Zwischen Dilettantismus und Vorsatz

Meldegesetz Die Wirren um das Meldegesetz zeigen, wozu die schwarz-gelbe Politik – gewollt oder ungewollt – führt, wenn Medien und Bürger ihr nicht permanent auf die Finger schauen.

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Die Nummer wird immer bizarrer. Auch wenn man es kaumglauben mag, zu den Wirren des neuen Meldegesetzes gesellt sich quasi jeden Tag etwas Neues hinzu. Heute beispielsweise tritt der Regierungssprecher Steffen Seibert doch tatsächlich vor die Presse und lässt verlauten, dass sich die Bundesregierung von ihrem gerade verabschiedeten eigenen Gesetz distanziert. Ein Schritt, der wie kaum je einer zuvor die Unfähigkeit einer Regierung und ihrer Koalition vor Augen führt. Doch ist dies leider nicht die einzige Blüte der letzten Tage. Beispiele gefällig?

Da wird das Echo der Medien und des Netzes auf das am 29. Juni verabschiedete neue Meldegesetz gerade endlich lauter, poltert prompt die CSU los. Der Parteivorsitzende Horst Seehofer und Verbraucherministerin Aigner äußern sofort ihren Unmut über das Gesetz. Seehofer stellt zudem klar, dass Bayern sich im Bundesrat dagegenstellen wird. Ähnliche Töne gibt es auch von Seiten der FDP. Auch da ist man mit dem Gesetz ganz und gar nicht einverstanden.

Dumm nur, dass man selbst dafür mitverantwortlich ist. Denn die entscheidenden Vorantreiber der kurzfristigen Änderung im Innenausschuss kommen mit Hans-Peter Uhl (CSU) und Gisela Piltz (FDP) aus den eigenen Reihen. Zudem sollte eine Ministerin wohl besser im Bilde sein über ein Gesetz, das zumindest teilweise ihr Ressort betrifft, und notfalls ändernd eingreifen. Doch all dies ist nicht geschehen.

Stattdessen nur Ratlosigkeit und die Erklärung, dass man das so ja selbst gar nicht gewollt habe. Gut, beziehungsweise peinlich in dem Zusammenhang, auch Seehofer: Nach dem großen Vorpreschen war heute nur noch in leisen Tönen von ihm zu hören, dass er hofft, dass niemand aus der CSU daran beteiligt war. Leider daneben.

Dilettantismus, oder doch Vorsatz?

Das Gelächter ist also groß über den Dilettantismus der Regierung. Doch bleibt die Frage offen, ob es sich hierbei um einen riesigen, peinlichen Irrtum handelt, oder ob hinter der ganzen Sache doch Vorsatz steckt. Dies lässt sich zumindest vermuten, wenn man betrachtet, wie es im Genauen eigentlich zu dem Gesetz gekommen ist.

Denn erst in der letzten Sitzung des Innenausschusses vor der Abstimmung wurde unter Führung der genannten Uhl und Piltz und mit Hilfe des Innenministeriums der Gesetzestext umformuliert. Aus der geplanten Zustimmungsregelung wurde so eine Erlaubnis der Datenweitergabe, die nur durch persönlichen Widerspruch ausgesetzt würde. Dass ein solches Gesetz bei der großen Mehrheit der Bevölkerung jedoch durchfallen würde, war auch den Verantwortlichen klar, weshalb der neue Entwurf erst so kurzfristig und heimlich eingebracht wurde.

Der zweite Trick war der Termin der Bundestagssitzung. Während nämlich ganz Deutschland und mit ihm die meisten Abgeordneten im Fußballrausch waren, stimmten die paar verbliebenen Abgeordneten in kürzester Zeit (57 Sekunden!) und quasi ohne Öffentlichkeit über das Gesetz ab.

Ein Plan, der eigentlich immer aufgeht. Denn sobald ein solches Turnier losgeht, regiert ‚König Fußball’ das Land. Und da im Schland-Rausch eh niemand Anstoß daran nimmt, kann die Regierung beschließen, was sie will. Nur ein Beispiel ist da der Beschluss des Tornado-Einsatzes in Afghanistan während der WM 2006.

Die Betrachtung dieser Geschehnisse lässt daher den Schluss zu, dass es sich bei all dem doch weniger um eine reihenweise Anhäufung von Fehlern als vielmehr um klaren Vorsatz handelt – zumindest aber um eine Mischform. Dafür sind einfach zu viele Zufälle im Spiel.

Und fast wäre der ‚Plan’ ja auch aufgegangen. Die Medien und Bürger erwachten nämlich erst ziemlich spät aus ihrem Schland-Rausch mit anschließendem Kater. Zum Glück jedoch nicht zu spät, um noch genug Aufmerksamkeit zu schaffen, damit die große Ablehnung der Bevölkerung die Regierenden noch rechtzeitig erreichte.

Eine kritische Öffentlichkeit ist wichtiger denn je

Doch was es letztlich auch war, ob Vorsatz oder Dilettantismus, entscheidend ist, dass da eine Regierung an der Macht sitzt, der man in keinerlei Hinsicht mehr vertrauen kann. Entweder ist sie einfach nur unfähig, gute Entscheidungen für das Volk zu treffen, oder aber sie hintergeht die Bürger bewusst, um ihre von Lobbygruppen erdachten Gesetze am Volk vorbei zu beschließen.

Es bedarf daher mehr denn je einer aufmerksamen und kritischen Öffentlichkeit: Medien, Menschen, Blogs, die dieser Regierung auf die Finger schauen und nicht zulassen, dass eine zwischen Unvermögen und Lobbynähe umherwandernde Truppe da weiter unbemerkt ihr Spiel spielt. Wie wichtig eine genaue Berichterstattung und eine kritische öffentliche Meinungsbildung sind, zeigt der aktuelle Fall auf eindrucksvolle Weise. Und er wird leider bestimmt nicht der letzte bleiben.

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hierundjetzt

Studiert in Berlin Soziologie, Politikwissenschaft und Philosophie.

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