Das Haus zum fliegenden Ochsen

Festival Das 20. Filmkunstfest Schwerin stiftet Anlass zur Erinnerung: an persönliche Erlebnisse und die Entwicklung von Filmfestivals in Ostdeutschland nach 1989

1. April 1991. Ich irre durch die Schelfstadt auf der Suche nach dem Hotel, in dem mich die Organisatoren des 1. Filmfests Schwerin einquartiert haben. Die Häuser gleichen der Kulisse eines expressionistischen Stummfilms. Die erste Frau, der ich begegne, verunsichert mich: „Hier gibt’s kein Hotel!“ Ein sein Auto waschender Mann ist up-to-date: „Da vorn. Das ist gestern eingeweiht worden.“

Die mecklenburgische Landeshauptstadt, selbst noch neu in dieser Funktion, im Aufbruch, das Filmfest bedient sich noch im Gestern. Die Vorführungen finden im ehemaligen Haus der deutsch-­sowjetischen Freundschaft statt. Heute weist es eine Plakette als ehemals Brandenburgisches Palais aus, ein Denkmal des Spätbarock, seit 1899 städtisches Eigentum. Das russische Intermezzo bleibt unerwähnt. Längst hat das Festival sein Zentrum im zum Multiplex umgestalteten Kino Capitol gefunden, und schon seit dem dritten Jahrgang firmiert es als „FilmKunstFest“, hebt dadurch die Einbeziehung anderer Medien hervor. Neben Spiel-, Kurz- und Dokumentarfilmwettbewerb gibt es Ausstellungen, Performances, Lesungen und Musik. Beibehalten hat man das Engagement für sozialkritische Filme, und gewonnen wurde ein immer größeres Publikum. Was es nicht mehr gibt, ist mein erstes Hotel. Der seinerzeit stolze Neubau beherbergt heute Arztpraxen.

Nicht allein Schwerin kann in diesem Jahr ein Jubiläum feiern. 1991 war die Gründerzeit für neue ostdeutsche Filmfestivals. Dahinter stand auch der Gedanke, mit dem Einzug der Markwirtschaft in die Kinos ein kulturelles Gegengewicht zu schaffen. In Dresden hatte es 1989 noch einen Vorläufer gegeben mit dem Versuch, in der DDR nicht in den Verleih aufgenommenen osteuropäischen Produktionen ein Forum zu bieten. Nach dem Wegfall politischer Beschränkungen suchte man zunächst ein eigenes Profil, das schließlich mit einem internationalen Kurzfilm-Wettbewerb gefunden wurde. In Neubrandenburg wollte man an die Tradition des Nationalen Dokumentarfilmfestivals der DDR anknüpfen. Eine Kunst bestand in den letzten Jahren nicht zuletzt darin, sich trotz schrumpfender Finanzen zu behaupten. Die Partnerschaft mit dem polnischen Szczecin half dabei.

Solch nachbarliche Kontakte pflegt man auch in Cottbus, wo sich das Festival des ost-europäischen Films aus kleinen Anfängen zur wichtigsten Begegnungsstätte mit der Kinematografie von Ländern entwickelt hat, die man zu Unrecht im normalen Kinoangebot vergeblich sucht. Anders als in Cottbus und Schwerin wurde aus der Festivalneugründung in Magdeburg keine Erfolgsgeschichte. Das kurzlebige Experiment machte nur einmal von sich reden: mit der Verleihung eines Preises für sein Lebenswerk an Heinz Rühmann.

In Schwerin erhielt den Ehrenpreis – einen "Goldenen Ochsen" – jetzt Manfred Krug, der an der Seite von Uschi Brüning ein Konzert gab. Der Hauptpreis – einen "Fliegenden Ochsen" – für den besten Spielfilm ging an Franz Müllers Die Liebe der Kinder: Eine Kontaktanzeige bringt zwei ungleiche Partner zusammen, deren beider Kinder sich ineinander verlieben und ihren schwierigen Eltern vorführen, dass eine Beziehung auch unkompliziert sein kann. Den Nachwuchsförderpreis der DEFA-Stiftung und eine lobende Jury-Erwähnung für Hauptdarsteller Robert Gwisdek bekam der originellste Beitrag: Renn, wenn du kannst von Dietrich Brüggemann. Ihm gelang eine überzeugende Liebesgeschichte mit schwarzem Humor und märchenhaften Zügen.

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