Kaum weniger hat er wohl veröffentlicht als sie, doch den Spruch, dass hinter einem starken Mann eine starke Frau steht, kann man für die Wolfs durchaus umdrehen. Was mich immer beeindruckte bei dieser Künstlerehe: dass er, als sie ein Kind erwartete, sein Studium unterbrach, um Geld zu verdienen. Anfang der 1950er eine Ausnahme. Im Alltäglichen wie Literarischen stand er ihr zur Seite. Für alles, was sie schrieb, war er der erste Leser. Und umgekehrt. Sie ist nun neun Jahre tot, er wurde vor kurzem 92.
Eine Herzenssache ist für beide ihre persönliche Bindung gewesen, ebenso wie die Kunst. Von einer Herzenssache sprach auch Rahel Varnhagen, die in Berlin einen literarischen Salon betrieb. Der Text meines Herzens hieß denn auch ihre von Carola Stern verfasste Biografie. Gerhard Wolfs Rede zur Buchpremiere 1994 wird in dem vorliegenden Band nun erstmals veröffentlicht. Andere Texte sind, verstreut in Zeitschriften, schon mal erschienen. Man liest sie neu.
Spiel mit Hermlin-Zitaten
Manche brachten sie zu zweit hervor, wie das „Gespräch im Hause Wolf über den in Vers und Prosa sowohl als auch stückweis anwesenden Volker Braun“ und das „Nicht beendete Gespräch über Stephan Hermlin“, das noch zu seinen Lebzeiten geführt wurde. Da zitieren sie einander Zeilen aus seinen Gedichten: „Die Zeit der Wunder ist vorbei“, „Und in der Dämmrung sind die Katzen wieder grau“, „Die Worte warten. Keiner spricht sie aus“. Das fiel mir in die Seele – viel hätte ich Stephan Hermlin gerade zu Wendezeiten noch fragen wollen, doch dann war es zu spät. So sind hier viele Schriftsteller und Künstler vereint, die in der Erinnerung weiterleben wollen: Irmtraud Morgner und Stefan Heym, Walter Jens und Günter de Bruyn, der Grafikdesigner Otl Aicher, der die Schrift „rotis“ für Gerhard Wolfs Verlag Janus Press entwarf, und der avantgardistische Künstler Carlfriedrich Claus, der dort veröffentlichte, die Künstlerinnen Christa Cremer und Nuria Quevedo. Letztere, jetzt 82, sagt von sich: „Malen ist meine Art, zu denken – zeichnend weiß die Hand mehr als der Kopf.“
Der jetzt 98-jährigen Maria Sommer stehen die Wolfs sehr nahe. Seit 1949 leitete sie den Kiepenheuer Bühnenvertrieb und hat mit feinem Gespür für genuine Begabungen Generationen von Autoren von Grass bis Tabori für Theater, Funk, Film und Fernsehen vertreten. „Sie macht ihre Herzenssache zum Beruf“, sagte Gerhard Wolf in seiner Rede von 2012, als sie die Rahel-Varnhagen-von-Ense-Medaille erhielt. Nicht fehlen darf der Dichter Louis Fürnberg, mit dem er sich lebenslang beschäftigt hat; schon 1959 veröffentlichte Wolf ein Buch über ihn. Unbedingt in dieses Memorial gehörte auch die aufmüpfige Schriftstellerin Brigitte Reimann, die 1973 an Krebs gestorben ist. Hat Wolf doch miterlebt, wie verbunden ihr seine Frau war. Die hier abgedruckte Rede über diese Freundschaft hielt er kurz nach Christa Wolfs Tod. All seine Bekannten waren auch die ihren – und umgekehrt. So hat er über die „unvergesslichen Begegnungen“ auch im Gedenken an sie geschrieben.
Im letzten, umfangreichsten Text greift er sogar einen Stoff auf, den sie hatte verarbeiten wollen. Es geht um Franci Faktorová, die Mutter seines Schwiegersohns Jan Faktor, Übersetzerin mehrerer Bücher von Christa Wolf. Als er sie 1958 bei der Prager Literaturzeitschrift Literární noviny kennenlernte, fiel ihm die Nummer auf ihrem Arm auf. Später erzählte sie von Theresienstadt und Auschwitz, Details, die geradezu danach „riefen“, überliefert zu werden. Immer wieder haben sie Zeit mit ihr verbracht, durch sie auch Eduard Goldstücker kennengelernt, der 1963 die berühmte Kafka-Konferenz in Liblice organisierte, die als Vorbereitung des Prager Frühlings gilt. Mit dieser Reformbewegung hatten Franci Faktorová wie auch Christa und Gerhard Wolf große Hoffnungen verbunden. Ein erneuerter Sozialismus? Oder wäre es ein Sieg der anderen Seite geworden? Die Niederschlagung des Prager Frühlings ist jedenfalls für viele, die daran glaubten, traumatisch gewesen.
Franci Faktorová verlor ihre Anstellung, und die Angstträume aus KZ-Zeiten kamen wieder. Christa und Gerhard Wolf wurden ab dem Jahr 1968 vom MfS als „Operativer Vorgang“ erfasst. Seine Frau habe an einem Text unter dem Titel „Visalaja“ gearbeitet, „der Tagebuchseiten und Stellen aus ihrer beider Briefwechsel enthielt“ und leider Fragment geblieben ist, so Gerhard Wolf. „Aber ich kann hier authentisch daraus zitieren.“ Liebesdienste bis zuletzt.
Herzenssache. Etwas, das einem ernst ist. Diese Lebens- und Kunstauffassung ist das Verbindende zwischen Gerhard Wolf und denen, über die er hier spricht. Sie mag dort einen besseren Boden gehabt haben, wo nicht alles vom Geld diktiert war. Aber es gab sie schon immer, und sie wird bleiben. Etwas entschwindet und erneuert sich. Wie gut, dass der Aufbau Verlag dieses Erbe bewahrt.
Info
Herzenssache. Memorial – unvergessliche Begegnungen Gerhard Wolf Aufbau 2020, 288 S., 22 €
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