Alphatiere

von einer bekannten ausnahme abgesehen, sind alle menschen fehlbar. das heißt aber nicht, alle menschen seien gleich. weiß doch jedes kind, dass es unterschiede gibt, z.b. nach alter, größe und geschlecht. mit schillers vers "und alle menschen werden brüder" ist dem kleinen bruder und der schwester nicht gedient. dichterische freiheit hin, gute absicht her, warum müssen immer einige den großen bruder spielen?

sozialwissenschaftler wissen das. die gene und die gruppendynamik verlangen sowas. alphatiere haben bestimmte funktionen in der gruppe, z. b. die leitfunktion. die hat ein kapitän auch, ein bundespräsident aber nicht. dieser ist nur ein rudiment wie ein weisheitszahn.

er besetzt bloß die lücke, die der letzte monarch hinterließ, als der, bereits entmachtet, abdankte. staatsoberhaupt ist ein bundespräsident nur nominell, zu deutsch: dem namen nach. die richtlinien der politik bestimmt die kanzlerin.

wie unzeitgemäß das amt des präsidenten ist, lässt sich leicht ablesen an seinem amtssitz. er residiert in einem schloss. das kanzleramt dagegen ist ein teurer neubau.

weil die verfasser der verfassung an dieser wie auch an anderer stelle nicht lange und gründlich genug nachgedacht, vor allem nicht vorausgedacht haben, sind das scheinbar höchste amt und seine besetzung seit ein paar jahren in den schlagzeilen, kurz: ein weisheitszahn, der wackelt.

das schielen auf die rolle der queen hilft nicht weiter. elizabeth II hat bereits 60 jahre im amt auf dem puckel und steht in einer tradition, die nach jahrhunderten zählt. so etwas kann als ein stabilisierendes moment in den turbulenzen der meist kurzatmigen politik wirken. das einigende band, das die royal family für das britische kingdom ist, ist trotz verschleißerscheinungen unvergleichlich stärker als das bändchen der fernen fahlen figuren im schloss bellevue.

der ideale kandidat fürs höchste staatsamt wäre ein mann ohne eigenschaften, ohne fehl und tadel, versteht sich, stets freundlich lächelnd wie ein grüßaugust oder verkaufsonkel, partei- und konfessionslos, mindestens 70 jahre alt. zwei bedingungen erfüllt herr gauck schon. er ist über 70 und gehört keiner partei an. dass der mann evangelischer pfarrer war, werden die katholiken verschmerzen, da sie ja den papst haben. nur die fraktion der aufklärer, freigeister und kirchenaustreter wird nörgeln, dass die trennung von staat und kirche ganz offensichtlich nicht ernst genommen wird.

anders als der bundespräsident ist ein kapitän kein lückenbüßer ohne funktion. er hat sich in vielen jahren auf seinen job vorbereitet. sein wissen und können, patent und charakter machen ihn zum ersten mann an bord. er hat das sagen, er trägt die verantwortung für schiff und besatzung.

der starken position des kapitäns ist nicht jeder auf dauer gewachsen. das hat der capitano der costa concordia demonstriert. wahrscheinlich wäre es besser, die militärisch steile hierarchie mit ihrer einsamen spitze aufzugeben zugunsten der kooperativen crew aus drei, vier offizieren, die sowieso gemeinsam die hauptarbeit an bord leisten.