Untertänigst

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einige europäische staaten haben noch gekrönte oberhäupter, etwa die skandinavischen länder dänemark und schweden.
seit ende des ersten weltkriegs ist teutonien ohne krone. oberhaupt wilhelm 2 verschwand sang- und klanglos bei verwandten im neutralen holland.
nach dem krieg zog der reichstag einen strich unter das leidige kapitel adelstitel. seitdem, seit 1919, sind in dieser republik adelstitel laut gesetz nicht mehr vererbbar.

und was hören und lesen wir heutzutage beinahe täglich, gut 90 jahre nach dem gesetz, in den medien? graf, freiherr, baron, prinz ...

wenn mich nicht alles täuscht, ist die gesetzliche abschaffung der erblichen adelstitel in den 60er jahren noch einmal höchstrichterlich bestätigt und bekräftigt worden.

dass die bunte klatschpresse und ihre klientel es auch in 100 jahren noch nicht kapiert haben werden, ok, mancher lernt's halt nie; aber dass ein redakteur der öffentlich-rechtlichen sendeanstalt gleichfalls in kühner ahnungslosigkeit seinen gast wiederholt mit vollem adelstitel anredet und dann auf anfrage zugibt, nichts von der rechtslage zu wissen, legt zumindest die vermutung nahe, die journalistische ausbildung hätte an dieser stelle überzeugender sein können.

der reichstag hatte nach dem unrühmlichen ende des kaiserreichs ein zeichen setzen wollen. doch die mehrheit im parlament hatte nicht bedacht, dass es wenig nützt, ein gesetz zu beschließen, das die vererbung der adelstitel verbietet, wenn sich erweist, dass die tradition der untertänigkeit eine tatsache ist, unverbietbar, die auszutreiben ein schwieriges unterfangen ist, schwieriger als so manche hochnotpeinliche teufelsaustreibung durch einen starken gottesmann.
merke: gegen lang gepflegte traditionen kämpfen götter selbst vergebens.

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Geschrieben von

h.yuren

buchveröffentlichung 2017, KRAH - das rabentagebuch, 350 S., 8 fotos ISDN 978-3-945265-45-1; Tb. 15,-

h.yuren

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