Im Laufrad der Hoffnungen - Frei nach Wanda von Sacher-Masoch

#TexasText/Jamal Tuschick Leopold von Sacher-Masoch ist über seine biografische Person hinaus eine Spielfigur des Habsburger Biedermeiers. Seine Obsessionen haben die Sprengkraft von Feuilletons.

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„In diesem Moment wurde mir klar, dass kein Feind jemals die Chance haben würde, die Ukraine zu besiegen.“ Sergej Gerassimow

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„Die Menschen bluten aus der dahingeschlachteten Stadt.“ SG

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„‚Es ist noch weniger als Versgeklingel. Ich rate Ihnen, Ihre Zeit mit etwas andrem zu verbringen.‘ Mit diesem Schulmeisterurteil sandte im Jahre 1861 ein angesehener Leipziger Verleger Ferdinand von Saar ein Heftchen Zeitgedichte zurück.“ Heinrich Spiero über Ferdinand von Saar, Quelle

Düpierter Biedermeier

Leopold von Sacher-Masoch ist über seine biografische Person hinaus eine Spielfigur des Habsburger Biedermeiers. Seine Obsessionen haben die Sprengkraft von Feuilletons. Ihr psychoanalytischer Steilvorlagencharakter lässt sich nicht verkennen. James Joyce nahm an Leopold von Sacher-Masoch Maß, als er seinen Leopold Bloom als Prototyp eines lächerlichen Mannes schuf. Im „Ulysses“ verkörpert Bloom die Kehrseite des jugendlich drängenden Stephan Dedalus. Stephan altert um den Preis seiner seelischen Schönheit. Dass sich der Edle im Läppischen inkarniert, entspricht einer göttlichen Strafe. Wer nach einer Erklärung dafür sucht, dass Leopold von Sacher-Masochs Ehefrau, die in meinen Aufzeichnungen als Aurora triumphiert, so lange nicht Reißaus nimmt, findet sie hier. Eine Unterströmung ihrer Ehe hält sie im Laufrad der Hoffnungen. Dädalus war brillant. Seine Schöpfungen besaßen die Kraft, zu leben.

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L. scheut sich nicht, mit seinen Marotten alle Welt kirre zu machen, Leute gegen sich aufzubringen und den allgemeinen Biedermeier zu düpieren. Doch fürchtet er die Kränkung einer Stubenfliege. Der Schreibritter weiß, dass die Fliege seine Feinfühligkeit mit Anhänglichkeit honoriert. Er schwingt sich erklärtermaßen zu ihrem Beschützer auf. Aurora scheitert an lauter Versuchen, die Fliege unauffällig zu killen.

„Und dabei wusste er nicht einmal, dass ich fast jeden Tag, während er sein Nachmittagsschläfchen machte, ins Speisezimmer ging und dort mit dem Staubwedel herumfuchtelte, um die Fliege aufzuscheuchen und ihr den Garaus zu machen.“

Dekor und Dramatik

L. schwelgt in eingebildeten Krankheiten. Er markiert den Mondsüchtigen. Theatralisch durchläuft er Panikattacken und Weinkrämpfe. Übertreibungen sind als literarische Produktionsmittel sicher vor jeder Kritik.

L. hält Aurora in Atem. Sie muss dem Durchgeknallten alles geben, so wie er alles der einen Sache zuschlägt, aus der er Kapital zu schlagen vermag.

Was dem Text dient, geht vor. Braucht es dazu ein Bauernmädchen im Pelz, bleibt Aurora nichts anderes übrig, als dem ausgelaugten Begehren ihres Mannes einen häuslichen Akzeptanzrahmen zu geben. Sie darf das Genie nicht vor den Kopf stoßen. Dessen Wahnwitz unterliegt nicht den üblichen Bewertungen. Der Wahn gehört zur Kunst- und, was schwerer wiegt, zur Erwerbssphäre.

Sommerfrische im Forsthaus

Im August 1876 verfügt sich die Familie nach Frohnleiten. Die Sacher-Masochs quartieren sich im Forsthaus ein. Sie zählen zum illustren Zirkel einer Prä-Belle Époque-, aka Fin de Siècle-Gesellschaft im Kurrausch. Frau Gomperz, unumstrittene Herrscherin der Sommerfrische, residiert (selbstverständlich temporär) im Schloss Weyer, einem barock aufgemotzten Trutzkasten aus dem 13. Jahrhundert.

„Frau Gomperz (ließ) Sacher-Masoch mitteilen, dass ihre Köchin eine eifrige Leserin seiner Werke sei, was den Saucen, die sie machte, sehr zu statten käme, denn sie wären fast ebenso pikant wie seine Novellen.“

„Eine angenehme Überraschung brachte … meinem Mann die Wiederbegegnung mit dem Dichter Ferdinand von Saar.“

„Der stille Charakter seiner Kunst, die Zurückgezogenheit seiner ganzen Art hat wohl das Ihre dazu getan“, dass man von Saar zu verkennen geneigt war. Heinrich Spiero

Von Saar überlebt als Protegé der Gomperz‘.

„Ferdinand von Saar wurde am 30. September 1833 in Wien als Sprössling einer geadelten Beamtenfamilie geboren, ward jung Offizier und fand, in seinen Existenzmitteln sehr knapp gestellt, wenig Freude an dem Soldatenleben … und begann ein äußerlich ziemlich einförmiges, von bitterster Not verfolgtes Schriftstellerdasein.“ Heinrich Spiero

Ihm steht ein Pavillon im Schlosspark zur Verfügung, wie Aurora interessiert bemerkt. Sie registriert einen „schönen und prächtigen Mann“.

L. spekuliert über die Eignung des Kollegen zum Griechen.

„Er hat ganz das Äußere zu dem Griechen … allein er ist für diese Rolle viel zu sehr Poet.“

L. erkennt in manchem Mann den perfekten Griechen. Sein Ideal, die penetrant besungene Venus im Pelz, degradiert Leopolds Alter Ego Severin aka Gregor, indem sie ihn zum Zeugen des Geschlechtsvergnügens mit einem Griechen macht. Die literarische Phantasie soll Wirklichkeit werden, um die schriftstellerische Produktivität anzukurbeln.

Von Saar erscheint als ein von Frauen Geretteter. Dazu bei tragen die geborene Prinzessin und amtierende Fürstin Elisabeth Salm, Melanie Lederer, und die Epoche machende Salonnière Josephine von Wertheimstein, übrigens eine Schwester des Philologen und Historikers Theodor Gomperz.

Aurora äußert sich abfällig über „ein Faktotum, ein ältliches, für ihren Beruf ganz besonders begabtes Fräulein, welches beständig auf der Jagd nach distinguiertem Wild“ ist.

Ich nehme an, Aurora spricht von der kinderlos gebliebenen, durch Suizid verschiedenen Melanie Lederer (1840 - 1884). In der Gegenwart von 1876 inspiziert sie Kurgäste bei deren Ankunft am Bahnhof. Sie „beschnuppert“ die Anreisenden auf der Suche nach hoffähigem Publikum.

Gefährliche Avancen

Aurora findet sich an dieser Stelle zu Unfreundlichkeiten bereit, die ich nicht überliefere. Ich sehe sie immer noch im weißen Atlaskleid, halbwegs betäubt von Ballsaalhitze, irritiert von einem Reiz außer der Reihe. Guinevere von Pechstein macht Aurora den Hof. Den gefährlichen Avancen fehlt die Öde des Ewiggleichen unter den standardisierten Cour-Valeurs.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Jamal Tuschick

Interessiert an Literatur, Theater und Kino

Jamal Tuschick

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