Bahnhofsmission

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Hätte man mich 1989 eingefroren und würde mich jetzt im Leipziger Hauptbahnhof wieder auftauen, träfe Dr. Schockgefrostet einen Dr. Schockgetaut.
Zum Glück zählen Erinnerungen, die ich mit Bahnsteigen, Faßbrause, Gummibrötchen und Gummiwurst, Zugluft, Reichsbahngestank, Transportpolizei, Schaffner, unverständlich verhallenden Durchsagen verbinde, mehr, als die dreidimensionale Fressmeile, die man nur mit entsprechender Abstandsbrille betreten sollte.

Vom Bahnsteig ging es zum Fußball, zu Lok Leipzig, um Prügel zu bekommen.

Es wurde die Messe besucht, im Frühjahr und im Herbst, um an den Auslagen der modernen Welt irgendein buntes Prospekt einzusammeln.

Hier fuhr der Zug nach Bulgarien ab, um im Schlafwagen 2 Tage in aller Ruhe den Ostblock und seinen Schotter zu genießen.

Liebe wurde ersehnt und unter Tränen verabschiedet.

Nach dem Kurzurlaub sammelten sich die Armisten, um mit flaschenvollen Taschen in die Kasernen zu klimpern.

Von der Osthalle zur Westhalle schwitzte der Intershop seinen Westgeruch unter die arbeitenden Menschen.

Im Zeitungsladen gab es mit Glück einen Funkamateur, ein Magazin, einen Eulenspiegel, eine NBI oder Wochenpost.

Am Busbahnhof vor dem Bahnhof fuhr der Bus direkt zur Oma.

Mit den leeren Pappbechern der Getränkeautomaten wurde der Bahnhof immer mal beknallt. Waldmeisterbrause gab es für den goldenen Zwanziger.

Die E-Karren von Balkancar jaulten über die Bahnsteige, um die Postwagen zu leeren oder zu füllen.

Die Zeit des Ankommens gab es noch im Kursbuch zu lesen.

In der Mitropa gab es Eierflockensuppe.

Es zog wie Hechtsuppe.

Mit Sonntagsrückfahrkarte.http://kyf.net/freitag/utb.php?d=28.04.2010-1

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Geschrieben von

Gustlik

aufgedacht und nachgeschrieben

Gustlik

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