Wenn man die Hysterie zwischen westlichen Homo-Lobbies und Russland verstehen will, darf man die westlichen Provokationen vor dem albernen Anti-Homopropaganda-Gesetz nicht ausser Acht lassen!
Schon lange vor dem dummen Anti-Homopropaganda-Gesetz haben westliche LGBT-Gruppen für Gay Prides in Russland gekämpft. In Russland und selbst in EU-Ländern, wenn der russische Präsident zu Gast war.
Grundlos hysterisch, wie man schnell bemerkt, wenn man die Geschichte etwas objektiver betrachtet.
Man hätte schnell recherchieren können, dass Russland die russische Version des §175 noch vor der BRD abgeschafft hat. Seit 1993 gibt es kein Gesetz mehr, welches Homosexuelle kriminalisiert!
Und hätte die DDR nicht schon 1989 den §175 abgeschafft, hätte die Kohl-Regierung dieses Thema nicht freiwillig angerührt. Aber Mauerfall sei Dank, wurde auch in der BRD - ein Jahr nachdem die Russen ihren §175 abgeschafft hatten - das homophobe Gesetz ersatzlos gestrichen!
Hätte Rot-Grün nach 1998 die Homo-Ehe (eingetragene Lebenspartnerschaft) bereits einführen können, ohne dadurch Proteste wie aktuell in Frankreich auszulösen, wenn sie erst noch den §175 hätten abschaffen müssen? Ich unterstelle den rot-grünen Politprofis, dass die Abschaffung des §175 der einzige Rot-Grüne Erfolg geblieben wäre. Und ich glaube, die Politiker von SPD und Grüne würden mir da heimlich zustimmen. Warum sonst haben sie nicht direkt die vollkommene Gleichstellung gewagt. Rot-Grün wollte ein deutliches Zeichen für Homosexuelle setzen, aber nicht die Konservativen im Land provozieren!
In Spanien hat man die Konservativen herausgefordert und die vollkommene Gleichstellung von einem Tag auf den Anderen eingeführt. Darauf folgten konservative, christliche Demos in den queeren Vierteln von Madrid! Das hat man uns (zum Glück!?) erspart. Vorerst!
t.A.T.u. und der Eurovision Song Contest
Ende der 90er Jahre erfand der russische Musikproduzent Iwan Schapowalow das "lesbische" Pop-Duo t.A.T.u. und brachte damit sogar den Westen zum staunen.
Auch wenn er sich im Jahr 2003 für den großen Durchbruch die musikalische Hilfe vom britischen Musikproduzenten Trevor Horn (u.A. Frankie Goes To Hollywood) holte, so war das "Lesben-Image" die Idee des russischen Produzenten. Das beweist der ursprüngliche Name der Gruppe:
"Taty"
Taty war ein Kürzel für "Та любит Ту" (Ta ljubit Tu) und bedeutet soviel wie "Die Eine liebt die Andere". Der Name musste für den internationalen Markt geändert werden, weil sich bereits eine australische Band diesen Namen gesichert hatte.
Als das vermeintlich "homophobe" Russland t.A.T.u zum Eurovision Song Contest schickte, drohte die EBU (European Broadcast Union) mit Zensur, falls die beiden Frauen sich - wie angekündigt - auf der Bühne küssen sollten! Sie küssten sich nicht. Aber spielten mit der Angst der ESC-Macher, indem sie sich auf der Bühne hin und wieder angenähert hatten und dann doch nicht küssten! Eine schöne Provokation!
Damals hat die queere Szene vor dem Fernseher gesessen und gehofft, dass diese russischen Mädels sich auf der Bühne küssen würden und dem homophoben Zensurwunsch der EBU den erhobenen Stinkefinger zeigen. Aber sie hielten sich brav zurück und erreichten dennoch die gewünschte Aufmerksamkeit. Das es am Ende gar keinen Kuss gab, spielte am Ende gar keine Rolle mehr, weil der "Kuss" das über alles schwebende Thema des damaligen ESC war!
Auch in den USA wurde die Gruppe zensiert. Sie trugen in einer TV-Show T-Shirts mit dem Aufrduck "ХУЙ ВОЙНЕ!" (CHUJ WOJNE!), was auf Russisch sinngemäß "Fick den Krieg!" bedeutet. Und obwohl die große Mehrheit der Amerikaner dies nicht verstehen konnten, wurde der Band beim nächsten Talkshow-Auftritt untersagt, diese T-Shirts noch einmal zu tragen! Woraufhin sie T-Shirts mit der Aufschrift "CENSORED" trugen.
Volker Beck in Moskau
Spätestens 2006 wurde plötzlich die Forderung nach einem Gay Pride in Moskau laut. Volker Beck reiste nach Moskau um dort zu demonstrieren. In einem Land, in dem Demonstrationen nicht erlaubt sind. Dafür bekam er auf die Fresse. Unschön. Aber in Deutschland haben Menschen schon ihr Augenlicht verloren, obwohl sie sich friedlich an angemeldeten Demos zum Erhalt eines Bahnhofs eingesetzt haben.
Hinzufügen sollte man auch, dass er von russischen Nazis angegriffen wurde und die Polizei lediglich verpasst hat, ihn davor zu schützen. Das wäre übrigens die Opposition in Russland, die in einem Russland ohne Putin an die Macht kommen könnten. Es gibt nämlich offiziell keine relevante homo-freundliche Partei in Russland. Ebenso nicht, wie in der Ukraine. Aber das ist einem unpolitischen Geist scheinbar egal. Hauptsache der böse Putin ist weg.
Seitdem hat sich leider das Bild vom "homophoben Russland" in die Gehirne vieler Homosexueller gebrannt. Was weniger falsch wäre, wenn man sich über die homophobere Politik bestimmter EU-Anwärter/-Partner mindestens genauso echauffiert hätte! Aber da gab es nie eine vergleichbare Hysterie. Leider.
Russland gewinnt den Eurovision Song Contest
2008 gewann Russland den ESC, woraufhin Moskau im Jahr 2009 Gastgeber des Eurovision Song Contests wurde.
Abseits des bunten Spektakels begannen erneut westliche Provokationen gegenüber Russland. Man festigte das Bild vom homophoben Russland. Nicht weil es Gesetze gab, welche Homosexuelle ungleich behandelten. Nein, die Proteste forderten "Gay Prides" in Russland. Also genau das Gegenteil von Gleichbehandlung, denn jeder weiß, dass weder Heteros noch Homos demonstrieren dürfen. Das mag ungerecht sein, aber nicht homophob. Im Gegenteil. Es wäre eine Ungleichbehandlung der gesamten Bevölkerung hätten sich die egozentrischen Forderungen der westlichen Homosexuellen durchgesetzt!
Seit diesem Eurovision Song Contest ist Russland für Homosexuelle eine No-Go-Area geworden. Also nicht weil Russland sich verändert hatte. Es hatte sich nur das Bild über Russland verändert!
Warum sollte jedes Land die selben Wege gehen müssen?
Der Christopher-Street-Day war die Reaktion auf Polizei-Razzien in der Christopher Street (New York). Die queere Szene wollte sich nicht länger vom Staat grundlos verprügeln lassen! Über die Jahre folgten viele (pro-)westliche Länder diesem Beispiel. Zu Recht! Weil damals die Ungleichbehandlung noch viel extremer war!
Aber ist der CSD - welcher heute leider oft nur noch oberflächlich und unpolitisch "[Stadt] Pride" genannt wird - ein Menschenrecht? Nein! Schon gar nicht in Ländern, in denen niemand demonstrieren darf. Diese Ungleichbehandlung hätte vermutlich mehr Schaden als Verbesserungen für Homosexuelle verursacht!
Unsere Medien behaupten auch gerne, dass die homophobe Gewalt durch das neue Gesetz provoziert wurde. Diese These halte ich für großen Blödsinn. Die Videos auf denen rechtsradikale Russen mit der Folter Homosexueller angeben, richtet sich gegen uns Homosexuelle im Westen! Sie machen das nicht, damit sie Putin gefallen! Im Gegenteil. Sie machen das, weil diese Nationalisten wissen, dass sie damit den Westen provozieren können! Einer der Macher dieser Videos wurde erst kürzlich in Kuba festgenommen! So einen internationalen Einsatz gegen Rechtsradikale kann man sich in Deutschland nur wünschen, wenn man sich die Pannen im NSU-Fall vor Augen führt!
summa summarum
Wer schon vor dem Anti-Homopropaganda-Gesetz in Russland gegen Putins vermeintliche Homophobie geschimpft hat, hat meines Erachtens nach, kräftig dazu beigetragen, dass in Russland die Uhren ein wenig zurückgedreht wurden. Mich ärgert das russische Gesetz sehr. Noch mehr ärgere ich mich über die Rolle der homosexuellen Lobbies, welche schon seit längerem mehr Kritik ans Ausland äussern, als an der eigenen Regierung. So konnte es im letzten Jahr geschehen, dass während des Wahlkampfs Homosexuelle (darunter auch Merkel-Fans!!!) vor der russischen Botschaft standen, während die Kanzlerin uns das Adoptionsrecht verweigert hat und Panzer an homophobe Diktaturen verkaufte. Eine SCHANDE!
Kommentare 40
Queer denkt quer. Mal was neues. Interessanter Standpunkt. Mit notwendigen Erinnerungen:
"Aber in Deutschland haben Menschen schon ihr Augenlicht verloren, obwohl sie sich friedlich an angemeldeten Demos zum Erhalt eines Bahnhofs eingesetzt haben."
Ich denke auch, dass die schwulen Lobbyisten es mal mit ein bisschen weniger Pathos und ein bisschen mehr Klugheit versuchen könnten. Vor allem sollten sie kapieren, dass sie hierzulande womöglich nicht von einem Bewußtseinswandel, sondern vom Zeitgeist profitieren. Und der kann sich ziemlich schnell drehen. Was da nach dem Edathy-Interview so abgelassen wurde, darf man gerne als Schrift an der Wand betrachten.
Ja, genau vor diesem Rückschlag fürchte ich mich aktuell sehr. Und leider sehe ich die Schuld bei der "Community", weil sie zu einem historisch extrem ungünstigen Zeitpunkt zu überzogen und unüberlegt auftreten. Das wird extreme Gegenreaktionen auslösen, wenn die soziale Spaltung in Europa und der ganzen Welt zunimmt.
Putins Russland als Opfer nicht nur von USA-Imperialismus und EU- Faschismus, sondern auch von "Homonationalisten". Diese Bösewichte kannte ich noch nicht. Brilliante Parodie!
Sehe ich auch so.
Tja ... einfach mal Judith Butler lesen. Oder wenigstens mal "Homonationalismus" mit einer Suchmaschine recherchieren!
Judith Butler (an deren Verhalten es auch einiges zu kritisieren gäbe) hin oder her, auch in diesem Fall gilt: Relativieren rechtfertigt keine menschen verachtenden Gesetze, Vorschriften und Handlungen.
Niemand kann schließlich an allen Fronten (und das auch noch gleichzeitig) kämpfen.
Wo habe ich denn die deutschen Waffenexporte in extrem homophobe Länder relativiert? Und natürlich kann man nicht an alle "Fronten" kämpfen. Deswegen hätte man sich während des Wahlkampfs auch auf die "Heimatfront" konzentrieren sollen.
Ich wundere mich ein wenig über:
"Judith Butler (an deren Verhalten es auch einiges zu kritisieren gäbe)"
1. Judith Butler ist eine hochangesehene Philosophin und Aktivistin. Ein Vorbild für die meisten Gender/Queer-TheoretikerInnen.
Eine so kritische Person macht sich natürlich Feinde. Aber die hat jeder, der Missstände anspricht!
2. Wieso "auch"?
Natürlich sind Ihre "Kritikpunkte" an den "Homo-Lobbies" nichts anderes als der Versuch, zu relativieren.
Außerdem ist Putins "albernes Anti-Homopropaganda-Gesetz" keineswegs albern, und kann nicht, wie der Despot Putin es versucht hat, verharmlost werden.
Und natürlich ist "Putins vermeintliche Homophobie" keineswegs eine vermeintliche, sondern ganz real.
Ich finde es dem Problem völlig unangemessen, politisches Fehlverhalten als "Kritik" an dem Bemühen der Betroffenen zur Wahrung ihrer Interessen und Rechte zu instrumentalisieren.
Insofern halte ich das Blog für wenig hilfreich.
Ich halte es für wenig hilfreich, den Versuch mal eine differenziertere Diskussion loszutreten, mit haltlosen Unterstellungen mir gegenüber, zu unterdrücken!
"Relativierung" ist übrigens mein Kritikpunkt an unseren Lobbies. Wer so hysterisch über Jahre (!!!) mit dem arroganten Finger nach Russland zeigt und dabei westliche Verbrechen komplett ignoriert, der relativiert!
Ich habe (und hatte) Freunde, welche leider seit Monaten kein anderes Thema als Putin kannten. NSA? Kein einziges Wort! Deutsche Kriegsvorbereitungen? Kein einziges Wort! Merkel hält nichts vom Adoptionsrecht für Homosexuelle? Nüscht!
Ist diese Hysterie auch nur im entferntesten gerechtfertigt? Nein, natürlich nicht!
Das finde ich traurig und kaum auszuhalten. Verharmlosung des Westens!
Stattdessen stehen sie wie rechtspopulistische Rentner vor fremden Botschaften und tun so, als wäre hier alles in Ordnung!
Ich schäme mich so sehr!
aus eigenem Erleben:
2009 lehnte Butler den ihr in Berlin verliehenen Preis für Zivilcourage in einer als Affront zu wertenden Farce ab. Vielmehr kritisierte sie die Preisverleiher wegen ihrer "Komplizenschaft mit dem Rassismus". Auf der von ihnen organisierten Schwulenparade "Christopher Street Day" hatten nämlich einige Teilnehmer die Homophobie im Islam und die Schwulenverfolgung in islamischen Ländern kritisiert. Andere hatten ein Banner mit der Aufschrift mitgeführt: "Israel: Schluss mit der Unterdrückung von Palästinensern! Palästina: Schluss mit der Unterdrückung von Schwulen!"
Solches differenzierte Denken ging der Philosophin denn doch zu weit. (Kritik an Israel ja, an Palästina, nein) Offensichtlich hatten die Genossen den Hauptwiderspruch vergessen und sich zu Handlangern des Imperialismus und Zionismus machen lassen.
Hinzu kommt Butlers Nähe zu der von Lenin formulierten Theorie des Imperialismus. Nach Lenin sind selbst die reaktionärsten Regime zu unterstützen, wenn sie nur gegen den "Imperialismus" – also den Westen – kämpfen.
Dafür fehlt mir jedoch jegliches Verständnis.
Ich verstehe schon Ihre Intention, allerding halte ich gerade Russland, und auch gerade jetzt, für das ungeignetste aller möglichen Länder, um Ihre sicher gut gemeinten Ansätze fest zu machen.
Ich war ihr für die Ablehnung des Preises sehr dankbar. Und es ist wenig hilfreich, nur die differenzierte Islam-Hetze zu zitieren. Wären es nur solche Plakate gewesen, dann würde ich Dir sofort zustimmen.
Im Gegensatz zu Dir scheint sie sich aber Zeit zu nehmen, mit den Opfern dieser Islamophobie zu sprechen. Sie hat ja mit im Vorfeld mit Vertretern vom alternativen tCSD gesprochen. Und ich denke, dass die noch etwas mehr als nur das von Dir zitierte Plakat erlebt haben!
Deine "Kritik" an Butler soll nur ihre Person diskreditieren. Ekelhaft.
Wieso gerade jetzt? Gerade jetzt verhält sich der Westen absolut unangebracht. Aber das Thema können wir gerne unter einem Ukraine-Thema besprechen!
Von mir aus unter meiner Anfrage an die Neo-Grünen ...
https://www.freitag.de/autoren/harm/ich-haette-da-eine-frage-an-euch
Butler ist genauso wenig eine "Heilige" wie Putin einer ist, mehr will ich mit meinen Ausführungen nicht ausdrücken, "ekelhaft" ist noch was völlig anderes.
Ich dachte mir schon, dass Sie zu den vielen Russen-Propagandisten hier in dFC gehören könnten.
Ein wenig Maß im Umgang mit anderen Community-Mitgliedern, bitte. In der Summe "gelb". Siehe Netiquette.
Mit freundlichem Gruß
Das Community-Team
Die Reaktionen zweier hier bestätigen, wie wenig gern gesehen das Kehren vor der eigenen Haustür zugunsten des Auslagerns von Problemen ist.
Gerne und mit Gewinn gelesen, Ihren Artikel!
Danke! Freut mich sehr!
Wie man sich denken kann, habe ich mit viel Kritik gerechnet. Es reicht mir schon, wenn nur ein paar wenige drüber nachdenken und diesen Gedankenanstoss positiv für sich nutzen. Und auch weitertragen!
Das bereits der erste Kommentar positiv war, überraschte mich schon sehr positiv.
Ohne Ironie: Wenn man das liest, ist man sicher, dass Sie sich mit der gedanklichen Schärfe, mit der Sie hier unterwegs sind, die Frage in ihrem vorherigen Blog selbst beantworten können.
Liebe(r) Harm, ich möchte sie einladen, meinen Artikel und die Einschätzung über die Russische Gesellschaft und das von ihnen erwähnte Gesetz zum Schutze von Jugendlichen und Kindern vor der Propaganda nicht tradioneller Lebensweisen zu lesen:
Russen sind nicht explizit homophob...
Danke. Ich glaube, ich will sie mir nicht beantworten, weil die Antwort mir Angst macht. ;-)
Dein Artikel nimmt eine interessante Wendung. Ich dachte anfangs, Du würdest Putin verteidigen, weil Du ja offensichtlich das Land verstanden hast.
Mir machen die Oppositions-Parteien - wie in Kiew - größere Sorgen. Auch die werden sich an das von Dir erwähnte Millieu wenden. Vielleicht sogar populistischer und gefährlicher!
danke für diesen beitrag gegen doppelmoral und die daraus folgende ableitung, vor der eigenen haustür zu kehren
es ist so lächerlich und entblödend, an diesen einfachen regeln, die schon jedes kleine kind begreift, rumzudrehen und sagt viel über den zustand der gesellschaft und eine zunehmende infantilität aus ...
Ein interessanter Beitrag, einige Punkten finden ich aber kritikwürdig. Ich bin z.B. nicht so sicher, dass in Russland "weder Heteros noch Homos demonstrieren dürfen" und Ziel sollte es sein, dass Homo- und Heterosexuelle zusammen für ihre Rechte demonstrieren. Sie dagegen suggerieren, dass es in Russland normal wäre, dass niemand demonstrieren darf und spielen verschiedene Interessengruppen in Sinne der Herrschenden gegeneinander aus. Ich stimme zu, dass die Gewalt von Neonazis gegen Homosexuelle nicht geschieht, um "Putin zu gefallen". Sie richtet sich gegen einen Lebensstil, die solche Leute für "westlich" halten. Sie soll nicht nur ein Signal gegen einen äußeren Feind sein, sondern gleichermaßen gegen Entwicklungen in der eigenen Gesellschaft, die als nonkonform gesehen werden. Dass russische Politiker in der Regel konsequenter gegen Neonazis und Rechtsradikale vorgehen als ihre Kollegen im "Westen", kann ich nicht erkennen.
Ich denke, sinnvoll wäre es diesen kulturalistischen Diskurs, der mal "russophob" mal "russophil" daherkommt, nicht auf den Leim zu gehen. In beiden Sichweisen wird Russland als vormoderne, traditionalistische Gesellschaft gezeichnet. Ein wirkliches Interesse an den Entwicklungen und den Leben der Menschen wird gegenüber polemischen und apologetischen Bedürfnissen fallen gelassen, so dass Russland als "rückständig" gegenüber dem "fortschrittlichen Westen" oder als Vorbild für eine Retraditionalisierung des "Westens" und Bollwerk gegen den "westlichen Kulturimperialismus" dargestellt werden kann.
Anschließe mich.
Ergänzen möchte ich noch um die Allianz zwischen dem us-amerikanischen evangelikalen Homosexuellenhasser Scott Douglas Lively und der russisch-orthodoxen Kirche. Lively war nicht nur für den kill-the-gays-bill in Uganda mitverantwortlich, sondern unternahm 2006/7 auch ausgedehnte Vortragsreisen in 50 Städten in rußland und den baltischen Staaten, knüpfte dort Kontakte zu den jeweiligen Orthodoxen (und zu Rechtsextremisten*) und stellte seine politischen Vorlagen zur Verfügung. Nachzulesen in der Beschreibung des Wegs bis zum St.-Petersburger Gesetz, das die Blaupause für das gesamtrussische Propagandaverbot nicht-traditioneller Sexualität stellte: Russia’s Closet: The Politics Behind a Ban on Gay “Propaganda”
Zu den Politics muß man noch wissen, daß die gesamte HIV-Prävention in Rußland durch NGOs geleistet wurde, die durch u.a. das Propagandaverbot kaum mehr arbeiten können, daß die russischen HIV-Neu-Infektionsraten die der meisten afrikanischen Länder übertreffen (nicht zuletzt durch die vielen Junkies längs der Schmuggelrouten aus Afghanistan), die medizinische Versorgung HIV-Positiver und Aidskranker unter aller Kanone ist und es immer sehr opportun ist, einen Sündenbock für das bald einsetzende Massensterben in Rußland zur Hand zu haben. Das macht mir persönlich Angst.
Nebenbei bemerkt sind die Rechte Homosexueller keine speziellen Homosexuellenrechte, sondern: Menschenrechte.
* Über russische Rechtsextremisten und ihren Hobbies außer Homosexuellen-Bashing inklusive dessen Veröffentlichung im www gibt es eine sehenswerte Vanguard-Produktion: From Russia with Hate
"die Allianz zwischen dem us-amerikanischen evangelikalen Homosexuellenhasser Scott Douglas Lively und der russisch-orthodoxen Kirche. Lively war nicht nur für den kill-the-gays-bill in Uganda mitverantwortlich, sondern unternahm 2006/7 auch ausgedehnte Vortragsreisen in 50 Städten in rußland und den baltischen Staaten, knüpfte dort Kontakte zu den jeweiligen Orthodoxen (und zu Rechtsextremisten*) und stellte seine politischen Vorlagen zur Verfügung."
Absoult notwendige Ergänzung!
"daß die gesamte HIV-Prävention in Rußland durch NGOs geleistet wurde, die durch u.a. das Propagandaverbot kaum mehr arbeiten können"
Ist nicht nur schlimm, weckt auch schlimme Erinnerungen:
"Vor 25 [jetzt 27-sg] Jahren setzte sich Peter Gauweiler von der CSU für scharfe Anti-Aids-Regelungen in Bayern ein - mit Zwangstests für Prostituierte, Drogenabhängige und angehende Beamte. Ein gewisser Horst Seehofer wollte Aidskranke sogar in "speziellen Heimen" sammeln. Heute erinnert sich die CSU nur ungerne daran.
.....
Oder Hans Zehetmair, einst Kultusminister, der gesagt haben soll, Homosexualität gehöre in den "Randbereich der Entartung".
http://www.sueddeutsche.de/bayern/massnahmenkatalog-gegen-hiv-als-die-csu-in-den-krieg-gegen-aids-zog-1.1292107
Die Suggestion lag mir fern.
Dennoch ist die fehlende Versammlungsfreiheit in Russland "Normalität". So wie bei uns zur "Normalität" gehört, dass Nazi-Demos vor Gegendemonstranten besser geschützt werden, als die angemeldeten Demonstranten gegen S21, gegen Castor oder gegen G8 ... oh ... mittlerwile ja nur noch G7! Die haben zwar keine aggressiven Gegendemonstranten. Das übernimmt bei uns der Staat in Form von aggressiven Demo-Polizisten.
"Normalität" halt. Keine Wertung meinerseits! Ich beschreibe damit nur, was man (leider) in der jeweiligen Kultur als normal akzeptieren muss. Was nicht ausschließt, dass man diese Normalität kritisieren kann.
Es liegt aber nicht bei uns im Westen, diese Versammlungsfreiheit einzufordern, nur damit man leichter putschen kann, wie aktuell in Kiew.
Mir ging es auch nicht um die Verharmlosung von Russland. Aber die Schandtaten Russlands werden dieser Tage an jeder Ecke aufgezählt. Sehr hysterisch, für mein empfinden. Zu hysterisch, als das es gesund für die gesamte Welt sein könnte.
Ich möchte weg von diesem Schwarz-Weiß denken und durchaus provokant dazu auffordern, endlich wieder vor die eigene Haustür zu kehren. Im Westen haben sich in den letzten Jahren haufenweise Menschenrechtsverletzungen angehäuft, welche leider weniger hysterisch aufgenommen wurden.
Aber diese Verbrechen sollten in unserer Kultur nicht "Normalität" werden! Da sind wir uns doch einig, oder?
Danke für die Informationen.
Wie schon an anderer Stelle gesagt:
Es ging mir nicht darum, Ungerechtigkeiten zu verschleiern. Sie sind mir zum Teil auch bekannt. Neu war mir, dass auch hier mal wieder Spinner aus dem Westen mit am Werk waren. Ein weiteres Indiz dafür, dass der Westen einfach mehr Selbstkritik üben sollte.
Uganda ist ja auch eher ein Projekt von evangelikalen Missionaren. Trotzdem kritisieren wir jetzt sinnlos die dort eingesetzte Regierungs-Marionette, statt uns direkt an die westliche Politik zu wenden und zu sagen:
Stoppt diese Missionare und Brandstifter!
Wir machen uns lächerlich, wenn wir zulassen, dass gut organisierte Idioten ins Ausland reisen und dort als Brandstifter, Volksverhetzer und Missionare unterwegs sind. Um danach dann gegen den jeweiligen Amtsinhaber zu demonstrieren!
Es gibt eine sehenswerte Folge von 'Mit offenen Karten' über Evangelikale.
Wichtig erscheint mir nicht nur der Eifer, mit dem Evangelikale in sehr vielen Ländern der Welt missionieren und dabei Konflikte ohne Ende lostreten, sondern vor allem der Umstand, in welch hohem Maß Evangelikale die republikanische Innen- und Außen-Politik der USA dominieren.
Ein Ausläufer dessen ist selbstredend ein großer Teil unserer Medienberichterstattung, mittels der Putin gern als Gehörnter mit Pferdefuß und Schweif vorgeführt wird und russische Homosexuelle in dieser Milch der westlichen, ^^natürlich immer menschenrechtsverteidigenden Denkungsart ^^ mißbraucht werden: Pink-Washing mit umgekehrten Vorzeichen. Es ist ohnehin interessant, sich mit den Agenden von Medien, Versuchen der Einflußnahme und auch mit dem konsequenten Verschweigen vieler menschenrechtlicher Desaster zu beschäftigen.
In Sachen Einflußnahme auf Medien sind auch in Deutschland Evangelikale äußerst engagiert, inklusive Morddrohungen und keineswegs nur gegen Schülerzeitungs- oder Buch-Autoren. Mir ist ein ähnlich gelagerter Fall gegen eine Autorin von Die Zeit bekannt, die a.m.S. moderat und sachlich über Wüstenstrom e.V. berichtete, der von Evangelikalen angerufene Presserat verpasste der Zeit die erste Rüge ever (anhand des Pressekodex nicht nachvollziehbar), der Artikel mußte nach zusätzlicher Anrufung eines Gerichts aus dem Online-Printarchiv entfernt werden, die Autorin wurde in ihrem Privatleben massiv belästigt: evangelikale Meinungshoheit dead or alive.
Fakt ist aber, daß russische Homosexuelle in ihren Menschenrechten beschnitten sind. Wie Homosexuelle in weiten Teilen der Welt, nähere Information hier, bitte mal durch Themen und Weltkarte klicken.
Die Allgemeinen Menschenrechte sind universal gültig, unveräußerlich und unteilbar. Letzteres zieht den schönen Satz nach sich °Das Eine tun, das Andere nicht lassen°
Will sagen: es ist durchaus möglich, parallel gegen Nationalismus, religiös gestützte Haßschürung auf Minderheiten und die Fortführung des Kalten Krieges mit (noch) anderen Mitteln zu sein.
Sie können aus meiner Sicht einer queeren Szene (die ihre politische Meinung dem ESC entnimmt) mangelnde Informiertheit vorwerfen, nicht aber ihnen die Schuld an den in Rußland zurückgedrehten Uhren anlasten.
Ich gab ihnen ja nur eine Mitschuld. Und die kann man kaum leugnen.
Schade ... die Debatte über diesen Artikel hat sich nach draussen verlagert. Ihr bekommt den Spaß gar nicht mit.
"Noch mehr ärgere ich mich über die Rolle der homosexuellen Lobbies, welche schon seit längerem mehr Kritik ans Ausland äussern, als an der eigenen Regierung."
So, ich hab jetzt zwei Tage danach gesucht, kann die sich so verhaltenden "homosexuellen Lobbies" aber nicht finden. Der LSVD? Nein. Die Macher der Demo "Enough is enough"? Nun, dabei handelt es sich um einen engagierten Freundeskreis, der über die homofeindliche Gesetzgebung der Russen erschüttert war - und dieser Erschütterung mit einer sehr teilnehmerstarken Demo, die vor die russische Botschaft führte, Ausdruck zu verleihen - und seine Abschaffung zu fordern.
In Europa ist ein Gesetz, das "homosexuelle Propaganda" verbietet, einzigartig. Sie darauf zurückzuführen, dass sich hiesige Aktivisten für die Menschenrechte von LSBTI in Russland stark gemacht haben, ist absurd. Sind Menschenrechte aus Sicht des Autors nicht universell?
Die Demonstrationen gegen Homophobie und Ungleichbehandlung in Deutschland sind übrigens bis zum heutigen Tag weit größer. Die CSDs im ganzen Land mögen ihre politische Intention nicht immer ausreichend in den Vordergrund stellen, sie sind und bleiben aber Demos mit klaren Signalen. In Berlin gingen sie sogar so weit, dass die CDU als Kämpferin gegen die Gleichstellung von der Teilnahme an der CSD-Parade ausgeschlossen wurden. Wie deutlich müssen "die Homo-Lobbies" ihre Kritik an der Politik der Konservativen denn machen, damit der Autor sie wahr nimmt?
..."den Spaß"? Ahso, also geht es Dir am Ende gar nicht um einen ernsthaften Debattenbeitrag, sondern nur um Provokation und Aufmerksamkeit? Hübsche Form der Selbstbefriedigung...
Ja, ich habe mit großer Freude wahrgenommen, dass die Vereine seit dem mutigen Auftritt von Judith Butler sehr bemüht sind, den Anschein einer politischen Demo zu bewahren. Wurde ja aber auch von so "Nestbeschmutzern" wie mir lange genug beanstandet und kritisiert. Kurze Zeit davor, hat man noch einen CSD für die Forderung nach mehr Toleranz im Profi-Fußball verschwendet! Geht es denn noch dümmer???
Das nennt man Zynismus. Ich habe mit heftiger Kritik gerechnet. Ich wäre dumm und naiv, wäre ich davon ausgegangen, dass die Hysterie von heute auf morgen kippt und man meinem Artikel applaudieren würde.
Ich meine das alles sehr ernst!
Hallo Harm,
können Sie das näher erläutern. Ich auf die schnelle nur eine Kritik bei rhizom gefunden, der ich zustimme.
http://rhizom.blogsport.eu/2014/03/19/zwischen-russophobie-und-rechtfertigung-zur-kritik-des-deutschen-homonationalismus/
Die Diskussionen finden eher unter den Verlinkungen in den sozialen Medien statt. Sehr verstreut. Es gibt zwar auch Sympathie-Bekundungen und Menschen, die diesen Text nicht missverstehen wollen. Aber die Mehrheit verält sich gerade eher so, wie sich getroffene Hunde immer verhalten. Sie bellen laut.
Der Antwort von "rhizom" stimme ich sogar sehr zu. Eigentlich kam mir zuerst die Idee, einen Artikel über diese von rhizom erwähnte Doppelmoral zu schreiben. Aber ich hatte seit letztem Frühjahr/Sommer mehr als genug Diskussionen über dieses Thema und bemerkte bestimmte Grundverhaltensmuster, wenn man sich über die Doppelmoral empört.
Zum einen wurde mir vorgeworfen, dass ich Birnen mit Äpfeln vergleichen würde, wenn ich beklage, dass niemand im Jahr 2012 gegen die olympischen Spiele in London demonstriert hat, obwohl dieses Land Kriegstote und völkerrechtswidrige Folter mitverantwortet!
Während ich es ziemlich relevant finde, dass wir in diesem Fall menschenrechtliche Äpfel mit Birnen vergleichen, scheint das für Andere ein Totschlagargument geworden zu sein.
Auch mein Argument, dass unschuldige tote Zivilisten und andere unschuldige Kriegsopfer immer schlimmer sind, als ein dummes Sprechverbot, wurde mit Schweigen oder gar Unverständnis erwidert.
Am Ende fing ich dann dennoch an, einen Artikel über die Doppelmoral schreiben zu wollen. Doch wollte ich zuvor noch kurz chronologisch darauf eingehen, dass Russland sich bereits auf den Weg zu einem homo-freundlicheren Land gemacht hatte. Und das vermutlich sogar die ungerechtfertigten Proteste gegen Putin VOR dem Gesetz, die Ewiggestrigen im Kreml provoziert haben.
Dieser Absatz ist mir am Ende etwas zu lang geraten, weswegen ich ihn vom anderen Thema abgetrennt habe. Ich habe ihn zuerst veröffentlicht, damit ich auf diesen Artikel immer wieder hinweisen kann, immer wenn ich aussagen will, dass es in Russland bereits in die richtige Richtung ging. Und das jedes Land natürlich sein ganz eigenes Tempo für solche gesellschaftlichen Transformationen hat! Mit Fortschritte und leider auch Rückschritte.
Meine Einstellung zu Diplomatie und Außenpolitik wird sehr gut von diesem Artikel über die Grünen, die Ukraine und dem neuen kalten Krieg zusammengefasst:
„Ihr werdet eingeredet bekommen, dass drüben der Feind steht – er steht hüben.“
(Kurt Tucholsky)
"Wenn dieser Tag ein russischer Oppositioneller zur Kritik ansetzt, dann soll er nicht sagen: „Wir verurteilen, wie der Westen handelt, aber…“ Lasst diese versöhnliche Floskel bleiben! Sie nützt uns gar nichts. Wem nützt denn Kritik an der EU und den USA in einem Land, in dem jede Zeitung davon vollgeschrieben steht? Der russische Oppositionelle hat eine Aufgabe: Dem homophoben Autokraten im Kreml Saures zu geben. Einseitig Saures zu geben.
Uns im Westen geht es genauso. (Obgleich an dieser Stelle zugegeben werden muss, dass Oppositionelle in Russland ein größeres Risiko eingehen.) Wem nützte es, wenn ich jede Kritik an meiner hochverehrten Regierung oder ihrem grünen Anhängsel mit einem putinkritischen Halbsatz einleitete? Russische Oppositionelle haben meine Solidarität, aber gerade denen brächte dies in etwa so viel wie mir eine in Moskau geäußerte Natoschelte – Nichts.
Stattdessen entschärfen solche Einlassungen die Kritik an der eigenen Regierung, und genau das sollte vermieden werden, denn hüben wie drüben muss der Vorwurf klipp und klar an die eigene Obrigkeit gerichtet werden: Ihr seid die Aggressoren. Und hüben wie drüben haben wir Recht damit, denn beide sind es."
http://leftwinged.wordpress.com/2014/03/18/die-grunen-die-ukraine-und-der-neue-kalte-krieg/
|| Die Videos auf denen rechtsradikale Russen mit der Folter Homosexueller angeben, richtet sich gegen uns Homosexuelle im Westen! ||
Dabei verlässt mich meine Dialektik und eventuelle Gründe sind mir egal, muss ich ehrlich sagen. Ich habe vor einiger Zeit mal in solche Videos reingeguckt - und sie produzieren nichts als blinde Wut. Da lasse ich mir auch gern unterstellen, dass da kein intellektueller Zugang..
Aber der Rest ist bedenkenswert.