Furor der Aneignung in neuen Denkräumen

Ängst Konferenz Erster Bericht von der Literaturkonferenz zur Erosion des Demokratischen im Berliner Ballhaus Ost.

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Homogen ist eine Gesellschaft, in der Unterschiede zweitrangig sind.

Nazis und Goldmund im Ballhaus Ost

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Afsane Ehsandar und Fiston Mwanza Mujila vor dem Berliner Ballhaus Ost im Juni 2018

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Jagoda Marinić

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Staatssekretär Gerry Woop

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Die Begrüßung erfolgt aus dem Off als personalisierte Automatenansage. Zu Wort meldet sich Hydra. Ihr folgt Staatssekretär Gerry Woop in seiner Leiblichkeit als Festredner zum Auftakt der „Literaturkonferenz zur Erosion des Demokratischen“ im Berliner Ballhaus Ost. Er rechnet das Ballhaus zu jenen „neuen Denkräumen“, in denen die Demokratie von schlagkräftigen Oppositionen gegen rechte Interventionen verteidigt wird. Er beschreibt den Spielplatz als Residenz einer Gegenkultur zum „rechten Kulturkampf“, der zurzeit Europa überzieht.

„Der Widerstand beginnt in der Sprache“, sagt Woop.

Er sieht die Rechten in einem Furor der anmaßenden Aneignung des europäischen Erbes. Den Furor müsse man mit Bürgermut und Intelligenz verderben.

Woop begreift die Konferenz sowohl räumlich als auch geistig als „Verhandlungsbasis eines „zivilgesellschaftlichen Protests“.

Hausherr Daniel Schrader erwartet ein „Fest der Vieldeutigkeit“ und annonciert das Ballhaus als ein „Raum für produktive Irrgänge“. Die Rechten säßen in Trutzburgen betonfester Überzeugungen, während die Linke von Unsicherheiten angefasst würde. Ein Protagonist des veranstaltenden Kollektivs „Nazis und Goldmund“ betont die Brüchigkeit sogar identitärer Identitäten und schlägt vor, an die Stelle von Identität Integrität zu setzen.

Sandra Gugić erklärt im Namen des Kollektivs: „Homogen ist eine Gesellschaft, in der Unterschiede zweitrangig sind. Meine Weltanschauung verträgt Differenz und Dissonanz. … Die diffusen Bevölkerungsängste dürfen den politischen Diskurs nicht bestimmen.“

Die Publizistin und Kulturmanagerin Jagoda Marinić fragt: „Was ist Deutsch in Deutschland? – Was ist eine dysfunktionale Parallelgesellschaft? – Welchen Wert besitzt grammatische Korrektheit?“

Marinić erklärt im Verkündungsstil (in freier Adaption): Ich bin mit Leuten aufgewachsen, die ihr eigenes Deutsch erfunden haben. Damit eroberten sie ihre neue Heimat. Sie siegten mit der Höflichkeit der Herzen. Die Mehrheitsgesellschaft glaubt auf die Kompetenzen von Spezialisten für Diversität verzichten zu können. Sie erkennt die Zukunftsfähigkeit der Einwanderer nicht (an). Ihnen und allen muss es erlaubt sein, dass Deutsch der Deutschen mutieren zu lassen.

Wollen Deutsche unter sich bleiben, dann gehen sie in die Verwaltung. Kommunale Verwaltungen bilden die Schlusslichter der Diversität, obwohl ihnen das Management der Diversität obliegt. Warum nennt niemand, diese versagenden Instanzen des Staates dysfunktionale Parallelgesellschaften? Das sind in ihrem lokalen und regionalen Kolorit. Sie hinken der Zeit hinterher und restaurieren aufgebrauchte Menschenbilder.

Was sind wir, wenn wir nicht nützlich sind? Wie geben wir uns einen Wert jenseits der Nützlichkeit?

Die Erfolge der Einwanderungsgesellschaft existieren nicht im öffentlichen Diskurs. Stattdessen werden negative Ausnahmen mit Verallgemeinerungsabsichten herausgestellt.

Zu meiner Arbeit gehört, mich stereotypen Zuschreibungen nicht zu ergeben.

Europa ist der Spagat, in dem ich lebe, seit ich ein Kind bin.

Angst ist eine politische Kategorie. Im Kapitalismus hat jeder Angst. Die Angst wird instrumentalisiert. Man diagnostiziert sie an ihren politischen Ursachen vorbei als individuelle Störung.

Theater wurden zur Ableitung rebellischer Energien errichtet. Wir müssen mit diesen Kräften aus den Theatern (und anderen Schutzräumen) ausbrechen und ins Gesellschaftliche vorstoßen.

Wird fortgesetzt.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Jamal Tuschick

Interessiert an Literatur, Theater und Kino

Jamal Tuschick

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