Attentate von Toulouse – Folgen für Wahlkampf und Gesellschaft?

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Drei getötete Soldaten, ein Rabbi und drei jüdische Kinder, das ist die schreckliche Bilanz des Attentäters Mohammed Merah und die schlimmste Serie von Attentaten in der jüngeren französischen Geschichte. Ereignisse von solcher Tragweite haben natürlich über ihr Geschehen hinaus Einfluss auf Politik und Gesellschaft. Und so natürlich auch auf den aktuellen Präsidentschaftswahlkampf in Frankreich. Dabei kommen sie besonders einem Kandidaten gar nicht ungelegen.

Denn Nicolas Sarkozy, seines Zeichens Präsident der fünften Republik und derzeit im Wahlkampf für seine Wiederwahl, hätte (so geschmacklos das auch klingt) eigentlich kaum etwas Besseres passieren können.

Bisher verlief der Wahlkampf in Frankreich relativ ruhig. Zumindest wirkte er so, da es in Francois Hollande einen nach den Umfragen klaren Favoriten gab. Da nützten auch all die hilflosen Bemühungen Sarkozys nichts, wie etwa die Infragestellung des Schengenabkommens und damit verbunden der Ruf nach weniger Ausländern. Egal, was Sarkozy auch versuchte, Hollandes Vorsprung von Zeitweise 10% für die erste Wahlrunde schmolz nur sehr langsam. In der zweiten, entscheidenden Wahlrunde aber konnte Hollande immer seinen großen Vorsprung wahren, auch wenn es nicht mehr die anfänglichen 20% sind. Bis Anfang März zumindest. Seit dem aber holt Nicolas Sarkozy in den Umfragen gewaltig auf, wobei die Attentate von Toulouse und Montauban wohl eine wichtige Rolle gespielt haben.

Sarkozy holt auf - mit Hilfe der Attentate

Zum einen gab Sarkozy nach dem Angriff auf die jüdische Schule aus Pietätsgründen eine Wahlkampfpause bekannt, der sich die meisten anderen Präsidentschaftskandidaten anschlossen, so auch Francois Hollande. Doch während Hollande zum Stillhalten verdammt war, konnte Nicolas Sarkozy trotz Pause für den Kandidaten Sarkozy aus seinem Präsidentenamt heraus weiterhin wunderbar Wahlkampf betreiben. So beispielsweise durch seine Rede bei der Gedenkfeier für die getöteten Soldaten, oder allgemein durch die Inszenierung als handlungsstarker Präsident. Als sich Hollande am Donnerstag jedoch selbst wieder zu Wort meldete und Stellung bezog zu den Ereignissen der letzten Tage, wurde im prompt von Sarkozys Lager vorgeworfen, die Wahlkampfpause aufgehoben zu haben und die Ereignisse zu seinen Gunsten nutzen zu wollen.

Zum anderen spielt die Attentatsserie Sarkozy auch politisch sehr in die Karten. Denn nach den Attentaten wird im Land der Ruf nach mehr Sicherheit wieder lauter. Sarkozy hat damit nun die perfekte Gerechtfertigung für seine bisherigen harten sicherheitspolitischen Gesetze und kann sich gleichzeitig wieder als „erster Polizist im Staat“ aufführen, in dem er noch schärfere Überwachungsgesetzte fordert. Dies tat er dann auch prompt, indem er keine zwei Stunden nach dem Tode Mohammed Merahs vor die Presse trat und seine neuesten Gesetzesvorschläge ankündigte. Diese haben jedoch mit Rechtsstaatlichkeit nicht mehr viel gemein. Konkret geht es dabei darum, dass demnächst schon das Verweilen auf Internetseiten, die zu Hass und Gewalthandlungen aufrufen, strafbar sein soll.

Umgesetzt werden diese Vorschläge wohl hoffentlich so schnell nicht. Trotzdem taugen sie sehr gut dazu, Sarkozys bisher mäßige Umfragewerte zu beflügeln. In den ersten Umfragen liegt er zumindest in der ersten Wahlrunde schon knapp vor Francois Hollande. Dies auch in den Umfragen für den zweiten Wahlgang zu schaffen, wird jedoch noch etwas schwieriger werden.

Stimmen von rechts, ja. Aber wie verhalten sich Zentrumswähler und Sozialisten?

Wenn er weiterhin den Hardliner gibt, wird er für den zweiten Wahlgang wohl die Stimmen aus dem rechten Lager Marine Le Pens und ihrer Front National erhalten. Diese übrigens kann von den Ereignissen überraschenderweise bisher nicht profitieren. Denn obwohl die Attentate Le Pen mit ihrem xenophoben und antiislamischen Programm voll in die Karten spielen und sie auch prompt erneut die Angst vor dem Islam schürte, kann sie bislang nicht zulegen. Stattdessen lässt sie in den Umfragewerten derzeit sogar nach und dabei in etwa um soviel, wie Sarkozy in diesem Zeitraum hinzugewonnen hat. Der Hardlinerkurs lässt Sarkozy also auch schon im ersten Wahlgang zumindest teilweise die rechten Stimmen zukommen.

Bleibt abzuwarten, wie sich die Wähler Francois Hollandes und des Kandidaten der Zentrumspartei Francois Bayrou verhalten werden. Diese beiden erteilten bisher der Ausgrenzung von Migranten und den neuen Plänen zur Überwachung à la Sarkozy eine klare Absage. Stattdessen betonten sie immer wieder die gesellschaftliche Einheit. Bleibt also zu hoffen, dass ihre Wähler das auch weiterhin ähnlich sehen und sich nicht von dem Hass auf Ausländer und den Überwachungsphantasien anstecken lassen.

Der Ruf nach mehr Überwachung springt über nach Deutschland - wieso eigentlich?

Überwachungsphantasien, die übrigens auch in Deutschland wieder neu aufkeimen. So sieht sich die CDU/CSU durch die Angriffe in ihren Plänen zur neuen Vorratsdatenspeicherung (das letzte Gesetz wurde schon zu Recht vom Bundesverfassungsgericht gekippt) bestärkt. Auch wenn der Koalitionspartner FDP da strikt dagegen ist und somit ausnahmsweise mal etwas richtig macht, hoffen die Christdemokraten durch die aktuellen Ereignisse doch noch mehr Zustimmung für die neue Vorratsdatenspeicherung zu bekommen.

Bei genauerer Betrachtung sind aber gerade solche härteren Überwachungsgesetze, egal ob in Frankreich oder Deutschland überhaupt nicht nötig. Die aktuellen Erkenntnisse zu den Ermittlungen in Frankreich legen nämlich den Schluss nahe, dass der Täter auch mit den bestehenden Gesetzen schon früher hätte ermittelt werden können. So zählte er nämlich jederzeit zu den Verdächtigen, wobei vieles bereits auf ihn hindeutete und er zudem sowieso schon seit Jahren beobachtet wurde.

In dieser Hinsicht scheint es also eine gewisse Ähnlichkeit zum Fall des NSU in Deutschland zu geben. Denn auch in diesem Fall hätte selbst noch mehr Überwachung nichts genützt, wenn der Verfassungsschutz einfach unfähig, wenn nicht gar vorsätzlich so agiert hat.

Eine bessere Reaktion ist möglich

Doch statt weiter auf Terrorismus derartig zu reagieren, sollte sich Frankreich stattdessen viel eher ein Beispiel am Vorgehen Norwegens nehmen. Dort wurde auf die Attentate Anders Breiviks, eine in ihren Ausmaßen noch viel schlimmere Tat, ganz anders reagiert. Denn Norwegen hat als einziges Land seit langem verstanden, dass solchem Terror nicht mit dem weiteren Schüren von Angst und Forderungen nach mehr Überwachung und Sicherheit zu begegnen ist. Denn genau damit spielt man den Tätern in die Karten. Ein Staat hingegen, der offen zeigt, dass er sich von solcherlei Schreckensszenen nicht einschüchtern lässt und gleichzeitig noch mehr Freiheit und Demokratie wagen möchte, wie es Norwegen getan hat, agiert viel souveräner. Denn er bewahrt in dieser Hinsicht als einziger weiterhin seine staatliche Souveränität, da er zeigt, dass er sich nicht von Einzelnen Verbrechern derart aufscheuchen lässt und auch die freiheitlichen Werte der Gesellschaft nicht einfach der Terrorismusvorbeugung opfert.

Daher sollte auch Frankreich einen Blick gen Norden werfen, bevor wieder ein Stück Liberté für die niemals ganz herstellbare Sicherheit geopfert wird.

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Geschrieben von

hierundjetzt

Studiert in Berlin Soziologie, Politikwissenschaft und Philosophie.

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