Löcher machen

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Abrissbeginn am Riebecklatz: für 1,1 Millionen Euro wird das erste der beiden markanten Hochhäuser abgerissen. Die Hallesche Wohnungsgesellschaft HWG hatte per Pressemitteilung eingeladen. Ein drei Tonnen schwerer Bagger würde in 70 Meter Höhe gehievt, um dann das bekannteste Hochhaus der Stadt "herunterzubeißen". 22 Etagen nach unten - ein Stockwerk in zehn Tagen. Man mache einfach ein Loch in die Decke, auf der man stehe, diktierte der Bauleiter dem MZ-Journalisten in den Block und dann fachsimpelte man über "Baggermatratzen". Und ein Radlader sollte auch unbedingt noch mit aufs Dach. Eine Bürgerinitiative hatte bis zuletzt gegen den "Abrisswahn" protestiert und willige Käufer hatten öffentlich millionenschwere Angebote unterbreitet. Es half nichts, die städtische Abriss-Nomenklatura hat den Stadtrat fest im Griff und in den Ämtern wird oft von Heidelberg schwadroniert, das es als "Romantik-Standort" zu überholen gelte. Auch in einem lokalen Forum wurde Stimmung gemacht: die Riebeckpatz-Hochhäuser symbolisierten die so genannte "DDR", die in den Gänsefüßchen, den Unrechtsstaat, das Unterdrückungsregime!

"Es ist ein durchdachtes und gewachsenes städtebauliches Gesamtbild, das da ohne Not zerstört wird. Ohne etwas vergleichbares anbieten zu können ...", meldete sich ein nachdenklicher User. Das konnte "Wolli", ein Ex-Stadtparlamentarier und ewiger Florida-Rolf-Kampagnen-Recke nicht unwidersprochen lassen: "Den Neubau überlassen wir unseren Kindern oder Enkeln, die wollen ja schließlich auch noch bedeutende Bauwerke errichten."
"Da ist Honecker vorbei gefahren, aber schnell weg damit und eine neue Kirche hin!", meinte ein Spötter. Ich hatte auch nichts geistreicheres beizutragen, spürte nur eine unendliche Müdigkeit, jahrzehntelange gnadenlose Lobbyarbeit und tagtägliche Abriss-Propaganda hatten ihre Spuren hinterlassen. Traurig tappte ich zum Bahnhof. Am Kiosk machte "Bild" ganz groß mit einer Wildkrankheit auf: Killer-Bakterien töten unsere Rehe! Hat der Herr Döpfner jetzt auch schon eigene Rehe?

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Von einem der südlichen Bahnsteige hat man einen guten Überblick über das Stadtpanorama, das es so bald nicht mehr geben wird. Ohnmacht, Wut, Kommunikationslosigkeit, aber ich kann es nicht ändern, engagiere mich nur noch gegen den Hochstraßen-Abriss, der gerade von einer Lobbygruppe Besserverdienender propagiert wird. Wenn sich die verbohrten Ideologen an Verkehrswegen vergreifen, wird es gleich richtig blutig, wie die beinahe monatlich auf der Neustädter Magistrale sterbenden Füßgänger zweifellos beweisen.

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Geschrieben von

hadie

Was die Arbeitnehmer jetzt brauchen, ist ein Rettungsschirm für die Portemonnaies. (Frank Bsirske)

hadie

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