennen).
Tja, wie ist das in Deutschland? Originalton Wikipedia:
"Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa erklärte in ihrem Bericht der OSZE/ODIHR-Wahlbewertungsmission zur Bundestagswahl 2009:
„Obwohl die rechtlichen und administrativen Verfahren für die Briefwahl mit dem Ziel entwickelt worden zu sein scheinen, der Freiheit und Beteiligung der Wählerinnen und Wähler Vorrang zu geben, sollte überlegt werden, die bestehenden Sicherungsmechanismen gegen den potenziellen Missbrauch des Briefwahlsystems auf ihre Eignung zu überprüfen.“
Hier ist die Originalquelle. Wenn Sie wissen, was diplomatische Sprache ist, wisen Sie auch, was dieser Satz bedeutet.
Was der Kanzler und "der Bub" da tun, halte ich übrigens in keiner Weise für erfolgversprechend.
Sehr schöne Webseite. Viel unterhaltsamer als Zahlenreihen der Statistikbehörden. Gibt es sowas für jede größere Volkswirtschaft?
Aber man sollte für unsere Betrachtung "annual" und nicht "cumulative" einstellen.
Entschuldigen Sie bitte, da haben Sie natürlich Recht. Das macht aus der 80 glatt eine 18. Wenn man dann allerdings mit dem Slider spielt, wirkt es fast beängstigend.
Nein, so schöne Dinge kenne ich sonst nicht. Zu China gibt es aber noch eine interessante Seite. Die investieren auch gern in Niedriglohnländer und in ihrem Fall liegen die in Afrika (man muss etwas runterscrollen um die Handelsbilanzgrafik zu sehen, die dem Economist entnommen ist und leider schon etwas veraltet). Mit Afrika hat China eine nahezu ausgeglichene Zahlungsbilanz, in vielen Jahren sogar ein Aussenhandelsdefizit. Sie investieren in Afrika sozusagen Geld, dass sie anderswo verdient haben.
Folgendes wurde im Oktober 2015 auf der Website von Kommunisten in der Schweiz veröffentlicht:
"... Es ist zu hoffen, dass die türkische Staatsführung unter dem Druck der patriotischen Kräfte zur Einsicht gebracht wird, dass sie mit Fortsetzung ihrer bisherigen Syrienpolitik keine nationalen Interessen verfolgt noch durchsetzen kann, sondern nur die Interessen des imperialistischen Blocks. Die Aggressionen gegen Syrien, die Erdogan’sche Politik der Förderung des Terrorismus und Schürung von ethnischen und religiösen Konflikten im Nachbarland, hat sich schon heute als Bumerang erwiesen, der auf die Türkei zurückfällt, wie das Blutbad von Ankara zeigt – welches von kritischen Kreisen in der Türkei als blutige Warnung aus den USA gewertet wird. In den imperialistischen Zentren rechnet man damit, dass die Türkei, aufgrund ihrer objektiven Lage und Entwicklungstendenzen, über kurz oder lang aus dem atlantischen Lager ausbrechen wird. Um sich dagegen zu wappnen, wird schon heute investiert: durch Waffenlieferungen an islamistische und separatistische Gruppen wie die PKK und ihre Zweige, und durch eine internationale Medienkampagne gegen die in Erdogan personifizierte Türkei. Das Land muss sich auf Destabilisierungs-Versuche von Seiten seiner NATO-Partner gefasst machen.
Das Interesse der Türkei an einer Annäherung an Russland ist unbestritten und manifestiert sich eindringlich in allen Energiefragen (Versorgung, Kraftwerkbau, strategische Pipelines), aber auch im Handel und in vielen anderen Bereichen. Das gemeinsame “Turkish Stream”-Projekt, das Washington eifrig zu hintertreiben versucht, liegt im Moment auf Eis. Erst nach den Wahlen vom 1. November wird weiter verhandelt. Die Dringlichkeit einer Verständigung mit Syrien wird auch in der Türkei selbst geltend gemacht. ..."
Mort Abramowitz und Eric Edelman, zwei ehemalige US-Botschafter in der Türkei, in der Washington Post vom 10.3.16: "Turkey’s Erdogan must reform or resign"
Bereits 2014 machte die ehemalige FBI-Mitarbeiterin Sibel Edmonds in ihrem Blog auf das Treiben einiger Kreise in der US-Politik gegen Erdogan aufmerksam. Sie verwies auf einen Beitrag ebenfalls von Abramowitz und Edelman gemeinsam mit Blaise Misztal in der Washington Post vom 23.1.14, in dem Erdogan als Despot sowie große Bedrohung für die Demokratie und die US-Interessen dargestellt wurde. Edmonds machte nicht nur auf die politischen Hintergründe der Autoren aufmerksam, die zur Israel-Lobby in den USA gehörten, sondern auch darauf, dass der Beitrag der Linie von Kräften im US-Außenministerium und der CIA entspreche: 1. Erdogan zum Diktator, Despoten und eine große Bedrohung für die Türkei die Demokratie erklären; 2. Erdogan und die AKP-Administration als eine große Bedrohung für die NATO und die Vereinigten Staaten darstellen; 3. Kritik am vermeintlichen Mangel an offener starker Einmischung durch die Obama-Regierung (nach vorheriger stärkerer Einmischung in Ankara); 4. Druck auf die Obama-Administration für eine offene Aktion gegen Erdogan (Regimechange a la Obama).
Edmonds verwies auch auf die US-Verbindungen zu Fetullah Gülen als einem der wichtigsten Partner für CIA und NATO nicht nur in der Türkei, sondern auch in Zentralasien und im Kaukasus.
Das war wie gesagt 2014. Ein Blick auf die nachfolgenden Ereignisse und die zunehmenden Spannungen in den Beziehungen zwischen der Türkei und den USA ist in dem Zusammenhang sehr interessant.
fast kommt es mir vor, erdogan müsste mein neuer held sein, da es sich von der us-hegemonie löst...
dennoch, er bleibt ein unverbesserlicher opportunist.
eine anmerkung, sein frühsommerliches tete a tete mit ukraine , dies war eher gegen russland gerichtet.
nun, wenn er vorhatte, seine säuberungspläne mit schwerpunkt us-spitzeln/mitläufer irgendwannmal auszuführen, so war es kontraproduktiv russland weiterhin zu ärgern.
das treffen mit putin verlief nicht so toll, wie john helmer analysiert in http://johnhelmer.net/?p=16253
finden sich weitere hinweise auf die blockierung von posten in der türkei (im verlauf von 2016), das die these stützen könnte, die säuberungswelle galt dem us-hegemon?
verzeihen Sie, dass ich Sie gleich mal als Pole eingemeindet habe.
Kann ich mit leben, auch wenn ich kein Pole bin ;-)
Die Situation in Polen ist speziell, weil es das Land des ehemaligen Ostblocks mit der besten wirtschaftlichen Entwicklung ist und nach einem Rückgang der Industrieproduktion um über 40% nach 1989 immerhin die Kennzahl des BIP innerhalb von 10 Jahren Kapitalismus etwa wieder den Stand des Sozialismus erreicht hatte (genauere Zahlen habe ich nicht gefunden, denn alle Statistiken schneiden an verdächtigen Zeitpunkten ab, aber die BIP Wachstumsraten von 1990 bis 2001 ergeben das so ungefähr). Die Arbeitslosenrate betrug 2001 aber immerhin 20% und wenn der Stand im Mittel im Kapitalismus dem im Sozialismus gleicht, dann bedeutet dies im Post-Sozialstaats-Kapitalismus aber auch eine sehr viel ungleichere Verteilung.
Das erklärt die von Gunnar Jeschke erwähnte Migration, von der auch deutsche Arbeitgeber profitieren, und nicht nur in der Landwirtschaft: der Begriff "Polin" wird heute in Deutschland oft als Synonym für "Altenpflegerin" benutzt.
Das Bonmot gilt primär für die Länder der ehemaligen Sowjetunion.