Liebe auf neutralem Boden

Die Deutsch-Israelischen Literaturtage endeten unter anderem mit Lesungen von Marica Bodrožić, Dorit Rabinyan und Nir Baram

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Im Streit mit Chilmi nähert sich Liat der Separationsapologetik ihrer Eltern. Sie verliert ihre linden Ansichten an eine Wut, die Angst, Liebe und Ratlosigkeit groß machen. Sie verschanzt sich in dem “mentalen Ghetto” ihrer Prägung. Sie trägt die “asexuell-bourgeoise Narrenkappe” der Reaktion. Sie entdeckt sich als Anlaufstelle für patriotisches Pathos.

Liat hasst patriotisches Pathos. Sie verachtet die maskierten Segregationsformeln, mit denen Restriktionen begründet werden. Doch Chilmis idealistische Verneinung einer Zweistaatenlösung zwingt sie in die paradoxe Lage, eigenen Überzeugungen widersprechen zu müssen. Liat kriegt die Krätze, wenn Chilmi im Tonfall von John Lennon sagt: “Weißt du, es gibt zwar zwei Völker, aber nur ein Land. Das kann man so wenig teilen wie den Himmel darüber.”

Die Furiose will die “schöne Seele” ihres Hippies exorzistisch verätzen. Chilmi soll seinen versöhnlichen Ton vergessen und vom Stengel der Hoffnung fallen. Das Paar, er Künstler, sie Übersetzerin, sie Miz-ra-chim, er Palästinenser, fetzt sich auf neutralem Boden. Man hat sich in New York kennengelernt und erscheint da auf den ersten Blick komplett arabisch.

“Dark and noisy.”

Dorit Rabinyan löst mit dieser Illustrationsmarke das Publikum im Haus der Heinrich Böll Stiftung aus der Aufnahmespannung. Die Autorin erscheint als Angegriffene. Die Geschichte von Liat und Chilmi wurde vom Pädagogischen Rat des israelischen Erziehungsministeriums, einer Expertenempfehlung zum Trotz, von der Lektüreliste für Oberschüler gestrichen. Das Gremium fürchtete Folgen der Liebe. Aus der Begründung sprach Liats vom Einvernehmen verstörter Geist. Die Angst vor zu vielen Gemeinsamkeiten treibt Israelis in die Gräben der Differenz. Rabinyan nennt ihre Landsleute “Champions der Abschottung”, daheim im “ambulanten Ghetto” - einem Identitätstank. Ihr Kollege Nir Baram spricht von einer “Bewusstseinssperre”. Es gäbe inzwischen Israelis, die vor dem Wehrdienst nie mit nicht-israelischen Palästinensern zu tun hatten. Die Grüne Linie zu den besetzten Gebieten käme in einigen Daseinsformen nicht mehr vor. Da existiert keine Vorstellung von der Westbank. Ignoranz schließt jede Gefährdung des Weltbilds aus.

Baram ist ein Hardliner der Verständigung und gnadenvoll genau. Das verbindet ihn mit Marica Bodrožić. In abergläubischeren Zeiten wäre Bodrožić auf einem brennenden Haufen gescheitert. Jede Inquistion würde sie ins Feuer schicken. Gerade stelle ich sie mir in Ramallah vor, wo Chilmi herkommt und Baram hinging; die Apokalypse schon im Bewusstsein.

Bodrožić zeichnet die innere Landschaft des Menschen, sie dechiffriert seine Beschriftung. In einem Augenblick äußerster Konzentration koinzidieren die Texte von Rabinyan, Bodrožić und Baram im Zauber eines mäßigen Geschehens. Man sieht Reisende in der Verlangsamung eines Aufenthalts. Jemand stellt eine Frage. Jemand setzt sich über ein Gebot hinweg. Baram befragt Kinder, die keine Angst mehr kennen. Der Tod erscheint ihnen so lächerlich wie ein alter Säufer, der ein Gitter seines Heimwegs mit dem Schlüssel abklappert. Baram spricht mit Männern, die angesichts ihrer toten Söhne keine Fragen mehr haben. Bodrožić erzählt von einem Namenlosen im Koma, sie nennt ihre Manier “radikal-poetisch”. Sie liefert weltweit jedem Verdrängungsprogramm das Wort von den “gusseisernen Begriffen” (Dostojewski) als einer Patentlösung der Vermeidung. Sie münzt es auf kroatische Nach-Bürgerkriegsverhältnisse. Wie Rabinyan, wie Baram, erlebt Bodrožić besondere Anerkennung in der Ablehnung. Ihrem Helden nimmt sie alles, sie wirft ihn zurück auf das Elementare. Sein Zimmer ist ein Klangraum, der Kirschholztisch ein Zitat, das einen schwerwiegenden Schatten wirft. Der Komatöse erkennt “eine Mitarbeit des Schweigens”. In der Stille erarbeitet er sich Farben. Natürlich sieht er mit geschlossenen Augen. Auch die Farben haben Schlaf nötig. So ungefähr steht es geschrieben in “Mein weißer Frieden”, auch das ist eine Geschichte von Flucht und Vertreibung in der aufgerissenen Enge dalmatinischer und hessischer Ortschaften. Ursprung und Nachtrag - Herkunft und Migration - Heil und Hohn (Versehrung) - während Baram (in gewisser Weise) Rabinyans Chilmi an anderer Stelle von Flucht und Vertreibung ausgehen lässt. Am 14. Mai 1948 erklärte Israel seine Unabhängigkeit. Palästinenser begehen den Tag danach als Tag der Katastrophe - Nakba. Das war aber auch der Tag an dem eine arabische Allianz zum Angriff auf Israel überging.

Dorit Rabinyan, “Wir sehen uns am Meer”, Kiepenheuer & Witsch, 384 Seiten, 19.99,-

Nir Baram, “Im Land der Verzweiflung. Ein Israeli reist in die besetzten Gebiete”, Hanser Verlag, 316 Seiten, 22.90,-

Marica Bodrožić, “Mein weißer Frieden”, Luchterhand Verlag, 336 Seiten. 19.99,-

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Geschrieben von

Jamal Tuschick

Interessiert an Literatur, Theater und Kino

Jamal Tuschick

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