Kriegs-Szenarien der multipolaren Welt.

Frieden will niemand. Die Münchener Sicherheits-Konferenz debattierte Konflikte der alten, US-dominierten Welt. Der Elefant im Münchner Hof war der Absturz der USA zur ordinären Groß-Macht.

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In den vielen Fenster-Reden der Muenchner Sicherheitskonferenz wurde sorgfältig vermieden, den (Super-)Machtanspruch der USA zu thematisieren. Die USA wollen bisher nicht akzeptieren, dass sie nur noch "primus inter pares" sind und mit zwei aufstrebenden, beinah gleichstarken Gross-Maechten konkurrieren muessen. Diese Selbstbetrug der USA hat fatale Konsequenzen.

Im aufgeregten klein-klein des "24-hour- news-cycle" ist die "tektonische" Verschiebung der US-Welt zur multipolaren Welt kaum wahrzunehmen. Doch die geopolitische Zusammenschau der weltweiten Konflikte und strategischen Position zeigt Kriegs-Szenarien zwischen drei Gross-Maechten, die bisher kaum diskutiert werden. Selbst ein Weltkrieg scheint wieder moeglich!

Eindeutig ist: Frieden ist nicht gewollt!

Aus einer etwas distanzierten, politisch-historischen Perspektive ist die neue multipolare Welt mit dem Europa vor dem ersten Weltkrieg vergleichbar. Auch heute konfrontieren sich zwei Gruppen von Staaten - die USA und ihre Verbuendeten gegen China und Russland - die wie "Schlafwandler " (Hermann Broch) auf einen (militaerisch-oekonomisch-elektronischen) Krieg zusteuern.

Eine zugegeben "starke" These. Darum zunaechst Hinweise zur strategischen Lage der drei Gross-Maechte.

Trumps "Amerika first" Politik hat die USA in einen weltweiten Wirtschaftskrieg gefuehrt, in dem selbst langjaehrige US-Verbuendeten bedroht werden.
Hinzu kommt die Aufweichung geostrategischer Positionen der USA in Asien (von Syrien bis Japan). Darum sind die Generale in Trumps Umgebung ("the adults in the room") einer nach dem anderen "desertiert".
Schliesslich die parallelen US-Sanktionen gegen Russland und China. Diese beiden partiell ebenbuertigen Gross-Maechte, haben die USA in einen Zwei-Fronten-Konflikt verwickelt, der die oekonomischen und militaerischen Ressourcen der USA zunehmend ueberdehnt.

China hat auf die oekonomischen Angriffe der USA bisher eher defensiv mit "Waffenstillstands"-Verhandlungen reagiert. Durch Jong-un's "Oeffnungspolitik" wurde parallel Trumps Eitelkeit "bespielt".
China kann sich Gelassenheit leisten. Mit der Seidenstrasse und dem "belt" hat sich das Land eine oekonomisch-militaerische Einflusszone durch Mittel- und Suedasien geschaffen, die auch viele Anrainer des indischen Ozeans bis nach Ost-Afrika konsequent einbezieht. In dieser breiten Zone erweitert und stabilisiert China mit Investitionen sowie den Bau von Infrastruktur und Militaer-Basen seine regionale Dominanz gegenueber den USA.

In Ost-Afrika endet auch die Einflusszone Russlands, die in der Arktis beginnt und einige Staaten Osteuropas und Mittel- und Westasians einbezieht. Von Finnland ueber Ungarn, den Iran, die Tuerkei und Syrien reicht der russische Einfluss bis nach Eritraea und Aethiopien.

Russland profiliert sich zudem in ganz Asien zunehmend als Vermittler. Nach dem militaerisch durchgesetzten Ende der westlichen Intervention im syrischen Buergerkrieg, versucht Russland auch in Afghanistan zu vermitteln, u.a durch Kontakte zwischen den Taliban und der politischen Opposition Afghanistans.
Selbst Israel muss inzwischen seine Militaerpolitik in Westasien mit Russland abstimmen.

Die grob skizzierte "Schlacht"ordnung der Gross-Maechte ist offensichtlich instabil. Russland und China sind den USA militaerisch (vor allem maritim) noch unterlegen. Darum koennten die USA versucht sein, einen oder mehrere ihre regional begrenzten (Stellvertertreter-)Konflikte, gegen den Iran, in der Ukraine, in Venezuela und am Horn von Afrika (Jemen, Sudan, Somalia, Kenya, Aegypten und Lybien) in einen grossen (Welt-)Krieg zu eskalieren. Mehrere Szenarien eines solchen Krieges sind moeglich.


Zwischenfrage: Was ist mit Europa?

Gegenwaertig versuchen einige der Verbuendeten der USA sich vom einseitigen Fokus auf die USA zu loesen. Einige Beispiele.

Deutschland baut eine Gas-Pipeline, die Russland beguenstigt und den Interessen der USA widerspricht.

Einige EU-Staaten versuchen, die Sanktionen der USA gegen China und den Iran zu unterlaufen.

Deutschland hat mit Japan den Zugang zum Trans-Pazifischen Wirtschaftsverbund (TPP) vereinbart, einem Vertrag dem die USA nicht beigetreten sind.

Europas Innen-Politik wird zunehmend von national-konservative Parteien und Regierungen bestimmt, von denen viele mit Russland kooperieren.

Polen konfrontiert den wichtigsten US-Verbuendeten Israel.

Das Ausscheiden GB's stellt die europaeische "Integration" zunehmend in Frage.

Trotz der zunehmenden Unabhaengigkeit von den USA, verhindern die widerspruechlichen Interessen der EU-Staaten, dass Europa gemeinsam als vierter Pol der neuen Weltordnung auftreten kann.
Als oekonomischer Riese und politischer Zwerg koennte Europa aber die Rolle der BRD im Kalten Krieg uebernehmen. :)


Kriegs-Szenarien in der multipolaren Welt.

1. Der Wirtschaftskrieg, den die USA begonnen haben, wird vermutlich in einem Patt enden, da alle Beteiligten oekonomisch aufeinander angewiesen sind. Ein erneuter Crash des Finanz-Systems koennte diese Dynamik allerdings unvorhersehbar veraendern.

2. Ein Kalter Krieg 2.0 ist hoechst unwahrscheinlich. Im ersten Kalten Krieg haben die ungeheuren Bevoelkerungs-Verluste, die ein nuklearer Krieg bewirkt haette, beide Seiten zurueckgehalten. Mit jeweils 100 Millionen Tote in Europa und den USA und 250 Millionen Tote im "Ostblock", haette der Westen den nuklearen Krieg zwar "rechnerisch gewinnen" koennen, doch eine derartige Kalkulation machte einen heissen Krieg unmoeglich.

3. Von einem nuklearen Krieg am Horn von Afrika beispielsweise, waere die Zivilbevoelkerung der kriegfuehrenden Gross-Maechte allerdings nicht betroeffen. "Lediglich" in den Anrainerstaaten des Roten Meeres, vor allem in Afrika wuerden "kollateral" Millionen von "Zivilisten" sterben.
Die neuen zielgenauen "low yield" Atomwaffen mit Sprengwirkungen geringer als 100 Tonnen TNT, haben Wirkungsbereiche, die beinah auch mit konventionelle Waffen erreicht werden. Der nukleare Einsatz waere also nicht sofort offensichtlich.
Ob ein solcher Krieg mit taktischen Atomwaffen taetsaechlich auf das "war-theatre" begrenzt werden koennte, ist unsicher. Dennoch ist ein taktisch-nuklearer (Welt-)Krieg moeglich jedoch (bei rationaler Einschaetzung) unwahrscheinlich.

4. Ein nuklearer "Schlagabtausch" zwischen Indien und Pakistan dagegen wird von beiden Staaten gewollt. Die Verstrahlung des indischen Subkontinents laege im US-Interesse, weil es die Expansion Chinas nach Westen blockieren wuerde. China und Russland versuchen derzeit durch Geldzahlungen, Investitionen und Technologie-Transfer die korrupten Kontrahenten zu maessigen. Man kann nur hoffen, dass das auf Dauer gelingt.

5. In einem konventionellen Krieg im suedlichen West-Asien waeren die USA den beiden konkurrierenden Gross-Maechten vor allem logistisch deutlich ueberlegen. Nach 30 Jahren Krieg waeren die US-Streitkraefte aber, nach eigener Einschaetzung, einem groesseren Krieg personell und organisatorisch nicht gewachsen. Trotzdem waere es nicht erstaunlich, wenn die USA einen solchen Krieg - unter welchem Vorwand auch immer - beginnen wuerden.

6. Wahrscheinlicher als andere Formen, ist die weitere Verschaerfung elektronischer Kriege in der multipolaren Welt.
Die US-Hysterie, die Wahl Trumps sei von Russland ueber das Internet beeinflusst wordem, soll vermutlich die Angst vor dem "Cyberkrieg" in den USA verstaerken. Auch der Propaganda-Krieg gegen die Firma Huwai soll nicht nur die westlichen Elektronik-Firmen unterstuetzen, sondern auch eine technologische Bedrohung der USA suggerieren.

Real setzen alle Grossmaechte und auch kleinere Staaten (u.a. die Ukraine) mehr oder weniger bekannte Algorithmen zur Stoerung "gegnerischer" IT-Systeme ein. Manchmal intelligent, manchmal doof.

7. Ein elektronischer Krieg erfordert weltraum-gestuetzte Kommunikations-, Ueberwachungs- und Positionierungs(GPS)-Systeme , die gegen elektro-magnetische Angriffe gehaertet sind.
Solche Systeme erfordern permanente Wartung und Erneuerung der eingesetzten Satelliten. Die drei Grossmaechte arbeiten verdeckt an ihren jeweiligen Systemen. Durch die Einstellung das Shuttle-Programm 2011 haben die USA ihren Vorsprung in der Satelliten-Wartung inzwischen eingebuesst.

Derzeit beginnt erneut die Militarisierung der Weltraums durch die Stationierung von nuklearen Sprengsaetzen, um sehr schnell (Mach 10) anfliegende Raketen abfangen zu koennen.

8. In der Informationstechnologie konkurrieren die militaerisch/zivilen Labors der USA mit entsprechenden Einrichtungen in China. (Russland, so scheint es, ist auf Software-Ware Entwicklung spezialisiert.) China hatte einige Jahre lang die weltweit leistungsfaehigsten Rechner. Inzwischen ist China in der Liste der 500 besten Rechner wieder auf Platz zwei hinter die USA zurueckgefallen.
Ein Grund koennte sein, dass China's Gross-Rechner inzwischen Maschinen mit neuromorphen Prozessoren trainieren und/oder die Genauigkeit von Quantum-Computern verbessern. Fuer beide Anwendungen werden auch im Westen "normale" HPC (HighPerformanceComputer) eingesetzt.

Der knappe IT-Wettlauf koennte die US-Vorwuerfe erklaeren, dass China westliche Technologie irregulaer benutzt. Auch die permanenten "Klagen" dass Russland und China als "staatliche Akteure" in die IT-Systeme der fuenf-Augen Staaten eindringen, passen ins Propaganda Spektakel. Die USA muessen tatsaechlich die IT-Entwicklung ihrer Konkurrenten fuerchten. Nicht nur militaerisch, vor allem auch oekonomisch.

9. Nimmt man diese Einschaetzungen zusammen, scheint die Wahrscheinlichkeit eines konventionellen oder nuklearen Krieges eher gering. Ein umfassender elektronischer Konflikt zwischen den Grossmaechten dagegen ist noch waehrend der Amtszeit von Trump denkbar.

Ein solcher Angriff muesste augenblicklich alle elektronischen Systeme des Gegners treffen. Das wuerde aber auch die Befehls- und Steuerungs-Systeme von Atomwaffen destabilisieren.
Diese unkalkulierbare "Nebenwirkung" koennte, bei realistischen Risiko-Simulation, einen umfassenden elektronischen Angriff verhindern. Doch wie "realistisch" agieren derzeit die staatlichen Akteuere?

Begrenzte Angriffe auf "weiche" elektronische Systeme, Buerokratien, selbstfahrenden Autos, Bezahl"apps", e-Commerce, Flugverkehr, etc. werden sich fortsetzen, sind bereits jetzt beinah alltaeglich.

10. Die multipolare Welt erinnert also an das Europa am Beginn des 20. Jahrhunderts. Und wie vor 100 Jahren bedrohen sich die Gegner mit ihrernneuesten Kriegstechnologien. Damals waren das chemischen Daempfe und harte Staehle. Heute sind es elektronische Systeme und Kuenstliche Intelligenz. Obwohl heute die Kriegsbegeisterung der Bevoelkerung fehlt, gibt es genugend Risiken, die wie 1914 ueberraschend einen Krieg ausloesen koennen.

Frieden, um daran noch einmal zu erinnern, wollte und will niemand.

Solche Ueberlegungen passten natuerlich nicht ins Beruhigungs-Konzept der Muenchner Sicherheits-Show.


Nachtrag.

Ich wollte die Kriegs-Szenarien moeglichst drastisch beschrieben und habe dabei einige der Bedrohungen ueberzeichnet.

Gegenbewegungen habe ich vernachlaessigt, vor allem die vielen Versuche der Zivilgesellschaft, den weltweiten "Trend" zum Krieg aufzuhalten.

Wichtige Ausloeser von Krieg wie: Klimawandel, Bevoelkerungswachstum, Migration, Armut, Hunger und Nahrungsmittel-Spekulation, die stark zunehmende Zahl der Kernkraftwerke etc. habe ich nicht beruecksichtigt, um die Bedrohungs-Szenarien zu vereinfachen.

Der Text basiert u.a. auf online Beitraegen im Jahr 2018 in: OrientelReview, War on the Rocks, Moon of Alabama, The Conversation (Australia), Reuters online, Foreign Affairs, BBC, Guardian, NPR und online Ausgaben deutscher Zeitungen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Aussie42

Mauerberliner(West) bis 1996, 10 Jahre meditieren in Indien bis 2010, jetzt in Australien. Deutschland weit weg.

Aussie42

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