Rabatten auf Massengräbern

Nazis & Goldmund Ich halte diese Scheißwelt nicht ohne Schreiben aus. - Das bekannte Afsane Ehsandar im Vorfeld der Literaturkonferenz zur Erosion des Demokratischen von Nazis & Goldmund.

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Von links: Maria Milisavljević, Özlem Özgül Dündar, Afsane Ehsandar und Sandra Gugić in einem Vorraum der Literaturkonferenz zur Erosion des Demokratischen von Nazis & Goldmund im Berliner „Acud macht neu“.

Eingebetteter Medieninhalt

https://www.visitberlin.de/de/event/aengst-now-weltanschauung

„Ich halte diese Scheißwelt nicht ohne Schreiben aus.“

Das bekennt Afsane Ehsandar im Vorfeld der Literaturkonferenz zur Erosion des Demokratischen von Nazis & Goldmund im Berliner „Acud macht neu“. Das Raumgefühl ist tropisch, eine Frage lautet: Bedeuten die Grenzen einer Sprache, die Grenzen einer Welt? Die Konferenz geht als szenische Lesung mit Maria Milisavljević, Özlem Özgül Dündar, Afsane Ehsandar und Sandra Gugić unter der Überschrift „Ängst is now a weltanschauung“ über die Bühne. Ein Dreieck der Kritik ergibt sich aus den Seiten Feminismus, Migration und Literatur. Verhandelt werden Valeurs in den Mitschnitten des Beiläufigen. Wann und wen grüßt man? Was wird da bewertet? Potentielle Partner*innen dürfen nicht damit rechnen, in die Watte der Selbstverständlichkeit gepackt zu werden; während alte Menschen so egal sind, dass man sie hemmungslos grüßen kann. Aus der normalen Härte mäandert der Text in den Traum.

„Im Traum waren mir alle Gesichter fremd.“
Ein Straflager verwandelt sich in eine Kaserne. Knochenfunde in Blumenbeeten weisen auf Massengräber hin. In der europäischen Geschichte halten sich Gartenbau und Massenmord die Waage. Opas Brüder wurden von Deutschen erschossen. So lernte er die Deutschen kennen. Für jeden erschossenen Wehrmachtssoldaten tötete die Besatzungsmacht zehn Serben. Opas zweite Begegnung fand ihren Schauplatz in einem westfälischen Kaff nach den Devisen der Gastarbeit. Deutschland war für den verlorenen Krieg mit dem Wirtschaftswunder entschädigt worden. Die Sieger der Geschichte kamen als Bittsteller mit Pappkoffern ins Land der Herrenmenschen und wurden gleich wieder gedemütigt. Das nennt man historische Kontinuität. Die Autorinnen kombinieren Berichte von Kämpfen an der Vergnügungsfront mit Aufzeichnungen des faschistischen Nebels, der Deutschland wieder zur Finsterworld macht, anderen Albträumen … und Transitnachrichten.
„Ist Migration das Hauptwort unserer Zeit?“
Der Migrationshintergrund verdunkelt das Bild von einer patenten Person mit guten Deutschkenntnissen. Den Hintergrund grundieren negative Erwartungen, denen man entgegen- und vorauseilt.
„Die Fremdwahrnehmung beeinflusst die Wortwahl.“
Man könnte allen Zuschreibungen in Pseudonymen entgehen. Anders gesagt: „Der eigene Name kommt einem wie Kampf vor.“
Die Autorinnen begeben sich auf die Suche nach Pseudonymen, die gar nichts sagen. Das funktioniert nicht. Mit den Migrantinnen migriert die Sprache und mutiert die Literatur: in eine Kurdisch-Türkisch-Deutsch-Englisch-Luzidität zum Beispiel. Daran erkennen sich die Eingecheckten in der Zukunftsschleuse. Sie tragen heute schon die Daten von morgen wie Haute Couture aus dem All.
Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Jamal Tuschick

Interessiert an Literatur, Theater und Kino

Jamal Tuschick

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