Die Energiepreise für die Privathaushalte und die Industrie haben sich seit Beginn des Ukrainekriegs vervielfacht und sind seither auch nur leicht zurückgegangen. Auch wenn man ungern darüber spricht: Neben der Energiewende sind der Krieg, die Russland-Sanktionen und die russischen Gegensanktionen für diesen Energiepreisschock hauptursächlich verantwortlich. Nach den bis heute ungeklärten Anschlägen auf die Nord-Stream 2-Pipeline fließt endgültig keine russische Energie mehr nach Deutschland. Das Flüssiggas, das seither vor allem aus den USA importiert wird, ist entschieden teurer. Hinzu kommt die schleppende Umstellung auf erneuerbare Energien, die Energie langfristig nicht nur klimaneutral, sondern auch günstiger machen soll, aber si
Industriestrompreis: Das Kapital ruft, Robert Habeck zahlt
Energiepreisschock Energie ist seit dem Ukrainekrieg teuer. Die Industrie fordert Unterstützung, Robert Habeck will gerne zu Diensten sein. Die Frage ist nur: Zu welchen Bedingungen?
Ingar Solty
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Foto: Martin F. Chillmaid/Acience Photo Library
sie kurzfristig verteuert. Im Ergebnis kostet in Deutschland die Kilowattstunde Energie in etwa dreimal so viel wie in den USA und etwa sieben Mal so viel wie in China.Die Industriekapitalverbände fordern deshalb staatliche Rettungsmaßnahmen vor allem im Namen ihrer energieintensiven Branchen, also die Aluminium-, Glas- und Papierindustrie. Sie drohen mit dem Gespenst der Deindustrialisierung Deutschlands durch Kapitalabwanderung, an sei „schlichtweg nicht mehr wettbewerbsfähig“, heißt es vom „Verband der Chemischen Industrie“ (VCI).Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie plant als Antwort einen durch Steuergelder garantiert niedrigen Industriestrompreis bis 2030. Kommen soll er als Fortsetzung der Strompreisbremse, die im Frühjahr 2024 ausläuft und die Energiekosten bislang auf maximal 13 Cent für 70 Prozent des Energieverbrauchs vom Vorjahr deckelte. Um den Strompreis für das Industriekapital in den nächsten Jahren zu senken, will Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) 25 bis 30 Milliarden Euro an Steuergeldern einsetzen. Andernfalls verlöre der deutsche Standort „möglicherweise die Industrien der Zukunft“ an die USA und China. Geplant ist ein Industriestrompreis von 6 Cent pro Kilowattstunde. Gegenwärtig liegt er inklusive Steuern und Umlagen bei 26,5 Cent. Der VCI fordert 4 Cent. Habeck spricht von einer „Zwischenphase bis 2030“; bis dahin solle ein langfristiger „Transformationsstrompreis“ etabliert sein – mit preisgünstigem Strom aus regenerativen Energien.Für die Strompreissubvention will Robert Habeck die Schuldenbremse umgehenDamit die „Schuldenbremse“ umgangen werden kann und Gelder für andere Prioritäten frei bleiben – Habecks Ministerium nennt in dieser Reihenfolge „Verteidigung, Migration, Kinderarmut“ –, sollen die Mittel nach Vorschlägen des Ministers nicht dem regulären Haushalt entnommen werden, sondern aus dem 200 Milliarden Euro schweren „Wirtschaftsstabilisierungsfonds“ der Regierung fließen. Um Mitnahmeeffekte der Industrie und „negative Effekte (…) auf Anstrengungen zur Energieeffizenzsteigerung“ zu verhindern, soll es eine „hohe Begründungspflicht“ geben und der Industriestrompreis nur auf 80 Prozent der Energienutzung gezahlt werden. Außerdem sollten Unternehmen eine „langfristige Standortgarantie abgeben“.Die Industrieverbände BDI und VCI selbst versichern, keine „Dauer-Subventionen“ anzustreben, und sprechen vom „Brückenstrompreis“. Die Hoffnung auf einen langfristigen Rückgang der Strompreise durch die Energiewende teilt das Industriekapital dennoch offenbar nur bedingt. Zwar fordert auch der BDI einen „schnelleren Ausbau von Erneuerbaren und wasserstofffähigen Gaskraftwerken“ und bekennt sich auch der VCI bei gleichzeitiger Kritik am Atomausstieg zur Klimaneutralität. Vor allem aber richten sich die Forderungen darauf, die Kosten der Energiewende auf die Bevölkerung abzuwälzen. Die Politik solle, so der BDI, für „eine langfristig bezahlbare und sichere Energieversorgung“ sorgen durch Steuersenkungen auf Strom und den Abbau der Umlagen für die Energiewende auf die Industrie. Der VCI wird konkret und nennt explizit die „EEG-, KWKG-Umlage, Offshore-Netzumlage, Abschaltbare-Lasten-Umlage etc.“.SPD-Fraktion, CDU und Industriegewerkschaften sind für IndustriestrompreisUnterstützung erhält Habeck von der SPD, aber auch von der CDU/CSU-Opposition und den Industriegewerkschaften. Mitte August schlossen sich Industriekapitalverbände und Gewerkschaften (IG Metall, IG BCE und der Dachverband DGB) in der „Allianz pro Brückenstrompreis“ zusammen. Die Gewerkschaften verknüpfen dies mit Forderungen nach Beschäftigungsgarantien oder dass die Fördermittel nur tarifgebundene Kapitalunternehmen beanspruchen dürfen. Das Bundeswirtschaftsministerium dämpft schon mal die Erwartungen: „Soweit verfassungsrechtlich möglich“ sei Tariftreue angestrebt.Kritik kommt aus der Regierungskoalition selbst. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) betonte im Handelsblatt, dass die „Verbesserung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit (…) ganz oben auf meiner Agenda“ stehe. „Direkte staatliche Hilfen“ seien jedoch „ökonomisch unklug“ und würden „den freien Markt persiflieren“. Der Industriestrompreis würde auf Kosten der Privathaushalte gehen und zu „Wettbewerbsverzerrungen (…) mit dem Handwerk führen“. Auch gebe es keine haushaltspolitischen Spielräume.Lindner und Scholz sind dagegenLetzteres sieht im Übrigen auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ähnlich, der sich in dieser Frage gegen einen Beschluss des geschäftsführenden Vorstands der SPD-Bundestagsfraktion stellt. Anstelle der Subventionen müsse nur schneller in erneuerbare Energien und die dafür erforderlichen Stromtrassen investiert werden, die langfristig auch günstiger seien als Atomstrom.Lindner verknüpft seine Absage an den Industriestrompreis an andere Forderungen von Kapitalseite nach Entlastung und billigerer Arbeitskraft. Es bräuchte jetzt eine „angebotsorientierte Wirtschafts- und Finanzpolitik“ mit Steuersenkungen für Konzerne, wie dem von der „Ampel“ beschlossenen, aber noch vom Familienministerium blockierten „Wachstumschancengesetz“. Außerdem ist die FDP treibende Kraft der Forderungen nach einer Erhöhung der Wochen- und Lebensarbeitszeit durch die Rente mit 70 und/oder 42-Stunden-Woche sowie für die von der „Ampel“ erleichterte Einwanderung von „Fachkräften“ vor allem in Pflege und Gesundheit. Es sei „bemerkenswert“, so Lindner, „dass ein Industriestrompreis gerade von jenen ins Gespräch gebracht wird, die ansonsten um keine Belastungsidee bis hin zur Vier-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich verlegen“ seien, so Lindner mit Anspielung auf eine Forderung der IG Metall.Es heißt nun, mit dem Industriestrompreis und anderen Maßnahmen wie der Anlockung von Halbleitertechnologieunternehmen durch Milliardensubventionen hätten SPD und Bündnis 90/Die Grünen die Industriepolitik wiederentdeckt. So sieht das auch der CDU-Rechtsaußen Christoph Ploß. Die Grünen würden ihn „an eine Wassermelone erinnern: Außen (…) ein bisschen grün und innen tiefrot“, sagte er dem Cicero. Wahrnehmungen wie dieser mangelt es jedoch an Kenntnis der Farben- und Früchtelehre der deutschen Politik. Von Marc-Uwe Kling stammt das Bonmot, dass die Grünen den „Weg aller Bananen“ gehen würden: „Heute grün und morgen gelb und übermorgen schwarz“. Und für Kurt Tucholsky war schon die Weimarer SPD ein „bescheidenes Radieschen“: „außen rot und innen weiß“.Was wäre eine wirklich linke Industriepolitik?Tatsächlich wäre Industriepolitik erst dann rot, wenn sie nicht dem Kapital die Profite sichert und die Kosten und das Risiko dafür den Lohnabhängigen aufbürdet, die die Hauptsteuerlast wegtragen. Rot wäre sie allenfalls, wenn der Industriestrompreis nicht nur an ohnehin schwer umzusetzende Standort- und Beschäftigungsgarantien gekoppelt wäre, sondern dazu wenigstens mit Energiepreisdeckelungen auch für die unteren Lohneinkommensgruppen einherginge. Tiefrot würde bedeuten, dass die Gesellschaft sich nicht mehr länger vom Kapital auf der Nase herumtanzen lässt, indem die Inanspruchnahme von Subventionen an den Transfer von Unternehmensanteilen in die öffentliche Hand gekoppelt würde.An sich ist Staatsinterventionismus in Krisensituationen immer noch besser als die marktradikale Ideologie. Aber jedes Mal, wenn das private Kapital auf staatliche Rettungen angewiesen ist, entstehen Möglichkeiten für eine soziale und demokratische Politik. Allein in den letzten anderthalb Jahrzehnten wurden sie zweimal missachtet: 2008 hätten die Rettungen der „systemrelevanten“ Banken dazu führen müssen, sie in öffentliche Dienstleistungsunternehmen zu überführen, nach dem Motto: „too big to fail = too big to be private“. 2020 eröffneten sich in der Corona-Krise mit den Rettungsschirmen für die Unternehmen erneut Optionen, in die „Anarchie des Marktes“ und gegen das klimapolitische Marktversagen zu intervenieren und in Richtung eines sozialökologischen Systemwechsels die demokratische Kontrolle über die Investitionsplanung zu erlangen. Auch damals diente der Staatsinterventionismus lediglich der Stabilisierung des Bestehenden durch Staatshilfe. Aller guten Dinge sind nun drei. Ein drittes Staatsversagen dieser Art können wir uns im Namen von sozialer und Klimagerechtigkeit nicht leisten.