Mohn statt Nelken

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Liebe Natschpia,

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Nelken sind aus. Es gibt nur noch Mohn.
So sagt man nicht, ist mir gerade so eingefallen, schreibend.
Wenn seine Blütenblätter fallen, passt das auch besser zur Zeit, die schnell und stetig auf sich aufmerksam macht.

Früher wurde weniger gelabert und mehr gehandelt, da kamen ja die Nelken noch
aus Nachbars Garten.
Heute werden Nelken eingeflogen, mit Mohn vom Ufer nebenan müsste ich die Dauerlaberei betäuben, die alle Freiräume der Gesellschaft besetzt.

Weniger Reden, mehr Tun. Mehr Schreiben, weniger Abschreiben.

Manch Kampfgenährten aus der zweiten und dritten Reihe möchte ich zurufen:
"Stammt das von Euch oder seit Ihr nur verlinkt?".

Irgendwann gibt es den letzten Handlungsreisenden, der zur letzten Demo fährt, um das letzte Flugblatt persönlich auf dem leeren Marktplatz abzulegen.

Lass mich die Sache etwas erklären...
Als Zeitungen noch Tage und Wochen zum Leser, zum Soldaten unterwegs waren, wurden diese Zeitungen noch gelesen. Geschichten waren da, um geschrieben zu werden. Es waren gute Geschichten, sie wurden aufgenommen wie ein Glas Wasser nach einer langen Wanderung durch Staub und Dreck. Die Zeitung wurde gefaltet, mehrfach, an die unmöglichsten Stellen gesteckt, transportiert, um sie irgendwann in eine andere Hand zu legen und unter anderen Augen zu lesen.

Gab es damals eigentlich schon Probeabos? Oder Abos mit Geschenk? Wohl sicher nicht. Auch konnte man keinen Zeitungsleser werben, um dann vielleicht einen Grill zu bekommen! Man nahm den Jemand einfach mal mit zur Zeitung.

Grill!? Interessant ist, dass viele dieser "Entlohnungen" nichts mit einer Zeitung zu tun haben. Die Phantasielosigkeit kennt keine Grenzen, um sich dann über Zeitungslosigkeit zu wundern.

Heute, da sind Geschichten eher beim Leser. Obwohl ich hier weniger den Leser sehe. Es geht ja nur noch um Konsumenten. Alles unterliegt dem Wettlauf der Konsumtion. Deswegen haben wir auch keine Zeit mehr für Nelken.

Immer mehr Geschichten entstehen bei geschlossenen Fenstern, abgedunkelt, bei eingeschalteter Klimaanlage. Auf einem hochmodernen und entspiegelten Laptop wird in die Welt geschaut.
Twitter, so nennt man den Schützengraben nach dem Heute.
Als noch das Gestern regierte, lag man noch schreibend und mitschreibend im Dreck.

Stell Dir vor, man kann über alles schreiben. Heute ist alles möglich.

Doch sind diese Geschichten, die schnellen, nun besser als die langsamen?
In manchen Texten wirst Du auch den Abstand des Schreibenden spüren. Zwar bemüht er sich, den Placeboschmerz zu verstecken. Doch das Papier ist einfach zu sauber.

Und dann vermehren sich Geschichten, seltsam.
Nimm eine Brausetablette und lass nach und nach Wasser einlaufen. Du siehst, wie Blasen und Schaum entstehen. Später ist alles verflogen und die Brause nur eine Brause.

Und so schreibt beim kleinsten Husten jeder über den Husten. Der nächste findet aber noch Schleim im Husten, später kommt noch Fieber dazu. Keiner hilft.

Früher war das einfach nur eine Geschichte, man sprach auch von Recherche, es konnte auch geholfen werden.

Bei den ersten Radios hatten die Zuhörer noch offene Ohren.
Bei den ersten Fernsehern hatten die Zuschauer noch offene Augen.
Und heute? Du weißt es!
Es wird gelabert,nebenbeigeschaut,nebenbeigehört immer und überall, geknabbert, geknistert.
Wenn der Erfinder des Transistors das geahnt hätte, er hätte sich mit Einstein kurzgeschlossen!

Das war also meine Nebenbeigeschichte für Dich. Schreib mir, wenn Du weiter nebenbeigeschichten willst.

Wenn Du mal einen Handlungsreisenden triffst, dann grüß ihn oder sie von mir. Alle Achtung! Doch dann erzähl ihn oder ihr von dieser Nebenbeigeschichte.

Geschichten müssen warten können, dann hat der Handlungsreisende Mitstreiter, er bekommt Zuhörer und Zuschauer. Dann könnte sich auch wieder was ändern.

Ich habe Dir eine Musik geschickt. Sie sollte in den nächsten Tagen bei Dir eintreffen.
Lass Dir Zeit für den Text, schließ die Tür zu, stell Telefon und Klingel ab, häng einen Bindfaden an den tropfenden Wasserhahn, mach die Klimaanlage aus, nimm den Freitag ins Visier, wohlnachgedacht.

Grüße an Warima







http://kyf.net/freitag/utb.php?d=10.06.2010-2
Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Gustlik

aufgedacht und nachgeschrieben

Gustlik

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