16 das gefährlichste lebewesen
in der bekannten bildergeschichte ist das unglück für hans huckebein, den unglücksraben, der mensch, der den jungen raben einfängt und heimholt, und der mensch in gestalt des karikaturisten und reimers wilhelm busch, der die vorurteile über raben voraussetzt und weitergibt.
zu buschs lebenszeit im neunzehnten und frühen zwanzigsten jahrhundert galt es als ganz selbstverständlich, besonders unter jägern und förstern, das „Raubzeug“ der rabenvögel zu verfolgen bis zur ausmerzung. raben galten als kükendiebe bei bauern und bei jägern als „Raubzeug“, das in feld und wiesen die jungen hasen und fasane ebenso greift wie das gelege von singvögeln und wiesenbrütern zerstört.
dass die rabenhasser nicht so genau hinsahen und unterschieden zwischen saatkrähen und rabenkrähen, das versteht sich. die meisten können bis heute kaum dohlen und krähen auseinanderhalten.
den vorurteilen und kruden berichten gab das gerede von den galgenvögeln zusätzlichen auftrieb. in dieser gemengelage ist buschs bildergeschichte über hans huckebein zuhause.
der rabe wird grundsätzlich als übeltäter dargestellt, der an seiner bösen natur früher oder später zugrunde gehen muss. psychologisch ist das eine projektion in reinform.
den übelsten part in der rabenfrage übernehmen die jagdverbände und einzelne jäger. es ist hierzulande gegenwärtig möglich, dass ein jäger zugleich ein rabenexperte ist und als solcher ein buch über rabenvögel veröffentlicht, dessen material aus dem vorigen jahrhundert stammt und ein halbes jahrhundert alt ist.
so ein fachmann kann seine vorurteile über krähen ausbreiten, ohne zurückgepfiffen zu werden. so ein kenner kann fordern, dass jäger weiterhin die rabenvögel intensiv bejagen.
in dem bändchen der „Neuen Brehm-Bücherei(414)“ ist wiederholt von der ständig steigenden rabenkrähenpopulation die rede, von den „beträchtlichen Schäden“ dieser tiere und immer wieder von der notwendigkeit der „Bestandsregulierung“ und „Dezimierung“. und das gegen die fundierten argumente des kenners reichholf und anderer.
eine kostprobe seines weidmännischen engagements gibt der jäger und autor m. melde im folgenden absatz:
„Welch starke Bindung der Eltern zu ihren Eiern bzw. zu ihren Jungen besteht, konnte ich mehrfach beobachten. Bei Nestbesteigungen umflogen mich mehrfach warnende Männchen, während sich die Weibchen noch immer in die Nestmulde drückten. Sie strichen manchmal erst von den Jungen ab, wenn ich mit dem Arm fast am Nestrand anlangte. In einem Fall beschoss ich ein vom Gelege streichendes Weibchen erfolglos. Nach 3 Tagen wiederholte ich den Abschussversuch des abermals davonfliegenden Weibchens mit dem Erfolg, dass ich es ständerte [im Jagdjargon werden Beine als Ständer bezeichnet]. Nach weiteren 2 Tagen jagte ich das Weibchen erneut vom Nest und streckte es endlich. Trotz mehrfachen Wegjagens, Beschießens und sogar Krankschießens hatte das Paar das Nest nicht aufgegeben.“
dass der mann nicht merkt, wie grausam er aus alter gewohnheit handelte, ist leider bei menschen keine ausnahme. mit dem jägerschimpf „Raubzeug“ sind die rabenvögel gemeint. es erklärt sie in der ansicht der jäger für vogelfrei. der autor der monographie bedient sich wiederholt dieser vokabel und dokumentiert mehrfach sein entsprechendes verhalten.
in der weit verbreiteten einstellung der jäger zu den rabenvögeln schlägt die hohle tradition durch. jäger nehmen es den raben bis heute übel, dass die ihnen die mögliche beute stehlen, wenn sie mal ein gelege ausnehmen oder ein fasanenküken erbeuten. das raubzeug in menschengestalt verübelt es dem tier, dass es nichts anderes tut, als nahrung zu suchen, während die jäger heute nur ihrem sonntagsvergnügen nachgehen.
japanische fischer stellen delphinen nach, weil die zum teil jene fische fressen, denen die fischer nachstellen und die ihren fang ein wenig schmälern könnten; das ist eine parallelaktion zum verhalten der jäger hierzulande. raubzeug in der beutekonkurrenz.
zum glück gibt es neuere experten unter den rabenkennern und auch jägern, die eine humane haltung im „Rabenvogelstreit“ einnehmen, etwa reichholf, epple, glandt und heinrich.
bernd heinrich ist ein bekannter rabenforscher. gar keine frage. aber er und die mehrheit der biologen in der forschung schrecken vor tierversuchen nicht zurück. wenn heinrich etwa schildert, wie er die wildfänge der raben für seine zwecke nutzt, ist das fangen der raben schon ein solcher eingriff in das rabenleben, dass hier eindeutig der forschungszweck über die mittel gestellt wird.
das gilt genauso für die neuerdings beliebte methode, vögel per minisender, der den tieren auf den rücken geklebt wird, bei tag und nacht zu verfolgen bzw. zu orten.
wenn die großen raben schon der leichte fußring so sehr stört, dass sie versuchen, den fremdkörper loszuwerden, manchmal mit erfolg, dann sind die radiorucksäcke mit antenne erst recht eine unangenehme last für die vögel. von großen flügelkarten ganz zu schweigen.
was da im namen der wissenschaft den tieren zugemutet wird, überschreitet klar eine grenze.
bei bernd heinrich spüre ich deutlich, dass er nicht gefühllos operiert. er bricht manchmal einen versuch ab, wenn er meint, dass es nun genug war. aber so richtig im verantwortbaren forschungselement ist er doch erst, wenn seine versuche spielcharakter haben. etwa wenn er untersucht, welche eier oder welche junge die brutvögel sich unterschieben lassen. solche störungen im leben der tiere sind verkraftbar, weil nur kurzzeitig und praktisch folgenlos.
wenn aber das tier/der vogel für tage und wochen beeinträchtigt wird durch einen versuch, ist er rücksichtslos und einseitig im interesse der forscher. die biologische ethik muss so einen forscherehrgeiz einschränken. wildfänge bei heinrich und anderen überschreiten eindeutig diese grenze.
heinrich berichtet selbst über einen tierversuch auf seiner rabenstation, der tödlich ausging.
er setzte einen wildfang in die volière mit einer gruppe von vier handaufgezogenen raben. obschon heinrich die feindseligkeiten bzw. den ungleichen kampf der beiden parteien sah, musste er angeblich dringend einen termin andernorts wahrnehmen. als er von der reise zurückkehrte, fand er den der vierergruppe ausgesetzten wildfang tot vor. und er beschreibt die spuren des tödlich endenden kampfes.
das einzeltier war natürlich der gruppe unterlegen. in der freien natur hätte es fliehen können, nicht aber im käfig. das hätte heinrich vorhersehen müssen bei seiner kenntnis der raben. er hat es an tierliebe, an empathie mit dem einzeltier fehlen lassen. als forscher hat er einen befund mehr, aber als mensch hat er an dieser stelle versagt, sich als das erwiesen, was tiere zu recht fürchten: das gefährlichste lebewesen.
Kommentare 17
immer wieder erstaunlich, lieber helder, zu sehen, wie lange die menschheit brauchte, um gegenüber den tieren aufzuwachen und sie nicht als objekte zu sehen. ich wünschte, den menschen gegenüber würden die menschen auch so langsam aufwachen.
jedenfalls sehe ich krähen, dohlen und raben seit diesen geschichten anders. dafür dank und herzlichen gruß, elke
jedenfalls sehe ich krähen, dohlen und raben seit diesen geschichten anders
liebe elke,
das denkbar größte lob. danke.
herzlich
helder
Lieber Helder, Deine Krahegeschichte erzählt so viel mehr als nur die Geschichte des Vogels.
Ich wollte nach dem Lesen des Artikels "Flucht aus nächster Nähe" in Deiner liebevollen Beschreibung des so behutsam betrachteten Krahe umdenken. Und dann kam der Absatz des Autors M. Melde. Und ich bin wieder in dieser brutalen Wirklichkeit angekommen. Gnadenlose Schicksale von Mensch und Tier.
Das Gute ist, dass Deine Krahe-Novelle vom Guten berichtet.
H.G.
Eichhörnchen
Deine Krahgeschichte erzählt so viel mehr als nur die Geschichte des Vogels.
ja, das ist so, liebes eichhörnchen, weil ich nicht einfach ein foto des raben zeigen will, sondern das tier in seinem umfeld. und dieses umfeld ist nicht immer freundlich. zum teil brutal. das ist leider so.
herzlich
helder
Lieber Helder,
vielen Dank für die Fortsetzung, die sehr deutlich aufzeigt, welche „Koryphäen“ wir als Rabenexperten in unserem Land haben. Auf der einen Seite liest sich das Ganze höchst interessant, aber auch gruselig, da man sich genau vorstellen kann, wie die Raben der Willkür von „Forschern“ ausgesetzt sind.
Ich wünsche dir ein schönes Wochenende!
Herzliche Grüße
Corina
brecht: "was sind das für zeiten, wo ein gespräch über bäume fast ein verbrechen ist, weil es das schweigen über so viele untaten einschließt" - das kommt mir öfters in den sinn, wenn ich dieses blog verfolge, in einem irgendwie gearteten linken medium. und ich meine brecht hat an dieser stelle sogar unrecht: wie soll man die welt aushalten, wenn man sich nicht über das alltägliche leben unterhält...in diesem sinne beste grüße, elke
welche „Koryphäen“ wir als Rabenexperten in unserem Land haben.
liebe corina,
die haben wir tatsächlich, wenn ich an epple, reichholf, glandt und andere denke. aber verstehe schon, wen du meinst. noch unverschämter aber finde ich die steuermänner, die mit keinem blassen schimmer von ahnung das schiff schaukeln...
auch dir trotzdem ein schönes wochenende.
herzlich
helder
und ich meine brecht hat an dieser stelle sogar unrecht:
hat er, liebe elke, ist aber nicht seine schuld. ein gespräch über die abgeholzten wälder ist längst ein politisches. und genauso ist ein text über krahs auch politisch.
zu brechts zeit war das bewusstsein noch ein anderes. es war nur der kampf der parteien wichtig...
hab den brechtvers auch schon mal zitiert, um ihn zu widerlegen. das ist schon ein paar tage her.
herzlich
helder
war wohl gedankenübertragung, ging mir aber schon lange durch den sinn.
war wohl gedankenübertragung, ging mir aber schon lange durch den sinn.
von der baumschule ists nicht weit bis zur jugendanstalt. auch die jungen setzlinge werden nach jahrgängen angelegt in einer sogenannten schonung.
dass sie im wettbewerb ums licht sich gegenseitig in die höhe treiben und am ende abgeräumt werden nach forstplan, fand ich bemerkenswert. stellvertretend, aber auch ganz real taten die bäume mir leid, obwohl mir neulich erst so richtig bewusst geworden ist, dass die bäume nichts oder fast nichts sehen. die ärmsten oder?
herzlich
helder
dass die bäume nichts oder fast nichts sehen. die ärmsten oder?
weiß nicht, wie du das meinst. natürlich merken die was. das wird jetzt aber ztu mystisch für diesen blog.
weiß nicht, wie du das meinst. natürlich merken die was. das wird jetzt aber zu mystisch für dieses blog.
liebe elke,
ganz unver mystischt ist mir gestern bewusst geworden, dass die bäume noch so in der sonne glänzen mögen, sie haben gar keine augen und sehen darum nicht dieses sonnige panorama. ich weiß nicht, warum mir das nicht schon eher klar war. aber plötzlich merke, dass die bäume nur in meinen augen, natürlich auch in deinen und krahs augen so erscheinen, wie wir sie sehen. die bäume selbst sind nur objekte, sehen selbst nichts. ganz im dunkeln stehen sie nicht da. aber was sie wahrnehmen vom licht, ist vielleicht oder wahrscheinlich nur so ein schein, etwas helles, wonach die pflanzen allgemein sich ja richten.
verstehst du jetzt, wie ich das meine? die bäume haben weder augen noch bewusstsein. sie befinden sich im dunkeln, lassen aber blätter und triebe zum licht wachsen. mir ist auf einmal die tiefe kluft zwischen pflanzen und augentieren bewusst geworden.
herzlich
helder
;-)
Lieber Helder,
hm, diese Steuermänner... o ja...
...Ebbe und Flut kommen und gehen, man wird die Augen verdrehen und ihnen, den Steuermännern, auch weiterhin kopfschüttelnd beim Schaukeln zusehen. ;-)
Herzliche Grüße
Corina
liebe corina,
müssen wir diese typen nicht wenigstens verwünschen?!
ich weiß, die sind nicht selbstgebaut. insofern so unschuldig wie ein wolf, der schon wieder ein schaf aufgerissen hat...
herzlich
helder
"Bäume sinken buchstäblich in den Schlaf"
Ist doch wie bei uns: ich liege meistens ziemlich krumm im Bett. ;-)
hm, bäume baumeln oder?
mir kommt das verdächtig vor, dass die baum-schlaf-forscher sich an die birke gewandt haben, um sie zu beobachten beim sinken in den schlaf.
im musikunterricht kam in dem schlaflied "die blümelein, sie schlafen..." auch der birkenbaum vor. wenn ich mich recht erinnere, rüttelt sich der birkenbaum, von einem hang zum hängen war nicht direkt der gesang.
wahrscheinlich haben sich die gewieften forscher die pendula ausgesucht für ihre untersuchungen und beobachtungen, denn die pendula pendelt mit ihren zweigen, die dabei zum hängen prädestiniert sind. wahrscheinlich pennen die auch mittags ganz ähnlich...
Schöne Geschichte. Wenn ich einmal viel Zeit habe, möchte ich noch viel mehr über Bäume erfahren, nicht nur naturwissenschaftlich. Würde gerne ein paar Wochen auf einem Baum verbringen (ist mir aus Gesundheitsgründen nicht möglich).
Naja, Gott sei Dank fallen sie beim Einschlafen nicht um. :-)