Das neue Glueck: Vergangenheit wird Zukunft!

Prognose 2014. Zukunft ist begehrt. Wohin geht's im kommenden Jahr, im nächsten Jahrzehnt? In Sydney wurde Vergangenheit als Zukunft getanzt mit archaischer Musik und mythischen Texten.

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http://www.heartofmeditation.com/image-files/ami1.jpgShaun Parker und Company tanzen im Sydney Opera House die Geschichte der Welt.

Vom big bang und dem archaischen Gehirn zur mechanischen Zurichtungen des Koerpers und dessen digitaler Aufloesung.

Danach den ganzen Weg zurueck zum Mythos.

"Alles ist eins", sagt die Shamanin nach 80 Minuten, "nichts ist abgetrennt."

Die vier Frauen und zwei Maenner sind erschoepft. Stehen mit dem Ruecken zum Publikum.

Die Arme der Shamanin, der Pythia, zeigen nach vorn, die Haende sind verschraenkt. "Finde Dich", sagt sie, streckt die Finger und laechelt.

Mehr Woerter gibt es nicht.

"Am I" heisst das Stueck. "Who Am I?" Ist eine Frage im Zen. Die Antwort: "Ich weiss es nicht!" ist immer eine Luege.
Genug dunkles Gerede.

Shaun Parker, seine Taenzer und Musiker biegen unser Zukunft mehr als 2500 Jahre zurueck, in die mythische Vergangenheit der Achsenzeit. Damals wurde das "Ich" gefunden. "Am I", heisst das Programm. Bin ich? Gibt es mich?
Gute Frage, aber geht's nicht auch ne Nummer kleiner?

Mal angenommen, es gibt mich, und einiges spricht dafuer, dann wuerde mir, persoenlich, 2014/15 als Perspektive ausreichen. Oder die Zukunft der naechsten zehn Jahre.

Schliesslich gibt's genuegend apokalyptische Langzeit-Prognosen. Die Grenzen des Wachstums sind erreicht. Die nukleare Technik wird unsicherer, je haeufiger sie genutzt wird. Der nukleare Krieg wird wahrscheinlicher, je mehr darueber gesprochen wird. Die Arbeitslosigkeit in Europa wird zu sozialen Unruhen fuehren. Der Hunger und die Spekulation mit Nahrungsmitteln, die dysfunktionalen Staaten und die Armutsmigration, die Fluechtlinge und die Angst der Einheimischen, das alles muessen wir fuerchten.

Der ersten Welt mangelt es an nichts, nicht einmal an ausweglosen Problemen.

Gibt's irgendetwas neues, das Parkers Taenze in die Vergangenheit der Ich-Erfindung rechtfertigt? Koennte sein.

Ende Dezember meldet naemlich Stratfor, ein Nachrichtendienst aus Texas (USA), das entgueltige Zerbrechens des amerikanischen Traums. Nein, nicht der Aufstieg des gesamtgesellschaftlichen Tellerwaeschers zum Millionaer ist gemeint. Den gibt's noch. Die heutigen Tellerwaescher programmieren allerdings Apps, die dann Google fuer 10Mio Dollar (oder so) aufkauft.

Den eigentlichen amerikanischen Traum, schreibt George Friedman von Stratfor, hat Middle Amerika waehrend der letzten 60 Jahre gelebt: Das Haus im gruenen Vorort, ein neues Auto in der Auffahrt. Der Mann hat keinen tollen Job aber ein regelmaessiges Einkommen. Davon wird das Haus abgezahlt und das Auto. Ansonsten: Konsum, Konsum. Die Familie kann sich nicht alles leisten, aber doch ziemlich viel. Das Haus steigt jedes Jahr im Wert. Das Haus ist das "Sparbuch" der Familie. Wenn's mal knapp ist, wird eine neue Hypothek aufgenommen und schon ist wieder Geld da.

Diese schoene Welt ist 2008 zerbrochen, schreibt Friedman. Die Konsequenz wird erst jetzt begriffen: es gibt keinen Weg zurueck an die Fleischtoepfe des 20. Jahrhundert!

Das ist schlimmer als alle langfristigen Horror-Vision.

Wie geht's jetzt weiter ? Wo geht's in die Zukunft? fragen sich nicht nur die Amerikaner.

Im Sydney Opera House wird diese Unsicherheit, der Horror von Middle Amerika leichtfuessig durchgespielt.

Zuerst haben nur die beiden Maenner glaenzende Staebe in den Haenden, dann auch die Frauen. Der Stab, das erste Werkzeug, die erste Waffe der Menschen.
Weltmusik aus vielen Kulturen, neu komponiert und live, wirbelnde Menschen mit glaenzenden Staeben. Zwischendurch minimale, serielle Klaenge.

Ist das jetzt die Zukunft? Werkzeuge und Waffen, frueher aus Holz heute aus Edelstahl oder Carbon-Faser? Zukunft als Kopie der Vergangenheit nur auf einem hoeheren technischen Niveau. Sonst alles wie gehabt?
Schoen waers ja. Vielleicht.

Nach mehr als einer Stunde beginnt die Shamanin monoton die Goettern der ganzen Welt anzurufen: Jupiter, Ra, Brahman, Krishna, Odin, Buddha, Zeus, Yahwe, Quetzalcoatl... dann, am Ende: GPS, DNA, Amex, Visa, Facebook, Twitter. "Ohne die koennte ich gar nicht leben", sagt die Shamanin, die Pythia. Und schweigt.

Die erbarmungslosen Goetter der Neuzeit mit ihren scheinbar technischen Namen. Sie fordern voellige Unterwerfung. Wollen unablaessige Aufmerksamkeit. Einen einzigen falschen Knopf gedrueckt und die error Strafe folgt sofort. Nicht genuegend Geld geopfert und schon von Gott getrennt, verdammt. Die heiligen Zahlen, das heilige Wort vergessen und schon von allen guten Geistern verlassen.
Und dann die Rituale. Mit zwei Fingern schieben wir die Welt nach oben, neu neu, neu.
Die heiligen Schriften werden mit jedem Tag umfangreicher. Niemand kann den Goettern ganz gerecht werden. Erklaerung gibt's nur noch in den Foren der Halb-Goetter, oder, nach geduldigem Abwarten, von deren Soehnen und Toechtern an der Hotline.

Die alten Goetter waren weniger anspruchsvoll und viel nachsichtiger, oder?

Der Buddha beispielsweise, hat fuer seine SchuelerInnen eine Benutzer-Einfuehrung mit nur zehn Regeln gemacht:

Zuerst einige allgemeine "do's and dont's" (mach das und lass' das) :
nicht toeten, nicht klauen, die Wahrheit sagen, nicht korrupt sein.
Danach Hinweise zum Lifestyle:
keine Drogen, am Nachmittag nichts essen, keine Unterhaltungs-shows, keine fashion Klamotten, harte Matratzen.
Schliesslich, als Mittel der Geburtenkontrolle, kein Sex.

(Lifestyle und Sex muss man updaten. Klar. Matratzen mit memory-foam beispielsweise, muessen aus medizinischen Gruenden zugelassen werden. Kein Problem denke ich. Auch sonst laesst der Buddha bestimmt mit sich reden.)

Die Profi Versionen des Buddha haben uebrigens viel mehr utilities aber auch viel mehr Regeln. "Theravada pro" beispielsweise, wird als 227-Regel-Version angeboten.
Keine Sorge, Buddha-Freeware hat den vollen Funktionsumfang.

Nachsatz.
Heute ist nicht Dienstag. In der Volkshochschule trifft sich die Bauchtanzgruppe. Es gibt heute keine Meditation und keinen Yogi-Tee.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Aussie42

Mauerberliner(West) bis 1996, 10 Jahre meditieren in Indien bis 2010, jetzt in Australien. Deutschland weit weg.

Aussie42

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