Besser spät als nie!

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Trotzdem muss ich sagen, dass es mal wieder typisch deutsch ist, erst auf den großen Bruder USA zu warten, bis hier mal jemand auf die Straße geht. Als Verfechter von Indoor-Aktivitäten und leichter, lockerer Bekleidung, war es mir kein Vergnügen in der heutigen Kälte den Protest zu unterstützen. Warum hat Deutschland nicht mitgemacht, als Spanien mit den Demonstrationen für echte Demokratie begonnen hat? Da hätte man den ganzen Sommer Zeit gehabt.

Okay, zugegeben ... der Sommer war auch mies. "Schwarz-Gelb" war der Sommer, möchte man fast behaupten. Aber so schlecht war er dann auch wieder nicht.

Als absolute Indoor-Ratte hatte ich dennoch Spaß auf der heutigen "Occupy Bundestag" Demo in Berlin. Der Protest war trotz der Kälte größer, als ich es am ersten Tag erwartet hätte. In New York brauchte es fast 14 Tage, bis sich 7000 Demonstranten einem Protestmarsch anschlossen. Angeblich hat man in Berlin diese Zahl schon heute übertroffen. Sogar von 10.000 Menschen war die Rede.

Aber was sind schon Zahlen? Manchmal denke ich, dass allein meine Anwesenheit schon viel zu bedeuten hat. Wenn ich mich freiwillig einer Demo anschließe, dann sicher nicht aus reiner Belustigung. Dafür ist mir meine Indoor-Zeit zu kostbar. Wenn Medien dann von Demonstranten sprechen, die solche Aktionen eh nur mitmachen, weil sie Spaß daran haben, dann kann ich über dieses polemische Vorurteil nur herzhaft lachen. Ich glaube jeder Mensch hätte besseres zu tun, als sich mit anderen Menschen gemeinsam die Füße in den Bauch zu stehen und sich schlimmstenfalls auch noch von der Polizei herumschubsen zu lassen.

Der Spiegel schreibt heute zum Beispiel:

Denn es fällt auf, dass am Samstag nicht nur die vielbeschworenen Wutbürger erwacht sind, sondern auch die Träumer. Viele Demonstranten sind weniger hier, weil sie gegen etwas sind (das System, die Boni-Banker, die Rating-Agenturen), sondern für etwas: Viele Menschen, die am Samstagnachmittag auf dem großen Platz vor der Europäischen Zentralbank in Frankfurt demonstrieren und tanzen, träumen vom Anbruch einer besseren Zeit.

www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,792005,00.html

Der "Wutbürger" war doch eh nur eine dümmliche Erfindung der bürgerlichen Journalisten. Der Traum von einer Welt ohne Atomwaffen und Atomkraftwerke ist doch nicht gegen etwas. Höchstens vielleicht gegen Dummheit und eine verstrahlte Welt.

Wenn man gegen etwas ist, ist man meistens auch für etwas. Für das Gegenteil oder eine andere Lösung. Wenn dann also unsere Zyniker von "Wutbürgern" sprechen, weil die Mehrheit der Bevölkerung FÜR die Abschaltung der Atomkraftwerke ist, dann sollte man schnellstens einen Spiegel aufstellen und polemisch zurückfragen: Warum seid ihr gegen die viel klügere Vision, diese Welt zu schonen? Warum macht Euch die bessere Idee so wütend? Wer ist jetzt hier der "Wutbürger"? Ist Euch Euer Vermögen wirklich soviel wichtiger als die Welt?

Nun gut ... das waren meine ersten, unsortierten Gedanken nach meiner Heimkehr in mein gemütliches Indoor-Paradies. Nur ist mein Zimmer mittlerweile auch nicht mehr richtig warm. Von daher solidarische Grüße an alle Demonstranten, die etwas härter im Nehmen sind und es hoffentlich schaffen, ein Zeltlager vor dem Bundestag zu errichten! Viel Glück. Und ich werde die Tage sicher nochmal mein Indoor-Camp verlassen, um Euch vor Ort zu unterstützen. Dann vielleicht auch mit Iso-Matte ...

Berlin is occupied ...

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Geschrieben von

Harm

queer dissenting artist - twittert unter @HarmNeitzel

Harm

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