Hein/Müller/Tuschick - Transitstrecken des melancholischen Eigensinns

#TexasText/Jamal Tuschick Die Konvergenztheorie erwartete eine Annäherung der beiden deutschen Staaten als einer Angelegenheit bürgerlichen Behagens. Sie ging von Konsumgemeinschaften aus.

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Der Kommunarden Traum vom Ich zum Wir

Ich entdecke seitenweise Rauchimpressionen. Ich rauchend. Andere rauchend. Ständig zündet sich jemand eine Zigarette an. Heiner rauchte Zigarre. Er inszenierte am Schauspiel und lud mich in den Frankfurter Hof ein.

„Allein gelassen schien er schmal wie ein Kind in der Fremde“, sagt Strittmatter über Brecht. Daran dachte ich. Heiner schenkte mir den „Fremden Freund“. Er wäre enttäuscht gewesen, wenn ich das Buch nicht schon gekannt hätte. Die Konvergenztheorie erwartete eine Annäherung der beiden deutschen Staaten als einer Angelegenheit bürgerlichen Behagens. Sie ging von Konsumgemeinschaften aus. Abstimmungen in der Warenwelt sollten die ideologische Differenz vermindern. Christoph Heins „Fremder Freund“ („Drachenblut“) zeigt die DDR als fortgeschrittene, zugleich lethargische Gesellschaft. Die Protagonisten zeigen sich auf lauter Privataufnahmen. Der staatliche Einfluss erscheint als Rinnsal. Hein weist seinen Helden Merkmale der Vereinsamung nach, er spielt mit Dekadenzmotiven. Die Trennung von Staat und Person ist vollzogen, das beschreibt ein Scheitern. Wollte die DDR doch die Aufhebung dieser Trennung, um auf der Ideallinie vom Engagement jedes einzelnen zu profitieren - in einer sozialistischen Volksgemeinschaft. Man fotografiert Wolken, passiert in Nouvelle Vague-Landschaften gesetzte Ruinen auf Transitstrecken des melancholischen Eigensinns. Der Staat stört allenfalls an Peripherien. Gegebenenfalls entscheidet man sich gegen das Kollektiv, das doch über dem „schädlichen“ Individualismus stehen soll. Mit dem Abstand von Jahrzehnten ist das Erstaunliche am „Fremden Freund“ die nichts Erstaunliches zugebende Manier, in der Hein ganz zu Anfang der 1980er Jahre von dem Ungeheuer Entfremdung und der Ungeheuerlichkeit des kapitalistischen Einbruchs in ein sozialistisches Revier erzählt. Hein stellt ein Desaster fest. Heiner bestätigt Heins Feststellung. In einem Gespräch mit Sylvère Lotringer sagt er 1981: „Für junge Paare (in der DDR) kommt zuerst das Kind, danach das Auto. Die Leute müssen acht Jahre auf ein Auto warten. Das ist ihr Bild von der Zukunft.“

Lotringer: „Die sozialistische Utopie, verheiratet mit westlichem Konsum?“

HM: „Das ist die gegenwärtige Aussicht - und eins meiner Schreibprobleme. Ich habe kein Interesse an dieser Art von Leben, und ich kann mich nicht dazu bringen, darüber zu schreiben.“

Auf den Skalen der Fremdheit ist das eine Äußerung im roten Bereich. Die neue Gesellschaft - „der Kommunarden Traum vom Ich zum Wir“ - wird nicht gelingen. Das heißt in der Konsequenz: „Meine Hauptexistenz ist im Schreiben. Das andere geschieht mechanisch.“

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Geschrieben von

Jamal Tuschick

Interessiert an Literatur, Theater und Kino

Jamal Tuschick

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