Bloß nicht kuscheln

Jüdisch-Muslimischer Dialog - Wie funktioniert eine politische und gesellschaftliche Annäherung zwischen religiösen und ethnischen Minderheiten?

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Neue Allianzen - Von links: Jo Frank (ELES), Hakan Tosuner (Geschäftsführer Avicenna Studienwerk)

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Ebru Tasdemir, Saba-Nur Cheema, Frederek Musall

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Chemnitz als Stichwort für bejubelte Menschenjagden auf deutschen Straßen, so sagte es eine Referentin, stünde auch für „eine Undeutlichkeit im Journalismus“, der als Teil des Machtapparats seine Schwierigkeiten mit fundamentaloppositioneller Kritik an den herrschenden Verhältnissen hat. Vielleicht erklärt das durchgreifende Verschweigen und Versagen in den Instanzen ein Engagement so vieler „Normalos“, die auf den großen Kundgebungen der letzten Wochen oft zum ersten Mal ihr politisches Gesicht öffentlich entschleiert und so Zeugnis abgelegt haben. Sie wollen eine Republik ohne Rassismus und Extremismus. Moderatorin Ebru Tasdemir fragte den Geschäftsführer des Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerks (ELES), ob ihm die hunderttausendfache Solidarisierung Mut mache. Frank entgegnete:

„Wir befinden uns mitten in einem Aushandlungsprozess.“

In dem es jedoch nicht nur darum gehen kann, gegen die Volksfeste der Rechtspopulisten in Stellung zu gehen. Bei der Berliner #unteilbar Demonstration wurden jede Menge Haltungen vertreten, die Frank gegen den Strich gehen.

Das war der Tenor auf dem Podium. Die Zukunftsfähigkeit von Positionen hängt ab von der Frage, wer mit wem Allianzen bilden und so zu einer gesellschaftspolitischen Avantgarde aufschließen kann. Dabei verschwimmen die Grenzen zwischen Bildungsarbeit und Aktivismus. Der Rechtspopulismus „weckt“ die Potentiale einer zur Zurückhaltung neigenden Mitte, die sich in Ansätzen der Begabtenförderung repräsentiert sieht – Deutschland als Gelehrtenrepublik.

Neben Frank saß Hakan Tosuner. Der Geschäftsführer des Avicenna Studienwerks berichtete von intensiven Kooperationen mit ELES. Beide Organisationen wollen ihre Hochbegabten dazu ermutigen, diskursrelevante Stimmen zu entwickeln und die politischen Leitlinien in Deutschland nach den Bedürfnissen der Minderheiten weiterzuziehen.

Das ist das bürgerliche Muster – soziologisch: opportunistische Partizipation. Man radikalisiert sich in der Informationsverarbeitung oder, um es mit Heiner Müller zu sagen: „Optimismus ist nur ein Mangel an Information.“

Schnell aufgegeben wurde der Versuch, die Bildungsbemühungen auf den Sockel einer Historie jüdisch-islamischer Allianzen zu heben.

„Wir haben das Wunschbild vom Goldenen Zeitalter“, sagte Frederek Musall, stellvertretender Rektor an der Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg. Musalls Forschungsschwerpunkt ist das maurische Spanien, das als ein Labor epochaler Wissensvermehrungen und der Toleranz glorifiziert wird. In Wahrheit habe es alle siebzig Jahre radikale Umbrüche und folglich nie eine gedeihliche Kontinuität gegeben.

Bei den jüdisch-muslimischen Verbindungen seien „Safe Places“ wichtig, um Argumentationssicherheit hinter verschlossenen Türen zu gewinnen. Dem Dissens muss Raum gegeben werden.

„Bloß nicht kuscheln“, hatte schon eine Vorrednerin gefordert, obwohl der Veranstaltungsrahmen verführerisch dazu einlud. Sobald Menschen guten Willens zusammenkommen, verliert man sofort aus den Augen, was sonst bildbestimmend ist – nämlich die Differenz als Reibungsfläche.

Die Konflikte sind da. Es geht darum, sich ihnen gemeinsam zu widmen und in Lösungen Ansätze für gegenseitige Verstärkung im Kulturkampf gegen die Verfechter*innen unversöhnlicher Interventionen.

Zur Sprache kamen die Probleme „muslimisch markierter Kinder“, die als Sündenböcke durchgeladen werden und nehmen, was sie kriegen können, um zurück zu dissen. Das ist die Klientel von Saba-Nur Cheema, der pädagogischen Leiterin der Frankfurter Bildungsstätte Anne Frank. Man helfe den Kindern mit einer klaren Trennung von Problem und Person. Der Widerspruch zwischen Absicht und Wirkung wird etwa nach einer antisemitischen Äußerung dem Sprecher deutlich gemacht.

Bevor das Publikum sich einschalten konnte, wurde noch festgestellt, dass muslimischer Antisemitismus der Gesellschaft das Gespräch über den mehrheitsgesellschaftlichen Antisemitismus nicht erspart.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Jamal Tuschick

Interessiert an Literatur, Theater und Kino

Jamal Tuschick

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