Ideologisches Inferno

Rechtsradikalismus In dem Vortrag „Aspekte des neuen Rechtsradikalismus“ erklärt Adorno die Virulenz des Faschismus mit einer paradoxen Reaktion.

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Der verlorene Krieg hat „die gesellschaftlichen Voraussetzungen des Faschismus“ zwar ermüdet, aber ganz und gar nicht aus den Angeln gehoben. Adorno stellt das 1967 in einem Vortrag fest. Er spricht zu Mitgliedern des Österreichischen SDS – alarmiert von den Erfolgen der NPD.

Theodor W. Adorno, Aspekte des neuen Rechtsradikalismus: Ein Vortrag, Suhrkamp, 86 Seiten, 10,-

Die Virulenz des Faschismus erklärt Adorno mit einer paradoxen Reaktion. Deklassierte und von Deklassierung bedrohte Schichten mit einem bürgerlichen Selbstverständnis verweigern die Ablehnung jener kapitalistischen Kräfte, die sie bedrohen. Stattdessen suchen sie da ihre Feinde, wo ein Widerstand gegen den Kapitalismus Gestalt annimmt.

Adorno analysiert den „neuen Rechtsradikalismus“ vor dem Hintergrund monumental erstarrter Blöcke. Den Nationalismus der in den Blöcken eingeschlossenen Staaten rückt er in die Nähe von „Fiktionen“ angesichts „der untergeordneten Rolle“ einzelner Nationen. Doch gerade in dieser Inferiorität entfalte sich das ideologische Inferno sowie die dämonischen Dimensionen des Nationalismus.

Adorno zählt die von Konzernen verdrängten Einzelhändler zu den Anfälligen, gemeinsam mit den Bauern, deren ökonomische Lage ausdauernd krisenhaft sei. Er plädiert für eine durchgreifende Kollektivierung der Landwirtschaft.

Er exponiert sich verschärfende Gegensätze zwischen Stadt und Land – einer Ursache von Kriegen in der Zukunft. Besonders hervor hebt Adorno „den unbewussten Wunsch nach der Katastrophe“ als einem Vereinigungsphantasma. Der Deklassierte scheitert im Verein mit der Welt. Mit ihm gehen alle unter. Bis dahin sucht er völkische Einigkeit. Der politische Kompromiss erscheint ihm als „Verfallsnorm“.

Alles erfüllt sich in Propaganda. Sie funktioniert als Hohlmantel jedweder Geistlosigkeit.

Adorno warnt die kritischen Zeitgenoss*innen davor, in einem Mangel an Intelligenz und Witz bereits das Verderben der Rechtsextremen zu erkennen. Zugleich stellt er fest, dass der „harte Flügel“ der NPD die Parteimacht an sich gezogen hat. Legt man Adornos Analyse als Folie unter die Auseinandersetzung zwischen Björn Höckes AfD-Flügel und den Gemäßigten begreift man ohne Weiteres, dass jede gegen das Establishment gegründete Partei nur in eine Richtung dynamisch ist.

Ich weiß jetzt, wie der Richtungsstreit enden wird.

Einiges liest sich prophetisch.

„Politische Gruppierungen überdauern … Systemzusammenbrüche. In Deutschland scheinen zum Beispiel alte nationalsozialistische Zentren wie Nordhessen, wo es bereits in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts eine wilde antisemitische Bewegung gab … besonders anfällig zu sein.“

„Der Antisemitismus hat die Juden überlebt“

Adorno bezeichnet den Antisemitismus als „Planke in der Plattform“ des Rechtsradikalismus. Er überlebt in gespenstischen Rationalisierungen und einer Anspielungskunst, die mit den Registern der Indizierung Katz und Maus spielt.

Adorno sieht im Verlust des imperialistischen Überbaus eine Ermattungsquelle. Wie weit auch immer die Verblendung reicht, sie erreicht den faschistischen Expansionsfuror vor Fünfundvierzig nicht. Der Redner endet mit einer Aufforderung zum Engagement.

„Wie diese Dinge weitergehen … das ist an uns.“

Im Nachwort weist Volker Weiß auf jenen Paradigmenwechsel hin, in dessen Konsequenz die fortschrittlichen Kräfte der Bundesrepublik eingeschnürt und der Rechtsradikalismus bewässert wurde. Kurz nach dem II. Weltkrieg schwenkten die Vereinigten Staaten vom Antifaschismus zum Antikommunismus um. Das hegte auch Horkheimers und Adornos emanzipatorischen Impetus ein. Jene, die die berühmten Emigranten dazu einluden, ihr Forschungszentrum vom Hudson an den Main zurückzuverlegen, hielten sich 1948 für exkulpiert. Das erste Großunterfangen des in Frankfurt wiedergegründeten „Instituts für Sozialforschung“ (IfS) erkundete allgemeine Einstellungen eines Querschnitts der Bevölkerung. Die zur Freimütigkeit Veranlassten zogen vom Leder. Adorno zementiert im Vortrag seine Bemerkungen mit deprimierenden Befunden aus der zu Anfang der 1950er Jahre erfolgten Untersuchung. So wie das III. Reich kein Zivilisationsbruch war, so war der Faschismus keine gesellschaftliche Entgleisung. Für die in der Weimarer Republik mit ganz anderen Erwartungen gestarteten Soziologen um Adorno boten die Auswertungen einer „nicht-öffentlichen, wie eine zweite Währung kursierenden Meinung“ „keine willkommenen Nachrichten“. Die IfS-Virtuosen begriffen gewiss vor allen anderen, dass der Faschismus keine Partei braucht.

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Geschrieben von

Jamal Tuschick

Interessiert an Literatur, Theater und Kino

Jamal Tuschick

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