Realitätssinn.

Frieden. wo nur noch von kriegen im plural die rede ist, bleibt keine zeit, über frieden nach- und vorzudenken. es ist dies schlicht zu unwirklich, zu fern vom augenblick.

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in kants kleiner schrift "Zum ewigen Frieden", angeblich sein meistgelesenes werk, steht ganz unmissverständlich, dass, was gemeinhin als frieden gilt, bei licht besehen doch nur ein befristeter waffenstillstand sei.


wahrscheinlich müsste diese einsicht dem publikum täglich wie ein werbeslogan vorgesetzt werden: vom kindergarten bis zur hochschule, auf dem tv- und pc-schirm, auf haus- und leinwänden, an litfaßsäulen, omnibussen und straßenbahnen, damit die wahrheit den bekanntheitsgrad hätte, der ihr zusteht.


auswendig hersagen könnten dann viele leute, was kant geschrieben hat, aber wären sie auch imstande, den millionenfach vervielfältigten satz zu verstehen?
kant hat nicht erklärt, dass die basis aller kriege die herrschaft ist, die alle regelungen des völkerrechts zunichte machen muss; denn das völkerrecht setzt auf die existenz der staaten, mithin auf herrschaft.


wenn die "Vereinten Nationen" gegründet wurden, um nach der erschütternden erfahrung der weltkriege den weltfrieden zu sichern, ist das ein paradoxon, das die wenigen jahrzehnte seit gründung der UN hinreichend dokumentieren. es war eine unrealistische zielsetzung.


es wäre zuviel verlangt, von kant zu erwarten, dass er vor über 200 jahren, im königreich preußen, im zeitalter des absolutismus selbst die phantasie gehabt hätte, die herrschaft ganz wegzudenken, sich eine menschheit ohne herrschaft vorzustellen, die er für den ewigen frieden dann zwingend hätte fordern müssen. selbst wenn kant diese utopische phantasie gehabt hätte, so hätte er unmöglich auf verständnis bei seinen lesern rechnen können (von den zensoren gar nicht zu reden) für eine welt, die auch heute noch als wolkenkuckucksheim gilt.


andererseits müssen die realpolitiker wissen, dass herrschaft und krieg in unserer globalisierten welt folgerichtig in die apokalypse führen wird, denn krieg bedeutet im zeitalter des overkill durch atomraketen mit an sicherheit grenzender wahrscheinlichkeit das ende der menschheit.


die alternative heißt mithin: eine anstrengung der einbildungskraft über kant hinaus, um den ewigen frieden in der herrschaftsfreien welt zu verwirklichen, oder aber ohne hoffnung auszuharren bis ans absehbare ende.


die regierenden aller länder starren auf die forderungen des tages. von ihnen ist nichts zu erwarten. sie stehen für herrschaft, krieg und vernichtung. afghanistan und somalia sind nur bauern auf ihrem brett.

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Geschrieben von

h.yuren

buchveröffentlichung 2017, KRAH - das rabentagebuch, 350 S., 8 fotos ISDN 978-3-945265-45-1; Tb. 15,-

h.yuren

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