Soziale Vermummung

Rechtsextremismus Von Christchurch bis Halle: Da, wo der persönliche Kontakt fehlt oder zumindest nicht nachweisbar ist, funktionieren die Netzwerke der Rechtsextremisten als ideologische

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Von Christchurch bis Halle: Da, wo der persönliche Kontakt fehlt oder zumindest nicht nachweisbar ist, funktionieren die Netzwerke der Rechtsextremisten als ideologische Gemeinschaft.

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Metastasen der Zugehörigkeit

Konspiration erzeugt Infiltration. Es gibt kein konspiratives Konzept, das sich nicht hacken lässt. Vielleicht tendieren deshalb rechtsextremistische Akteure zur Selbstisolation, die dann im öffentlichen Bewusstsein als Einzeltäterschaft ankommt. Soziale Unauffälligkeit ist ein Kampfmittel. Wer Radikalität zur Schau stellt, taugt nicht zum Fellow im Bett der Unversöhnlichkeit.

Funkstille und soziale Vermummung

Um der gesellschaftlichen Ächtung, ausgerufen von auf allen möglichen, nicht nur auf den viralen Demarkationslinien patrouillierenden Social Justice Warrior Squads zu entgehen, das heißt, um im Job zu bleiben und von den Nachbar*innen gegrüßt zu werden, muss die Aktivistin jeden Kontakt zu Gleichgesinnten als Kontamination begreifen. Martin Sellner, Chef der deutschsprachigen Identitären Bewegung, fordert alle Aktivist*innen auf, „sich an folgendem Szenario“ zu orientieren: „Stell dir vor, du bist ein Typ aus dem Mainstream, der eine IB-Aktion an seinem politisch korrekten Arbeitsplatz verteidigt. Die Parolen und die Bilder müssen so gestaltet sein, dass er sich nicht dafür schämt, für uns Partei zu ergreifen.“

Dieses Beispiel für soziale Vermummung findet man hier:

Karolin Schwarz, „Hasskrieger. Der neue globale Rechtsextremismus“, Herder, 224 Seiten, 22,-

Aus der Vorschau

Radikale und extreme Rechte vernetzen sich längst nicht mehr nur durch geheime Treffen. Sie sind ganz offen im Internet unterwegs, über alle nationalen Grenzen hinweg. Ihr Umgang mit der digitalen Infrastruktur ist versiert. Ihre Mittel: Strategiepapiere, Guerilla-Marketing und organisierte Hasskampagnen. An die Stelle straff organisierter Gruppen treten immer öfter lose Netzwerke. Viele radikalisieren sich, ein Teil von ihnen greift zur Gewalt, einige von ihnen töten. Karolin Schwarz, Journalistin und Expertin für rechte Propaganda im Internet, zeigt, wie sich Rechtsextremismus organisiert und eine neue Form des globalen Terrorismus entsteht, dessen Gewalt zum Ausbruch kommt. Parallel tragen rechtspopulistische Regierungen und totalitäre Regime Lüge und Hetze über das Netz nach Europa – eine unheilvolle Allianz. Schwarz macht deutlich: Gesellschaft, Justiz und Politik sind keineswegs wehrlos. Dafür müssen sie rechte Strategien und Technologien aber kennen und verstehen.

Digitaler Bystander-Effekt

Attraktivität bleibt die entscheidende Währung im Kampf um Aufmerksamkeit. Die Ikonografen bedienen sich folgender Verhaltensgenres: „Macht, Trotz, Zuneigung, Spott“. Mentoren raten zu einem Aktivismus des Lächelns, während man den Gegner „möglichst gedemütigt, wütend oder entsetzt“ dargestellt sehen möchte. Schwarz behauptet, dass die unmittelbare Wirkung von Aktionen im aktivistischen Kalkül der Bilderproduktion untergeordnet sein kann.

Desinformative Intransparenz

Dann begreift die zufällige Zeugin den Sinn der Sache nicht. Da spekuliert jemand auf die virale Wirkung eines Fotos und nicht auf den materiellen Gehalt einer (mit lächerlichen Mitteln herbeigeführten) lächerlich erscheinenden Konstellation im öffentlichen Raum. Pseudo-Besetzungen gehören dazu. Auf ihren topografischen Schauplätzen kläglich scheiternde Aktionen gelingen in der inszenierten Aufbereitung. Wer käme auf die Idee, dass das Gelingen im Netz kein Trostpreis realen Scheitern ist.

Die Realität der digitalen Welt ist die Reichweite. Also stellt sich die Frage nach dem Verhältnis von Aufwand und Ertrag asymmetrisch. Die Ernte findet weit weg vom Ort der Aussaat statt. Das gilt auch für den „kalkulierten Tabubruch“. Die Durchbrechung einer zivilen Schranke mag da, wo die Barriere splittert, einen geringen Effekt haben, und die Akteurin wie eine Idiotin aussehen lassen, die als peinliche Figur ihren Kritiker*innen eine große Angriffsfläche bietet. Der Gewinn wird in einem medialen Schattenreich eingestrichen. Der Salonfähigkeit inkriminierter Vokabeln leisten Labore der Anti-Salons Vorschub. Ein ewig gestriger Text überlebte die alte Bundesrepublik in dieser Sphäre – und zwar in den Pools der Volksparteien. Ich habe das böse Wort von den Arbeitslagern, in die man uns stecken wollte, zum ersten Mal von Sozialdemokraten gehört, und wenn mich im Akut der Gegenwart ein bekennender Extremist zum Steine brechen nach Mossul schicken möchte, was fordert er denn dann anderes als eine hitleristische Internierung Andersdenkender.

Bald mehr.

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Geschrieben von

Jamal Tuschick

Interessiert an Literatur, Theater und Kino

Jamal Tuschick

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