Mythos in kurzen Hosen

Deutsch-Israelische LT Die Träume der Aufbauzeit – Am letzten Tag der Deutsch-Israelischen Literaturtage ging es um Geschlechtergerechtigkeit und Protestformen.

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Von links: Fatma Aydemir, Sarit Yishai-Levi, Shelly Kupferberg

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In der israelischen Logik liegt der Westen historisch im Osten. Das weiße (westliche) fortschrittliche Judentum kam aus Osteuropa und Aschkenas (Deutschland). Die Aschkenasen dominierten schon die Ära vor der Staatsgründung, als „facts on the ground“ von kommunistischen Zionisten geschaffen wurden. Das waren zumal osteuropäische Intellektuelle im Straßenbau. In ihrer Gemeinschaft lebten Männer und Frauen gleichberechtigt an Gepflogenheiten einer mittelalterlich patriarchalischen Umgebung vorbei. Die Einzelne und das Geschlecht zählten wenig im Vergleich mit dem großen Ziel des Baus eines zionistischen Hafens. Antike Aufnahmen dokumentieren Szenen in der Manier eines hyperrealistischen Sozialismus. Sie illustrieren einen Mythos in kurzen Hosen. Am letzten Tag der Deutsch-Israelischen Literaturtage war davon oft die Rede. Am Schönsten schilderte Yiftach Ashkenazy die Träume der Aufbauzeit – und ihren Verrat in den Verschleißmühlen eines egoistischen Alltags in einem sich selbst vergessenden Staat.

Yiftach Ashkenazy im Gespräch mit Natascha Freundel

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Ashkenazy kam vom Militär zur Literatur. Sein Vater war ein kommunistischer Fallschirmjäger und nannte den Sohn nach einer Kampfeinheit im Unabhängigkeitskrieg (1947 – 1949). Ashkenazy wurde als Ideenprodukt der Welt anvertraut. Man bläute ihm die Internationale ein. Davon erzählt er in einem Roman, der auf Deutsch noch nicht vorliegt. Ausgangspunkt des Geschehens ist Hashomer Hatzair, eine sozialistisch-zionistische Organisation im Jugendstil. Die Protagonisten begegnen sich da in den Fünfzigerjahren als zum Idealismus Verdonnerte. Sie brennen für Israel und suchen Chancen der Bewährung in der Verstärkung von Grenzsiedlungen. Jahrzehnte später sind die Pfadfinder von einst ernüchterte Bürger eines Landes im permanenten Ausnahmezustand. Sie fühlen sich um ihr Israel betrogen. Das war ein in sozialistisch-zionistischen Farben geträumter gigantischer Kibbuz voller Gesang, Gleichheit und Hochzeiterfröhlichkeit, während in Wahrheit sich die Gesellschaft im Hass ihrer diasporischen Verzweigungen formiert.

Begraben wurde von der Praxis die Vorstellung, man könne von egal woher kommen und im israelischen Schmelztiegel automatisch eine neue Identität gewinnen. Das erklärte Sarit Yishai-Levi. Sie beschrieb die Reservatsformate, in denen sich Aschkenasen von Sepharden isolieren. Jede Gruppe besucht eigene Heiratsmärkte. Yishai-Levi betonte ihren Stolz auf eine „reine Abstammung“. Ihre Vorfahren kamen aus Spanien nicht auf den Umwegen des Maghrebs nach Jerusalem, sondern straight mit dem Ticket der massenhaften Vertreibung von Juden aus Spanien im 16. Jahrhundert. Yishai-Levi ist zwar eine Sephardim, identifiziert sich aber nicht mit den Sepharden, die in arabischen Prägestöcken abgestempelt wurden.

Ich gehe nicht chronologisch vor. Es gab drei Veranstaltungsblöcke. Im ersten Durchgang traf Sarit Yishai-Levi Fatma Aydemir. Dann redete Amichai Shalev mit Nicol Ljubić. Shelly Kupferberg moderierte die ersten beiden Gespräche, Natascha Freundel sprach zum Schluss mit Yiftach Ashkenazy und Takis Würger. Gleich mehr. Ich brauche einen Kaffee.

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Geschrieben von

Jamal Tuschick

Interessiert an Literatur, Theater und Kino

Jamal Tuschick

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