die sommermärchen(2).

brüsseler spitzen. die zentralverwaltung der eu in brüssel bekommt seit einiger zeit viel kritik zu spüren. in diesem blog geht es nur um weniger heiß umkämpftes gelände.

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was hippopotamische bürokratie auszeichnet, ist oft schon an kleinigkeiten festzumachen. eine spitzenleistung der eurokraten, die allgemein bekannt und berüchtigt ist, das war die vorschrift über den krümmungsgrad der gurken. für alle, die keine gurken züchten und verkaufen wollen, klingt das nach bagatelle. ist aber für gurkenproduzenten ein ärgernis erster güte. denn da gehts ans eingemachte.

der plural brüsseler spitzen ist angemessen, denn die gurken blieben nicht allein. die sogenannte sommerzeit ist ein weiterer fall tüchtiger kontinentaler regulierungswut. den dreh an den chronometern kennen alle, und zwar von kindesbeinen an. denn der eingriff in den zeitablauf, der sich gegen den gang des zentralgestirns richtet, geht meist nicht spurlos vonstatten.

irgendwann hat es mal eine begründung für die jährliche zeitverschiebung gegeben. es heißt, man wollte damit energie einsparen. doch davon hat sich die zentralverwaltung längst emanzipiert. es geht nur noch um den dreh um des drehs willen, weil eine so gewaltige organisation wie die eurische ihr eigengewicht und ihre entsprechende wucht hat. die zweimalige staatsaktion im jahr, im märz und im oktober, ist längst zum selbstzweck gereift.

welches ereignis rätselhafter und willkürlicher ist, die einführung der sogenannten sommerzeit oder aber die erstaunliche realitätsverweigerung ihrer beibehaltung und fortsetzung bis ultimo, ist schwer zu sagen. ein aufstand dagegen wird mit jedem jahr unwahrscheinlicher, weil ja die anderen probleme nicht geringer werden oder weniger. man muss mit seinen kräften haushalten.

jetzt im september fällt natürlich allen auf, dass die tage kürzer, die nächte länger werden. morgens wird es merklich später hell, abends entsprechend früher dunkel. wer nun keine kinder hat, deren einschulung in diesem jahr anstand, muss sich keine gedanken und sorgen machen, dass der schulweg bis ende oktober immer dunkler wird. die sicherheit unterwegs ist so bedenklich, dass viele eltern und großeltern fahrt oder begleitung übernehmen.

auch wer die unfallstatistik nicht kennt, kann sich denken, dass die unfallzahlen wahrscheinlich mit zunehmender dunkelheit steigen. wenn das trägheitsmoment der eu-verwaltung nicht so hinderlich wäre, könnte das problem des dunklen oktoberschulwegs einfach gelöst werden durch verkürzung der sogenannten sommerzeit um einen monat, um den oktober nämlich. dabei wäre die aufteilung des jahres in zwei gleiche hälften zudem natürlicher als das schräge verhältnis von 7 sommermonaten zu 5 wintermonaten.

kann es vielleicht sein, dass die amtsschimmel in brüssel so viele halbheiten produzieren, weil ihr sinn für gleichheit ins schlingern gekommen ist durch die unverhältnismäßige ungleichheit der jahreshälften? und war etwa der wunsch der vater gedankens bei der großzügigen verlängerung des sommers auf kosten des winters? bei den in der bürowelt der brüsselkraten eingesperrten ist es nicht ausgeschlossen, dass sie aufs thermometer sehen statt auf die chronometer. und der goldene oktober mit weinlese und so mag auch ausschlaggebend gewesen sein für die hereinnahme des oktobers in den sommeranteil des jahres.

wenn die eu-kinder heil durch den dunklen oktober zur schule gekommen sind, heißt das noch nicht, sie hätten die unnötigen hürden überwunden, die ihnen die brüsseler aktenträger in den weg gestellt haben, denn angekommen in der anstalt müssen sie lernen, dass eine hälfte längst nicht so groß ist wie die andere. das sommermärchen aus brüssel dauert sieben monate, das wintermärchen aber nur fünf. so einfach ist das mit der gleichheit des ungleichen. 7 = 5

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Geschrieben von

h.yuren

buchveröffentlichung 2017, KRAH - das rabentagebuch, 350 S., 8 fotos ISDN 978-3-945265-45-1; Tb. 15,-

h.yuren

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