motto: nix dabei gedacht.

freie entscheidung. man sagt, der markt regle alles am besten selbst. sagen kann man viel. beweisen ist die sache. ich habe heute ein beispiel der großen freiheit erlebt.

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mein rabe wurde sehr unruhig. ein lautes motorknurren war der grund. was es damit auf sich hatte, wollte ich wissen und ging vor die tür. ein lkw von geschätzten zehn tonnen quälte sich rückwärts durch den engen weg hier.

ich sah an der beschriftung des tankwagens, dass er flüssiggas bringen wollte. am kennzeichen sah ich, dass das fahrzeug aus dortmund kam. also kannte sich der fahrer im vorgerückten alter sich hier wahrscheinlich nicht aus.

das bewies er durch seinen versuch, trotz kurviger enge seinen weg rückwärts zu finden. ein millimeterfahrer war er. das war zu sehen. es ging ganz knapp an bäumen und anderen wegbegrenzungen vorbei. aber dann erschien ein halbnackter nachbar mit kamera und schoss auf den lkw.

das war grund genug für den fahrer auszusteigen. er sprach kurz mit dem schießenden nachbarn und verabschiedete sich. er hatte eingesehen, dass kein durchkommen war. der nachbar wollte beweise sammeln, dass der schwere lkw den weg vor seinem haus abgesenkt hatte. doch dazu kam es nicht.

der mann fuhr mit seiner ladung zurück, ohne einen zaun oder baum zu berühren. er war vergeblich angereist. der hintergrund ist folgender: die siedlung hatte von beginn an eine zentrale versorgung mit flüssiggas. irgendwann verlor die klausel der gründerzeit ihre wirksamkeit, nach der jeder bewohner sich verpflichtete, an der zentralversorgung teilzunehmen.

das sprach sich herum, und binnen kurzer frist bestellte etwa die hälfte der anwohner auf eigene rechnung einen ballon als flüssiggasbehälter, der gewöhnlich in einer ecke des gartens aufgestellt wurde. was die einzelbesteller für das flüssiggas nicht bedacht hatten, war der regelmäßige antransport von flüssiggas per lkw.

die kurvigen wege sind hier nicht nur äußerst eng für große lkw, sie sind auch nicht tief fundiert, sondern nur dünn gepflastert. so entstehen tiefe fahrrinnen, bis die gemeinde anrückt und für ebene verhältnisse sorgt - auf rechnung des anliegers. darum wollte mein nachbar ein dokument, das bewies, wer den weg abgesenkt hat.

frage: warum hat niemand den selbstversorgern gesagt, welche folgen die individuelle gasbestellung haben würde? warum haben die leute bei der initiative nicht selbst an mögliche probleme gedacht? wenn die lieferfirma demnächst mit einem kleineren lkw anrückt, muss der besteller womöglich die vergebliche anreise des 10-tonners mitbezahlen.

die gasbehälter in den vorgärten sind alles andere als sorgfältig gewartet. nur ein kleiner unfall kann die häuser und die nächsten gasbehälter, die ja nie ganz dicht sind, hochgehen lassen. für die feuerwehr gäbe es die gleichen schwierigkeiten, mit den löschfahrzeugen ans ziel zu gelangen. nach dem großen knall werden die eigentümer ihre große freiheit hoffentlich besser nutzen.

angeblich soll die selbstversorgung billiger kommen, sagt man. aber dass diesen freibeutern die kontrolle oder der beistand, die beratung fehlt, ist deutlich. das ist doch von vornherein klar. aber die bürger müssen erst schlechte erfahrungen sammeln, bis die verwaltung anfängt, daran zu denken? die mündigen bürger sind bei der zentralen gasversorgung geblieben...

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Geschrieben von

h.yuren

buchveröffentlichung 2017, KRAH - das rabentagebuch, 350 S., 8 fotos ISDN 978-3-945265-45-1; Tb. 15,-

h.yuren

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