From Nick with Love

Freitag ist Musiktag In seinen „Red Hand Files“ beantwortet Nick Cave Fragen seiner Fans – einfühlsam, ehrlich und poetisch. Was Kunst vermag, wenn sie in den Dialog tritt

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Wöchentlich schickt Nick Cave eine seiner Nachrichten, und sie sind so klug, so einfühlsam und ehrlich, dass sie einen berühren und einem bei Bedarf den Tag retten
Wöchentlich schickt Nick Cave eine seiner Nachrichten, und sie sind so klug, so einfühlsam und ehrlich, dass sie einen berühren und einem bei Bedarf den Tag retten

Foto: Larry Busacca/Getty Images

„Jetzt mal ehrlich“, schrieb neulich jemand auf Twitter: „Wenn Gottesdienste ab dem 15. Mai wieder erlaubt sind, warum musste Nick Cave sein Konzert dann absagen?“ Aber es half natürlich nichts: Caves diesjährige Europa-Tournee, darunter vier Auftritte in Deutschland im Frühsommer, ist auf kommendes Jahr verschoben.

Doch Cave hilft uns trotzdem, durch diese Zeit zu kommen. Nicht mit seinen Songs und Alben – mit denen auch, solange sie uns nicht trauriger stimmen, als wir in diesen Tagen ohnehin manchmal sind. Nicht mit dem kurzerhand eingerichteten YouTube-Kanal BAD SEED TEEVEE, auf dem gerade rund um die Uhr Konzertmitschnitte und Interviews von Nick Cave and The Bad Seeds laufen. Sondern mit einem Medium, das dieser Tage fast anachronistisch anmutet: seinem Newsletter „The Red Hand Files“.

Einfühlsam und ehrlich

Im September 2018 hat Nick Cave angefangen, Fragen zu beantworten, die Fans ihm stellen – auf einer eigens eingerichteten Website, und eben per E-Mail. „You can ask me anything“, schreibt Cave. Und tatsächlich geht es in den Fragen, die Fans ihm stellen, um alles: Einige sind philosophisch („What is Shyness?“), einige unterhaltsam („Tell us a joke“), einmal bittet ein Songwriter mit Schreibblockade um Lyrics, die Cave übrig hat, und Cave schenkt ihm welche.

Wöchentlich schickt Nick Cave eine seiner Nachrichten, und sie sind so klug, so einfühlsam und ehrlich, dass sie einen berühren und einem bei Bedarf den Tag retten.

Häufig fragen die Menschen den Sänger auch nach seinen Songs, deren Bedeutung und Entstehung. „Who is the Girl in Amber?“, fragt Joscha aus Hünxe über den gleichnamigen Song, „What inspired the lyrics for Palaces of Montezuma?“, möchte Sue aus Doncaster wissen.

Magie der Musik

Und Caves Antworten zeigen, dass die Annahme, ein Kunstwerk entzaubere sich, sobald die Künstlerin oder der Künstler es erklärt, Unsinn ist. Ein Kunstwerk kann für sich stehen und sich selbst erklären, klar. Doch Caves Erläuterungen fügen seinen Liedern ganz neue und eigene Facetten hinzu, seine nachgereichten Erklärungen sind eine eigene Form poetischer Kunst.

Die Frage, ob man Musik erklären sollte oder nicht, hat sich übrigens auch David Byrne gestellt. „Verderben wir uns nicht den Spaß an der Musik, wenn wir versuchen, hinter die Fassade zu blicken und rauszufinden, wie die dahinter laufende Maschinerie funktioniert?, schreibt der Ex-Talking-Heads-Sänger zu Beginn seines Buchs Wie Musik wirkt (S. Fischer). Um dann direkt zu ergänzen: „Nein, für mich hat Musik nichts von ihrer Magie eingebüßt.“ Diese Antwort wäre eigentlich nicht nötig gewesen, seine Position scheint klar, immerhin schreibt er im Anschluss auf über 400 Seiten genau darüber: wie Musik wirkt. Und das ist (bislang) sehr lesenswert.

„Love, Nick“

Auch Caves „The Red Hand Files“ zeigen, was Kunst vermag, wenn sie in den Dialog tritt. „This is You and Me“, schreibt Cave über sein Projekt, und das Lesen der „Red Hand Files“ ist deswegen so toll, weil es sich anfühlt, als sei man Teil einer Gemeinschaft. Oder vielleicht sogar: weil man tatsächlich Teil einer Gemeinschaft geworden ist.

Die Frage „How long will I be alone?“ der Leserin Liii trägt Cave nach eigenen Angaben neun Monate mit sich herum und findet dann eine berührende Antwort darauf, die mit den Worten endet: „that to reach out to you, as you reached out to me, could in itself be the answer and, perhaps, a remedy – to say to you, you are not alone, we are here, and that we, a multitude, are thinking of you.“ Dann unterzeichnet er, wie jedes Mal, mit den Worten: „Love, Nick“. Der oben erwähnten Aufforderung, einen Witz zu erzählen, kommt Cave zwar nicht nach, aber er verweist in seiner Antwort auf eine Frage von Juan, die 20.000. Frage der „Red Hand Files“, und in Caves Augen die lustigste: „Do you often think of the circumstances of your death, Nick? I do. When I die, I wanna die peacefully like my Grandpa did, in his sleep, and not screaming and cursing like all the passengers in his car.“ Plötzlich hat man das Gefühl, Juan zu kennen, ihn zu mögen, und seinen Großvater natürlich auch.

In diesen Tagen tröstlich

Dass einem beim Lesen so warm ums Herz wird wie bei dieser Unterhaltung, kommt häufig vor, wenn nach einer Woche wieder eine neue Nachricht von Cave im Posteingang landet und das kann, wie gesagt, in diesen Tagen tröstlich sein und helfen. Natürlich ist auch die Pandemie in diesen Wochen ein Thema der „Red Hand Files“.

Im März stellte John aus London die einleuchtende Frage: „What do we do now?“. Und Nick Cave antwortete: „We should be careful about the noises we make especially those with a public voice and should not pretend to know what we do not. From within the clamour and tonnage of information and misinformation, of opinions and counter-opinions, of blame-games and grim prophecy and the most panic-inducing version of ‘Imagine’ ever recorded, emerges a simple message wash your hands and (if you can) stay at home.“

„Freitag ist Musiktag“

Freitag ist Musiktag – mit diesem Slogan kündigte die Musikindustrie 2015 an, dass neue Alben künftig in vielen Ländern immer am Freitag erscheinen. Ein Motto, das einerseits ziemlich schnell zum Punkt kam, andererseits seltsam inhaltsleer blieb. Aber für diese neue Kolumne passt es doch gut, denn ab sofort möchte ich regelmäßig freitags darüber schreiben, was in der Musikwelt los ist – auf meinem Blog auf freitag.de.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Jakob Rondthaler

Online-Redakteur, Blogger

Jakob Rondthaler

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