Mitten ins Sommerloch drängt die Nachricht, dass der Energiekonzern RWE seinen Gewinn für das erste Halbjahr des Jahres um eine satte Milliarde nach oben korrigieren musste. Der bereinigte Gewinn beträgt nun laut Berichten des Spiegel etwa zwischen 7,1 und 7,7 Milliarden statt der erwarteten 5,8 bis 6,4 Milliarden Euro. Die genauen Zahlen sollen im August vorliegen. Doch die Tendenz ist klar.
Vor allem von den gestiegenen Strompreisen profitierte das Unternehmen, aber auch vom Energiehandel, der nicht mehr so stark vom Krieg in der Ukraine eingeschränkt ist wie noch zu Beginn des letzten Jahres. Doch der Konzern wird nicht alle Gewinne behalten können: Insgesamt 250 Millionen Euro an Übergewinnsteuern wurden in verschiedenen Staaten fällig – nur eben
ig – nur eben leider nicht in Deutschland. Die Übergewinnsteuer sollte gerade jene Gewinne abschöpfen, die unverhältnismäßig stark aufgrund von Krisen und Krieg entstehen. Schon während der Pandemie begann die Diskussion um die Krisengewinner, die Preisschocks aufgrund des Ukraine-Kriegs insbesondere im Energiesektor haben diese Lage noch verschärft.Lange Zeit behaupteten Wirtschaftsliberale, Übergewinne seien nicht ohne Weiteres feststellbar. Dies ist angesichts der unzähligen Meldungen von nach oben korrigierten Gewinnen, die jeder Verbraucherin und jedem Verbraucher ins Auge stechen, jedoch schon lange nicht mehr zu halten. Und dennoch lief ausgerechnet unter einem grünen Wirtschaftsminister die Übergewinnsteuer im Juni dieses Jahres still und heimlich aus.Die deutsche Übergewinnsteuer war von Beginn an ein Witz. Sie setzt erst im Dezember des Vorjahres an und schöpft damit Gewinne viel zu spät und zu zaghaft ab. Denn die Steuer greift zusätzlich erst, wenn der Gewinn bei 20 Prozent über dem Durchschnitt der letzten Jahre liegt, und dann werden auch nur 33 Prozent besteuert. In Europa konnten durch höhere Steuersätze 15 Milliarden an Einnahmen erzielt werden, in Deutschland werden es deutlich weniger sein. Der Ökonom Jens Südekum rechnet mit zwei Milliarden oder weniger.Übermacht der KonzerneFür den Dezember konnte das zuständige Ministerium nicht einmal grobe Schätzungen für die erwarteten Einnahmen angeben, weil die Zahlen noch nicht vorlägen, wie eine Anfrage der Linksfraktion ergab. Wenn die Zahlen vorliegen, wird der Drops politisch ohnehin schon gelutscht sein, weil man auf die Weiterführung der Steuer ja sowieso verzichtet hat und eine erneute Einführung politisch nur sehr schwer umzusetzen sein wird. Die Bundesregierung hat die Übergewinne im Grunde also fast nur symbolisch angetastet.Anders Spanien etwa, wo eine Mitte-links-Regierung von Sozialdemokraten und einem linken Bündnis auf ein ganzes Bündel an Maßnahmen setzte, um die Inflation zu senken und in der Krise umzuverteilen. Die Übergewinnsteuer etwa floss in einen kostengünstigen ÖPNV, durch strategische Preiskontrollen und eine Senkung der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel konnte man die Inflation deutlich auf etwa zwei Prozentpunkte senken. Dazu kommen eine Erhöhung des Mindestlohns und die höchste Tarifbindung seit langem.Zwar war Spanien auf dem Energiemarkt nie so abhängig von Russland wie der deutsche Energiemarkt. Und dennoch zeigen die Maßnahmen, dass kluge Umverteilungspolitik möglich wäre und nicht nur die eine große Maßnahme („Doppel-Wumms“) einen Erfolg zeitigt.Hinter diesem offensichtlichen Versäumnis der deutschen Bundesregierung liegt ein viel größeres Problem, nämlich der politische Unwille und auch die teilweise Unfähigkeit von Staaten, sich der Übermacht von Konzernen entgegenzustellen.Sogar der IWF gibt es zuSeit einigen Monaten sind die Begriffe „Gewinnflation“ oder „Gierflation“ im Umlauf, die auf den systematischen Zusammenhang von Unternehmensgewinnen und Inflation hinweisen. Die Ökonomin Isabella Weber hatte sich wie bereits beim Gaspreisdeckel unter Mainstream-Ökonomen unbeliebt gemacht, weil sie empirisch nachweisen konnte, dass Unternehmen mit starker Marktmacht die Preisschocks und erwarteten Preissteigerungen dafür nutzten, Preise zu erhöhen und so Gewinnmargen zu vergrößern. Während anfängliche Preissteigerungen noch durch gestörte Lieferketten und hohe Rohstoffpreise zu erklären waren, sind sie es nach der Entspannung des Energiemarktes nicht mehr.Entscheidend für die Gewinnflation ist die Machtkonzentration von Unternehmen, die sich durch gemeinsame Absprachen auf ein höheres Preisniveau einigen können. Die einzelne Verbraucherin dagegen kann kaum überprüfen, ob die höhere Stromrechnung oder der teurere Kassenbon nun aufgrund einer Mitnahmementalität oder höherer Rohstoffpreise auf dem Weltmarkt zustande kommt. In einer Krise können Unternehmen so aus erwarteten Preisanstiegen reale Gewinne machen – und kaum jemand merkt es.Kürzlich musste nun allerdings auch EZB-Chefin Christine Lagarde zugeben, dass Unternehmen den Vorteil genutzt hätten, die höheren Kosten völlig auf die Kunden abzuwälzen. Genaue Zahlen habe die Zentralbank dafür noch nicht, aber auch der IWF, der nicht als antikapitalistischer Thinktank bekannt ist, bestätigte den Trend. Das Problem: Wenn Gewinne nicht auch nachträglich abgeschöpft werden, nutzen selbst konkrete Zahlen in Zukunft sehr wenig, denn die Mitnahmen sind dann bereits passiert und das Geld liegt womöglich bereits in Steueroasen und eben nicht in den Steuerkassen.Das Problem: PreisabsprachenGerade die Bundesregierung und „Respekt-Kanzler“ Olaf Scholz (SPD) versäumen hier während der noch anhaltenden Inflation den notwendigen politischen Eingriff. Während der neue Chef der österreichischen Sozialdemokraten, Andreas Babler, unverblümt von der Gierflation spricht, halten sich die deutschen Genossen vornehm zurück. Denn natürlich wäre eine höhere Besteuerung möglich, genau wie höhere Löhne. Der Reallohnverlust der letzten Krisenjahre beträgt im OECD-Durchschnitt zusammengenommen etwa 3,2 Prozent. Gerade die unteren und mittleren Einkommen, die noch einmal erheblich mehr unter gestiegenen Energie- und Lebensmittelpreisen leiden, werden nicht entlastet. Nahrungsmittel bleiben mit einem anhaltenden Preisauftrieb von 13,7 Prozent im Vergleich zum Vorjahr weiterhin der größte Preistreiber, während auch hier die wenigen großen Konzerne Gewinne einstreichen.Die Gewinnflation ist eben kein Unfall während eines Krieges, sondern der Normalbetrieb kapitalistischen Profitstrebens. Der populistische Begriff „Gierflation“ ist deshalb auch nur für den Politikbetrieb nützlich, kaum aber für die Analyse.Es ist eben nicht die Gier des RWE-Chefs, sondern die üblichen Preisabsprachen unter sehr wenigen mächtigen Martkteilnehmern wie Supermarktketten oder Energiekonzernen, welche die Preise in die Höhe treiben. Genau deshalb sollte auch das Kartellamt laut Robert Habeck (Grüne) mit „Klauen und Zähnen“ ausgestattet werden, also schneller Übergewinne und Gewinnmitnahmen erkennen und erfolgreicher dagegen vorgehen können, im Zweifel sogar Konzerne zerschlagen können, wenn es in Krisen zu einer großen Marktmacht kommt.Das einzige Problem an der Reform: Sie kommt viel zu spät. Und es ist mehr als fraglich, ob eine Regierung, die in den zurückliegenden Jahren vor allem die Gewinne geschont hat, bei kommenden Krisen die Klauen auch tatsächlich ausfährt.