Der Einsatz von Atomwaffen rückt näher.

Nuklearer Krieg. Am 26.September war der "Internationale Tag für die vollständige Abrüstung nuklearer Waffen". Ja und? Gähn. Alle Jahre wieder! Nein, dies war der erste Tag zum Thema.

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Nach siebzig Jahren nuklearer Bedrohung der Welt hat die UN zum ersten Aktions-Tag "Vollstaendige Beseitigung aller nuklearer Waffen" aufgerufen!

Weltweit wurde kaum darueber berichtet. In deutschen Medien musste man mit der Lupe danach suchen.

Eine aehnliche unbemerkte Premiere fand bereits im Maerz letzten Jahres in Norwegen statt. Eine internationale Konferenz ueber die humanitaeren Auswirkungen nuklearer Waffen.

Zum erste Mal in 70 Jahren gab es eine internationale Tagung zu diesem Thema. Die fuenf permanenten, nuklear bewaffneten Mitglieder des Weltsicherheitsrates hatten es (natuerlich) abgelehnt teilzunehmen.

Vielleicht ist das das alles ja auch richtig so.
Seit dem ersten nuklearen Krieg, wurden keine weiteren Atomwaffen eingesetzt. Die Atommaechte verhandeln seit Jahren ueber die Reduzierung ihrer Arsenale. Es gibt das Nicht-Verbreitungsabkommen. Ist es nicht rationaler, sich um eine funktionierende Abschreckung zu kuemmern, als die Schrecken eines nuklearen Krieges an die Wand zu malen? Bis jetzt hat's doch geklappt, oder?

Dieser Eindruck taeuscht.
Im Abkommen zur Nicht-Weiterverbreitung von nuklearen Waffen haben sich die Nuklear-Staaten zur vollstaendigen Abruestung ihrer Arsenale verpflichtet. Das war 1970, vor 44 Jahren.

Heute gibt es drei weiter nukleare Staaten, je 5000 Waffen in den USA und Russland, je 200-300 in Grossbritanien, Frankreich und China, je 100 in Israel, Indien und Pakistan (Nord-Korea hat vermutlich keine einsatzfaehigen Atomwaffen).
Ganz offensichtlich wollen sich die nuklear bewaffneten Staaten keine Beschraenkungen auferlegen.

Das ist noch nicht alles.
Um Atomwaffen einzusetzen, braucht man Traegersysteme, also Flugzeuge oder Raketen, ueber die heute fast jede Armee verfuegt. Hinzu kommen Ueberwachungs- und Kommunikationssysteme. Auch die sind ueberall verfuegbar.

Der groesste Teil heutiger Satelliten, die wir im Alltag nutzen, fuer Internet, Handys, Google earth, GPS, internationale Flugsicherung usw. dienen auch und vor allem der exakten Steuerung oder der Abwehr nuklearer Angriffe. Aber niemand will das so genau wissen.

Erstaunlich, denn andere weltweite Bedrohungen werden durchaus sehr ernst genommen.

Die Bahnen von Asteroiden, die mit der Erde kollidieren koennten, werden mit Satelliten permanent ueberwacht. Noch ist unklar, wie man solche Kollisionen vermeiden kann. Noch.

Es wird versucht, das Verhalten von Vulkanen besser zu prognostizieren, um einen katastrophalen Ausbruch, der Tonnen von Steinen und Staub in die Stratosphaere schleudern wuerde, fruehzeitig erkennen zu koennen.

Zur Bekaempfung von Epidemien gibt es Fruehwarnsysteme und gut organisierte Einsatzplaene der WHO, die permanent aktualisiert werden.

Selbst die bevorstehende Klimakatastrophe wird zumindest diskutiert und in Modellen getestet und nicht nur ignoriert, wie die Bedrohung durch Atomwaffen.

Das Ausmass dieser Bedrohung anschaulich zu machen ist allerdings auch schwierig.

Der Vergleich mit den Explosionen in den Kernkraftwerken von Tschernobyl und Fukushima ist eher irrefuehrend.

Bei diesen Unfaellen wurde zwar auch radioaktives Material in die Biosphaere geschleudert. Das betroffenen Gebiet konnte aber zumindest eingegrenzt werden. Jenseits der "Todeszone" war Hilfe moeglich.

Bei der Explosion einer Atomwaffe wird eine Kettenreaktion in der Biosphaere ausgeloest, die sehr hohe Energien (Strahlungsdosen) freisetzt und toedliche Substanzen ueber hunderte von Kilometern verteilen kann. Hilfe in diesen Gebieten kann tage- oder wochenlang unmoeglich sein.

Waehrend des kalten Krieges wurden solche Fakten mit politischer Absicht unterdrueckt. Adenauer verharmloste Atom-Waffen als "schwere Artillerie".
Nur wenige "Eingeweihte" wussten damals, dass kein einziger Deutscher den geplanten nuklearen Krieg in Mitteleuropa ueberlebt haette, kein Oesterreicher, kein Pole, Tscheche, Slowake, Ungar, Balte, Finne, Daene oder Schwede usw.

So genau wollte das auch niemand wissen. Beim "Versagen der Abschreckung" waere eben alles vorbei, meinte man damals.

Diese im Grunde beruhigend abschreckende "Alles-oder-Nichts" Situation ist Vergangenheit.
Heute gibt es diverse regional begrenzte, nukleare Abschreckungsstrategien, die alle die gleiche Drohkulisse verwenden:

Durch einen punktgenauen, nuklearen Erstschlag mit Drohnen, Raketen und Marschflugkoerpern werden die gegnerischen nuklearen Systeme weitgehend zerstoert. Der schwaechere gegnerische Zweitschlag kann danach "abgefangen" werden.

Diese Strategie wurde technisch bereits beim Ausschalten der Luftabwehr im Irak, Lybien etc. erfolgreich geprobt. Fuer den nuklearen Krieg muessen lediglich die Sprengkoepfe und Zielkoordinaten gewechselt werden.

Die Vorbereitung eines solchen Szenariums kann man uebrigens auch am Aufbau von Raketenabwehrsystemen erkennen (Israel, Polen, Indien).

Selbst wenn in einem heutigen Konflikt weit weniger nukleare Waffen einsetzt wuerden, als es die Planung im kalten Krieg vorsah, die humanitaeren Konsequenzen waeren aehnlich vorhersehbar und unbeherrschbar.

Neben den unmittelbaren Opfern und den Strahlenschaeden wuerden im unvermeidlichen nuklearen Winter Millionen von Menschen verhungern.
Das hat bereits die UN-Konferenz in Norwegen deutlich gemacht.

Inzwischen gibt es zwei weitere Konferenzen zu den humanitaere Konsequenzen eines nuklearen Krieges: Anfang des Jahres in Mexico und in Wien im Dezember 2014.

Was ist zu tun?

Die UN strebt ein internationales Abkommen zum Verbot nuklearer Waffen an.

Aehnlich wie bei den Vertraegen zum Verbot von Streubomben oder Landminen sollen zuerst nicht-nukleare Staaten dem Abkommen beitreten. Damit soll Druck auf Nuklear-Maechte ausgeuebt werden, die Waffen zu aechten. Eine gutgemeinte Strategie.

Und sonst?

Mehr UN-GedenkTage zur vollstaendigen nuklearen Abruestung?
Mehr Konferenzen ueber die humanitaeren Folgen des Einsatzes nuklearer Waffen?
Demonstrationen, Aktionen gegen nukleare Waffen, Wiederbelebung der "Aktion wider den Atomtod" aus den 50er Jahren?
Obama daran erinnern, dass er 2009 die Abschaffung der nuklearen Waffen versprochen hat? (Wenn man genau hinhoert, sagt er, das Abschaffen wird erst nach seinem Tod stattfinden, also in ca. 30 bis 40 Jahren...)

Auf keinem dieser Weg wird vermutlich auch nur eine einzige Atomwaffe in absehbarer Zeit verschwinden. Ganz im Gegenteil.
Die Welt ist unsicherer geworden. Die Haeufigkeit von Kriegen hat zugenommen und auch die Geschwindigkeit, mit der sie begonnen werden.
Die Nuklear-Staaten sind in dieser unfriedlichen Welt sicher nicht bereit, den strategischen Vorteil ihrer Waffen aufzugeben.

Keine guten Aussichten.

Dennoch ist es wichtig, nicht wieder in die Apathie des Kalten Krieges zu verfallen. Die Welt ist multipolar geworden. Die Vorbereitungen nuklearer Konflikte kann man heute besser erkennen als damals und oeffentlich diskutieren.

Das ist keine morbide Lust am Untergang oder Angstmacherei, sondern Realismus.

(Dieser Beitrag basiert auf einem Artikel von Richard Tanter und Timan Ruff im australischen News Magazin "The Conversation")

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Aussie42

Mauerberliner(West) bis 1996, 10 Jahre meditieren in Indien bis 2010, jetzt in Australien. Deutschland weit weg.

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